# taz.de -- Frank Castorf inszeniert Oper in München: Krieg im Wolkenkuckucksh… | |
> Walter Braunfels ist ein von den Nazis verdrängter Komponist. Frank | |
> Castorf hat seine Oper „Die Vögel“ an der Bayerischen Staatsoper | |
> inszeniert. | |
Bild: „Die Vögel“ an der Staatsoper München, hier: Carolin Wettergreen al… | |
Stell dir vor, es ist Oper und keiner geht hin. In München ist das | |
eigentlich undenkbar. Und doch war es am Samstagabend die Realität in der | |
[1][Bayerischen Staatsoper]. Die eigentlich geplante Groß- wurde zur | |
Geisterpremiere [2][mit gerade mal 50 Zuschauern im Rang] und einem | |
ansonsten gespenstisch leeren Haus. Und das, obwohl es jetzt vor dem | |
November-Lockdown zu den vorbildlich erarbeiteten und umgesetzten Abstands- | |
und Hygienekonzepten auch eintrainierte Verhaltensweisen eines | |
disziplinierten Publikums gibt. Aber: Tut nichts! Diese Häuser werden | |
zugemacht! Sie sind prominente Vehikel einer Symbolpolitik im Kampf gegen | |
das Virus. | |
Immerhin hat Nikolaus Bachler, Intendant der Staatsoper, in München den | |
Streaming-Notausgang offen gehalten. Gleich diese sonderbare Premiere | |
streamen lassen und so unregelementiert viele Plätze in seinem | |
Staatsopern-TV zur Verfügung gestellt. Es wäre besonders schade, wenn diese | |
erste Münchner Nachinszenierung der „Vögel“ von Walter Braunfels | |
(1882-1954) nach deren Uraufführung an diesem Haus im Jahre 1920 quasi im | |
stillen Quarantäne-Kämmerlein ein zweites Mal „vergessen“ würde. | |
[3][Wenn heute eine Braunfels-Oper] auf eine Premiumbühne wie die in | |
München kommt, dann gehört das auch in seinem Falle in die Kategorie | |
Wiedergutmachung. Für die macht sich übrigens seit Jahren der Enkel des | |
Komponisten, Star-Architekt Stefan Braunfels, stark. | |
Bis 1933 hatten sich Braunfels „Vögel“, uraufgeführt in München vor 100 | |
Jahren, jedenfalls mit Erfolg auf vielen deutschen Opernbühnen | |
niedergelassen. Danach verschwanden sie von dort – genauso wie die Nazis | |
ihren Schöpfer auch aus dem Rektorenamt der Kölner Musikhochschule jagten. | |
Für die dominierende Hinwendung zu einer radikalen Moderne nach dem Krieg | |
war der Komponist wiederum nicht modern genug. Kein Post- oder gar Anti-, | |
mehr so ein Neben-Richard-Strauss. Dass dessen „Ariadne“ und „Frau ohne | |
Schatten“ schon geschrieben waren, ist unüberhörbar. Auf Wagners Schultern | |
standen sie eh alle. | |
## Der Rausch des Spätromantischen | |
Der Dirigent Ingo Metzmacher schwelgt denn auch mit dem Bayerischen | |
Staatsorchester auf diesen Wolken, zelebriert den Rausch des | |
Spätromantischen, trägt die fabelhafte Sängercrew auf Händen. Er lässt aber | |
auch ein kriegerisches Donnern so von der Leine, dass man wirklich meint, | |
ein wütender Zeus würde einen Aufstand gegen die Macht der Götter | |
wegdonnern. | |
In Braunfels’ Libretto, das er nach dem Drama von Aristophanes selbst | |
verfasst hat, verschlägt es die Herren Hoffegut (Charles Workman) und | |
Ratefreund (Michael Nagy) ins Reich der gefiederten Wesen, in denen ein | |
ehemaliger Mensch als König Widerhopf (spielfreudig torkelnd: Günter | |
Papendell) das Sagen hat. | |
Die beiden menschlichen Gäste im sprichwörtlichen Wolkenkuckucksheim | |
versuchen die Vögel zum Aufstand gegen die Götter aufzustacheln. Was ihnen | |
dank eines musikalisch überbordenden, göttlichen Machtwortes, das ihnen | |
Wolfgang Koch mit Marx'schem Rauschebart als Prometheus überbringt, | |
gründlich misslingt. Während Ratefreund am Ende als gescheiterter | |
Kriegstreiber das ganze Abenteuer als Blödsinn zusammenfasst, bleibt | |
Hoffegut die Erinnerung an seine Begegnung mit der betörend trällernden | |
Caroline Wettergreen als Nachtigall. | |
Zu all der entfesselten Opulenz der Kehlen und des Orchesters liefert die | |
[4][Bühnenästhetik von Frank Castorf und seines Ausstatters Aleksandar | |
Denić] einen Kontrast, der die märchenhafte Geschichte, wie immer bei den | |
beiden, in eine ganz eigene Fantasiewelt versetzt. Die lebt von sofort oder | |
weniger eingängigen Assoziationen zur Wirklichkeit, also zu Erfahrungen und | |
Bildern. | |
## Kriegstreiber mit Hakenkreuz | |
Bei Denić wird daraus eines seiner opulent aufgetürmten und im Detail | |
verkramten Drehbühnenkonstrukte. Mit Kabelmasten und Parabolantenne. Mit | |
einer Penthausholzhütte in der Höhe. Mit einer ohne viel Federlesen | |
heruntergelassenen Leinwand für live gedrehte „Innenaufnahmen“ (darunter | |
die einer allzumenschlichen Liebesbegegnung von Mensch und Nachtigall im | |
Grünen). | |
Natürlich fehlen auch ein Riesenbild von Alfred Hitchcock und Ausschnitte | |
aus seinem Sechziger-Jahre-Vögel-Thriller nicht. Wenn die beiden Menschen | |
als Kriegstreiber die schwarze Uniform nebst Hakenkreuz anlegen, blitzt es | |
auch mal politisch auf, bringt aber nicht viel. Auf der anderen Seite | |
stellt Adrianna Braga Peretzki mit den Kostümen vor allem der Vögel jeden | |
Revueglamour in den Schatten. Im Unterschied zu seiner Hamburger Notcollage | |
„molto agitatio“ Anfang September kann München einen „richtigen“, wenn… | |
etwas ausgebremsten Castorf verbuchen. Zumindest haben sie ihn „im Kasten“. | |
Man darf vermuten, dass der Beifall der 50 anwesenden Zuschauer | |
repräsentativ war für jene Zustimmung, die eine solche Wiederbegegnung mit | |
Braunfels' Oper verdient und bei einem vollen Haus erhalten hätte. Selbst | |
wenn für Castorf dann auch ein paar Gegenstimmen dabei gewesen wären. | |
2 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
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