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# taz.de -- Die Wahrheit: Ruprecht und billig
> Das bedauernswert traurige Leben des im badischen Mannheim beheimateten
> Weihnachtsgehilfen. Besuch bei einem Geknechteten.
Bild: Immer im Schatten des Nikolaus: der arme Knecht Ruprecht
Knecht Ruprecht (Alter der Redaktion bekannt) ist Saisonarbeiter. Am
liebsten würde er gar nicht arbeiten, aber einmal im Jahr kriegt ihn das
Jobcenter dran. Dann muss er eine Zeit lang ins Geschirr und Kinder
bedrohen. „Der Job ist eigentlich okay. Ich mag keine Kinder und bedrohe
sie gerne. Aber das frühe Aufstehen macht mir zu schaffen.“
Knecht Ruprecht rümpft seine schwärzliche Nase. „Früh“ bedeutet für ihn…
gegen 17 Uhr. Wenn es dämmert und rechtschaffende Menschen nach ihrem
Tagwerk zu ihren liebevollen Familien heimkehren und gemeinsam fröhlich
lachend Marzipanauflauf kochen, schält sich Knecht Ruprecht, röchelnd vor
Weihraucherhusten, aus seiner vergilbten Bettstatt von halb verrotteten
Strohsternen und rostigen Lamettafetzen und blickt betroffen in den von
bräunlichen Lebkuchenspritzern übersäten Spiegel in der Diele seiner
Mannheimer Wohngemeinschaft.
Was er sieht, ist deprimierend: Ein in schmutzige Lumpen gekleideter,
gebeugter Mann mit hängenden Mundwinkeln und hoffnungslosen Augen. Knecht
Ruprecht lebt mit fünf „Freunden“ zusammen, mit denen er einst im Knast sa…
und die einiges auf dem Kerbholz haben: Der Weihnachtsmann, der kleine Lord
sowie Caspar, Melchior und Balthasar spielen dreckig lachend Quartett mit
ihren ausgedruckten Phantombildern, die Interpol ins Netz gestellt hat. Der
unangenehme Geruch von Glühwein, Wunderkerzen und Zimt scheint aus jeder
Nadel der vielen Tannenbäume zu strömen, die überall in den Ecken stehen,
und hängt wie Blockflötenklang in der Luft.
## Verwirrspiel mit Weihnachtsmann
Der Weihnachtsmann saß wegen Amtsanmaßung ein, weil er stets billigend in
Kauf genommen hatte, mit dem seriösen Nikolaus oder irgendeinem Papst
verwechselt zu werden, und daraus Kapital in Form von „Spenden für die
Diaspora“ zu schlagen wusste. Ein Verwirrspiel, das die Staatsanwaltschaft
nicht entwirren konnte, weswegen sie den Hallodri wieder freilassen musste.
Der kleine Lord, dem wegen seiner beknackten Frisur von seinen
Spießgesellen der bewundernde Spitzname „Der kleine Knacki“ verliehen
worden war, hatte einen ehrbaren und gutmütigen englischen Adeligen mit der
skrupellosesten Form des „Enkeltricks“ um das ganze Vermögen und den Titel
gebracht. Da der Adelige aber altersmild von einer Anzeige absah und der
Rotzlöffel noch nicht strafmündig ist, musste Interpol auch ihn laufen
lassen.
Caspar, Melchior und Balthasar sind allseits bekannte Drogen- und
Devisenschmuggler aus Fernost mit Verbindungen nach „ganz oben“ – so kamen
auch sie über ein paar nebulöse Wege wieder frei.
Knecht Ruprecht schließlich, der eine Dusche scheut wie der Teufel das
Weihwasser und etwas nach Maggi riecht, wurde mehrfach mit einem großen
Sack beim „Containern“ erwischt, und es wird ihm versuchte
Kindesmisshandlung vorgeworfen, die aber nie bewiesen werden konnte.
Außerdem macht er regelmäßig mit dem Weihnachtsmann gemeinsame Sache.
„Was hätte ich denn tun sollen? Nachdem ich beim Nikolaus gekündigt hatte,
hat das Jobcenter mir die Bezüge gestrichen. Der Arsch von Sachbearbeiter
wollte mich dazu zwingen, in einem Kinderheim im Schichtdienst Kinder zu
bedrohen, ja geht’s noch? Im Schichtdienst? Ab 15 Uhr, oder was?“ Er
schüttelt sich angewidert.
## Hoffnung auf Dresche
Auf die Frage, warum Knecht Ruprecht überhaupt beim Nikolaus gekündigt hat,
kommt es wie aus der Rute geschossen: „Das war doch der blanke Terror!
Immer musste ich mit ihm mitlaufen, immer hat er mir Hoffnung gemacht,
endlich mal ein Kind ordentlich verdreschen zu dürfen, aber nie wurde etwas
daraus. Er hat das Gezücht immer nur beschenkt. Haben Sie Kinder? Können
Sie sich vorstellen, wie demütigend das ist?“
Knecht Ruprecht sackt ein bisschen in sich zusammen. Dann rappelt er sich
wieder auf und schnieft: „Aber das mit dem Weihnachtsmann, das läuft
momentan noch sehr gut. Da darf ich wenigstens Kinder beschimpfen. Man muss
nur schnell genug abhauen, bevor die Leute den Betrug bemerken. Der kleine
Knacki lenkt sie für eine Weile ab, und die drei Irren aus dem Morgenland
machen ihren Drogen-Hokuspokus. Dann treffen wir uns alle wieder hier und
teilen die Beute.“
Was für eine Beute? Und wo genau wird diese Beute gemacht? Nun wird Knecht
Ruprecht vertraulich und flüstert: „Das darf ich nicht sagen, das ist
vertraulich. Das darf das Jobcenter nicht wissen!“
Dann dreht er sich abrupt um, geht zum Fenster, das, wenn es mal geputzt
würde, sicherlich einen schönen Blick in den Himmel böte, verschränkt seine
Arme hinter dem Buckel und gibt keinen Ton mehr von sich. Doch dann, kaum
hörbar, aber dennoch wahrnehmbar, ist von ihm ein leises Wimmern zu
vernehmen: „Am sechsten Januar schlag ich drei Kinder … äh, Kreuze, ja
Kreuze, Herr.“ Armer, trauriger Knecht Ruprecht.
9 Dec 2020
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Weihnachten
Nikolaus
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Herbert Grönemeyer
Die Wahrheit
Feuerwerk
Mord
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