# taz.de -- Die Wahrheit: Explosionen zierten seinen Weg | |
> Wie das farbenprächtige Feuerwerk über die Karibik in die Welt kam. Die | |
> sagenhafte Geschichte des schönen Gottkönigs Gernulf. | |
Bild: Feuerwerk wie bei Gernulf | |
Gernulf war schon bei seiner Geburt äußerst gut gelaunt. Das änderte sich | |
auch in den folgenden paar Jahren nicht, weshalb seine Eltern – genervt vom | |
ewig glücklichen Glucksen und glockenhellen Lachen des Kindes – den schönen | |
Knaben eines Tages an einen usbekischen Wanderzirkus verkauften, wo er sich | |
fortan als lebende explodierende Kanonenkugel verdingen musste. Hei, das | |
war ein Spaß für Gernulf, der sehr gern wie eine Rakete durch die Luft flog | |
und die gebrochenen Gliedmaßen, Schädelverletzungen, versengten Haare und | |
verstauchten Finger gern in Kauf nahm. | |
Nachdem sieben Jahre ins Land gegangen waren, Gernulf zählte nun vierzehn | |
ganze Lenze, sprach der grimmige Zirkusdirektor Brotzke zu ihm: „Höre | |
Gernulf: Du wirst immer schöner, glücklicher und beliebter. Das neide ich | |
dir, und daher musst du nun sterben.“ Und schon zog Brotzke eine lodernde | |
Fackel aus einer verborgenen Innentasche seiner speckigen | |
Direktoren-Uniform, um den erschrockenen Knaben anzuzünden. Der aber nahm | |
die Beine in die Hand und lief so schnell er nur konnte davon. | |
Als die Nacht hereinbrach und das gierige Bellen und Jaulen der Bluthunde, | |
die der gemeine Brotzke dem armen Gernulf hinterhergeschickt hatte, langsam | |
am Horizont verklang, gewahrte der Flüchtige im Dickicht eines Waldes einen | |
leichten Schein. Der Hauch nur vom Schimmer eines Schimmers. Vorsichtig | |
näherte er sich und sah zwei vierschrötige bärtige Männer mit schwarzen | |
Schlapphüten am Lagerfeuer sitzen. Sie brieten Schlangen und Eidechsen und | |
tranken hektoliterweise Blutschnaps. Dabei grölten sie unanständige Lieder | |
und rauchten muffelnde Socken. | |
„Ei“, dachte Gernulf bei sich, „diese netten Herren werden mir gewiss ger… | |
etwas von Speis und Trank abgeben.“ Höflich brachte er sein Begehr vor, und | |
hastenichgesehen hatten ihn die beiden Männer, die sich als Rex Kramer und | |
Ted Sarg vorstellten, in einen alten verrosteten Papageienkäfig gesperrt, | |
um ihn am folgenden Tag auf dem Schwarzmarkt als Cover-Boy zu verkaufen. | |
## Schmieden am glühenden Herd | |
Doch auf dem Weg dorthin wurden Rex Kramer und Ted Sarg von wilden Piraten | |
überfallen. Die fackelten nicht lange! Sie streckten die beiden Halunken | |
mit gezielten Säbelhieben nieder und steckten den schönen Gernulf in die | |
Kombüse ihres Schiffes, der „Exploding Sky“, wo er nun Tag und Nacht am | |
glühenden Herd Säbel schmieden, Schieß- und Schwarzsteine zu Pulver reiben, | |
Augenklappen nähen, Schwefel häckseln und Holzbeine schnitzen musste. Dabei | |
rief er ein ums andere Mal vergnügt aus: „Was bin ich doch für ein | |
Glückspilz! Ich hab es warm und trocken und muss kein freudloses Leben auf | |
den Titelblättern irgendwelcher Modemagazine fristen!“ | |
Doch es kam, wie es kommen musste: Eines sonnigen Tages trocknete die | |
Karibik plötzlich aus und die „Exploding Sky“ wurde von einer kleinen Horde | |
Xrkrumski-Indianer umzingelt. Angesichts des schönen Gernulf gerieten die | |
Eingeborenen in einen ekstatischen Rausch. Jubelnd trugen sie ihn auf ihren | |
Schultern in ihr Dorf. | |
Die anderen Piraten aber mussten an Armen und Beinen gefesselt hinterdrein | |
stolpern. Dann wurden sie gekocht und aufgegessen. Aus ihren Knochen bauten | |
die Xrkrumski-Indianer für Gernulf – er war mittlerweile 21 Jahre alt – | |
eine herrliche Cathedra und verehrten ihn fortan als ihren König. Das ließ | |
sich Gernulf eine Weile wohlgefallen. Er hatte die schönsten Frauen, die | |
leckersten Speisen und Getränke, wurde täglich massiert und eingecremt und | |
ward immer glücklicher, schöner und beliebter. | |
Doch als nun abermals sieben Jahre verstrichen waren, traten eines Abends | |
der Medizinmann, der Schamane und der Dorfälteste vor König Gernulf hin und | |
verkündeten ihm, am Tag seiner Krönung habe man völlig vergessen, ihn auf | |
einen kleinen Brauch hinzuweisen, den der Stamm seit Beginn der Zeiten | |
praktiziere. Dabei handele es sich um den Umstand, dass jeder König am Ende | |
des siebten Jahres seiner Regentschaft auf einem großen Scheiterhaufen dem | |
Gott Unxunaknepeyotl zum Opfer gebracht werde. Und, tja, bereits am | |
nächsten Abend sei es so weit. | |
## Zeichen von Gottes Gnaden | |
Das hörte König Gernulf nun gar nicht so gern, und er zermarterte sich sein | |
Hirn, wie er diesen unangenehmen Brauch umgehen könnte. Da kam ihm eine | |
Idee und er sprach: „Gern werde ich eure Sitten akzeptieren. Doch sollte | |
Unxunaknepeyotl ein Zeichen geben, dass er seines Gottseins müde ist, dann | |
werde ich sein Nachfolger sein.“ | |
In derselben Nacht – die fleißigen Xrkrumski-Indianer waren schon eifrig | |
dabei, den Scheiterhaufen aufzuschichten – schlich sich König Gernulf fort, | |
zum Wrack der alten „Exploding Sky“, und steckte alles, was er noch an | |
Schieß- und Schwarzpulver, Schwefel und Munition finden konnte, in einen | |
großen Sack und schlich zurück zu Dorf und Haufen … | |
Als am anderen Abend der König Gernulf bereits gefesselt dem Gott | |
Unxunaknepeyotl zum Opfer gebracht werden sollte, da entluden sich mit dem | |
ersten Fackelfunken so bunte, krachende, pfeifende, laute und | |
farbenprächtige Explosionen aus dem hölzernen Haufen gen Himmel, dass die | |
Xrkrumski-Indianer verzückt nach oben starrten und immer „Aaaahhh!“ und | |
„Ooooohhh!“ riefen. Schnell wurde König Gernulf entfesselt und fortan als | |
Gott verehrt. | |
Die Xrkrumski-Indianer aber behielten ihren seltsamen neuen Brauch, zum | |
Jahresende Schieß- und Schwarzpulver, Schwefel und Munition farbenprächtig | |
in die Luft zu jagen, für immer bei. Und so kam das Feuerwerk in die Welt. | |
30 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
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