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# taz.de -- Oper nach Schlingensiefs Ideen: Gewiss ist nur der Untergang
> Mit Ideen von Christoph Schlingensief brachte die Deutsche Oper Berlin
> erstmals Walter Braunfels "Jeanne dArc - Szenen aus dem Leben der
> Heiligen Johanna" auf die Bühne.
Es gehört Mut dazu, um mit dem Lob zu beginnen, so weit an die Grenzen des
im Musiktheater Möglichen - und Erträglichen - zu gehen, wie es die
Deutsche Oper in Berlin gewagt hat. Sie gewann Christoph Schlingensief als
Regisseur für ihren Versuch, die Partitur "Jeanne dArc - Szenen aus dem
Leben der Heiligen Johanna" des Komponisten (und Gründers der Kölner
Musikhochschule) Walter Braunfels als Oper zu inszenieren. Das Spätwerk
entstand in den Jahren 1938 bis 1943 in der Isolation der inneren
Emigration, erst 2001 wurde es in Stockholm in einer lediglich konzertanten
Fassung der Öffentlichkeit vorgestellt. Seit 1994 bemüht sich der Dirigent
Lothar Zagrosek um die Wiederentdeckung des 1954 verstorbenen Braunfels, in
Berlin ist letzten Herbst eine Braunfels-Gesellschaft gegründet worden - um
das ehrende Andenken dieses von den Nazis unterdrückten Musikers muss man
sich wohl keine Sorgen mehr machen. Wohl aber darüber, ob sein
nachgelassenes Werk tatsächlich die Kraft hat, ins öffentliche Bewusstsein
zurückzukehren und einen festen Platz im Spielplan der Opernhäuser zu
erobern.
Zumindest wenn es um die Jeanne dArc geht - Braunfels schrieb vor der
Nazi-Zeit eine ganze Reihe seinerzeit durchaus erfolgreicher Opern, etwa
"Die Vögel" nach Aristophanes -, spricht nicht viel dafür. Braunfels
entstammt einer jüdischen Intellektuellen-Familie aus Frankfurt, sein Vater
war Protestant geworden, er selbst bekannte sich nach den Erlebnissen als
Soldat im Ersten Weltkrieg zum Katholizismus, der offenbar sein gesamtes
weiteres Denken geprägt hat. Mit dem Aufführungsverbot der Nazis von jeder
produktiven Anteilnahme an der musikalischen Umwelt seiner Zeit
ausgeschlossen, muss er sich mit dem glühenden Eifer eines Konvertiten in
die Figur der heiligen Johanna vertieft haben. Was daraus entstand, ist
keine Oper, sondern ein bekenntnisbeladenes Passionsspiel. Seine
ästhetischen Wurzeln liegen im christlichen Volkstheater, dessen naive
Frömmigkeit Braunfels in eine Musiksprache übersetzt, die bewährte
spätromantische Mittel geradezu verbissen gegen jeden Einfluss der Zeit
verteidigt und bewahren will.
Gewiss könnte sechzig Jahre später dieser handgeschnitzte, verspätete Altar
eines tiefgläubigen Konservativen mit dem Reiz origineller Randständigkeit
für sich einnehmen. Nur zeigt die über jeden Zweifel erhabene, sorgfältig
einstudierte Berliner Aufführung unter Ulf Schirmer eine noch viel tiefere
Tragik dieses Musikers. Denn der einsame Wille zum Bekenntnis scheint seine
musikalische Fantasie aufgezehrt zu haben. Über drei sehr lange Akte hinweg
kommt es fast nie zu Momenten, die ihrer Originalität wegen aufhorchen
ließen. Es ist ein ständiges, oft süßliches, hin und wieder milde
aufbrausendes, stets gemessenes Dahinschreiten einer am Schreibtisch
ausgedachten, aufgeschriebenen Musik, die alles zu können scheint, aber
nichts bewirkt. Selbst dramatische Zuspitzungen des (selbstverfassten)
Textbuches, etwa die Zwiesprachen der Johanna mit ihren Heiligen und dem
Engel Michael oder die Verzweiflungsklagen ihres Anhängers Gilles de Rais,
lassen zwar ahnen, was selbst in diesem Rahmen möglich wäre an
musikalischer, melodischer Exaltation. Aber auch diese ohnehin selten
Momente fallen sogleich in sich zusammen und versinken in dem einen
einfallslosen Kanon, den Braunfels in einem Selbstzeugnis als "Vollendung
der christlichen Oper" verstehen wollte.
Nichts daran ist ernsthaft zu retten. Aber die Deutsche Oper hatte
Christoph Schlingensief beauftragt, es trotzdem zu versuchen - und dieser
Mut ist belohnt worden. Die Aufführung beginnt mit einer mehrere Minuten
dauernden Filmeinstellung der öffentlichen Verbrennung der Leiche einer
offenbar noch jungen Frau in Nepal, wohin Schlingensief gereist ist, um
sich auf Braunfels vorzubereiten. Der Film ist dokumentarisch und stellt
von der ersten Sekunde an klar, dass es nicht um die Wiederbelebung eines
vergessenen Musikers geht. Es geht um die religiöse Ekstase, die nach kaum
erträglichen Ritualen, nach kreatürlichen Schmerzen, Symbolen und
Seelenzuständen jenseits jeder Vernunft verlangt. Das war schon immer
Schlingensiefs Welt, die er nicht als Theater, sondern als Film und
Installation in Szene setzt. Eine schwere Krankheit hat ihn daran
gehindert, die Proben an der Deutschen Oper zu leiten, selbst der Premiere
blieb er fern. Da sein Gesundheitszustand "ausschließlich" seine
"Privatsphäre" betreffe, untersagen seine Rechtsanwälte seit Januar jede
weitere öffentliche Nachforschung. Sein Mitarbeiterteam setzte seine Ideen
aber so gut um, dass man gerne die drei Stunden zuschaut, die diese
wirbelnde Pandämonium des religiösen Irrsinns dauert.
"Gewissheit, Gewissheit, Gewissheit", schreit gegen Ende Gilles de Rais,
der später als Kinderschänder Blaubart berühmter wurde. Gewiss ist aber nur
der Untergang nach der Raserei des Begehrens. Schlingensiefs Bilder dafür
sind blasphemisch und fromm zugleich, so kindlich wie seine Johanna, die im
Nachthemdchen zwischen Gerüsttürmen, Projektionsflächen,
Kulissenfragmenten, Foltergeräten, Krankenhausbetten und Tieren herumläuft
und dazu seltsam misslungene Kunstmelodien singt. Wäre es möglich, sollte
sie "Flik-Flak" über die Bühnentürme springen. So steht es auf einem
Pappschild, wie die Anweisung, eine "tote Kuh" solle vom Schnürboden
fallen. Braunfels sah an dieser Stelle die Ankunft eines Engels vor, aber
natürlich hat auch er, der einsame Notenschreiber, seinen Platz in dieser
multimedialen Totale. Er einen Soundtrack geliefert, der zu den ständigen
Überblendungen von lebenden Personen und Filmsequenzen sehr gut passt, weil
er ja tatsächlich auch nur ein weiteres Dokument des maßlosen Willens zum
Glauben an Wunder und Jenseitigkeit ist. Es hätte ihm wohl nicht so recht
gefallen, die historische Wahrheit aber ist, dass Schlingensief seinen
Absichten näher kommt als irgendeine Note in seiner Partitur.
29 Apr 2008
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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