Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der DFB feiert 50 Jahre Frauenfußball: Jubiläum mit Zusatzzahl
> Der DFB würdigt das Ende des Frauenfußballverbots vor 50 Jahren in der
> BRD. Doch was ist mit der DDR-Historie? In Sachsen stößt man auf 50 + 2
> Jahre an.
Bild: Vergessene DDR-Biografie? Doreen Meier, hier Trainerin von Leverkusen, ka…
Man stelle sich vor, die Schweizer Regierung würde im kommenden Jahr die
Einführung des Stimmrechts für Frauen in ihrem Land vor gerade einmal 50
Jahren als große Erfolgsgeschichte feiern. In Broschüren würden aktuelle
Zahlen vorgestellt werden, wie viele Frauen bereits in der Schweiz zur Wahl
gehen und in einer Porträtserie (50 Jahre, 50 Gesichter) würden Frauen
vorgestellt werden, die sich sogar wählen lassen. Von diesen wären dann
Zitate zu lesen, in denen sie sich wertschätzend wie staunend zur rasanten
Entwicklung der Schweizer Gesellschaft äußern. Realistisch ist ein solches
Szenario eher nicht.
[1][Beim Deutschen Fußball-Bund ticken die Uhren allerdings ein wenig
anders.] Die Aufhebung des Frauenfußballverbots, das vor 50 Jahren auf dem
DFB-Bundestag 1970 in Travemünde beschlossen wurde, sollte diesen Samstag
am selben Ort mit einem großen Festakt gefeiert werden. Coronabedingt kam
es zu einer Absage. Ein Jubiläumsrückblick in einer DFB-Broschüre gipfelte
in dem Schlusssatz: „50 Jahre Frauenfußball – eine tolle Geschichte mit
vielen bemerkenswerten Geschichten.“
Die Rückschauen, die der DFB in einer Porträtserie (50 Jahre, 50 Gesichter)
auf seiner Homepage zum Frauenfußball präsentiert, sind ausschließlich in
hellen Farben gezeichnet, die Überschriften vielsagend. Eine Auswahl: „Ich
habe mich nie als Quotenfrau wahrgenommen“, „Wir haben deutlich an
Anerkennung gewonnen“, „Es war eine unfassbar geile Zeit“, „Ich bin ein…
nur dankbar“.
Für ungeschönte Worte ist im deutschen Frauenfußball indes Bernd Schröder
bekannt. Der 78-jährige Trainer führte Turbine Potsdam über 40 Jahre lang
bis 2016 zu etlichen Titeln, in der DDR und im vereinten Deutschland, und
erklärt auf Nachfrage diesen Samstag zum Bußtag: „Das ist kein Tag zum
Jubeln. Eigentlich müssten sie beim DFB sagen: ‚Wir haben zu lange
gewartet.‘“
## Schräge Erinnerungskultur
Das Gespräch mit Schröder führt einen zwangsläufig zu einer weiteren
Besonderheit dieses vom DFB gefeierten Jubiläumsjahrs. Der Ausgangspunkt
der Feier, das Ende des Verbots, ist in Westdeutschland zu verorten. In der
DDR war Frauenfußball vom Verband nie verboten. Der DFB versucht diese
Schräglage seiner Erinnerungskultur notdürftig auszubessern. Auf Anfrage zu
den geplanten Feierlichkeiten in Warnemünde erklärt das DFB-Presseteam:
„Selbstverständlich haben wir sowohl im Programm als auch bezüglich der
Gästeliste den Frauenfußball in der DDR abgedeckt. Unter anderem waren
Bernd Schröder, Sabine Seidel, Kathrin Nicklas und Margit Stoppa
eingeladen.“ Die vier Genannten zählen auch [2][zu den 50 Porträtierten der
Serie 50 Jahre, 50 Gesichter.]
Die Randständigkeit der DDR-Vergangenheit, sagt Schröder, sei ein
grundsätzliches politisches Problem. „Dinge, die wir gemacht haben, haben
ohnehin oft eine schlechte Bewertung im Westen bekommen oder den Leuten war
es egal.“ Auch beim DFB interessiere der DDR-Frauenfußball keinen.
Franka Schmidt, die einzige Hauptangestellte für Frauenfußball beim
Sächsischen Fußballverband (SFV), erzählt, der DFB sei auf den
Landesverband mit der Bitte zugekommen, die Kampagne „50 Jahre
Frauenfußball“ auf den eigenen Social-Media-Kanälen mitzubewerben. „Wir
haben gedacht, das ist DFB-Geschichte, es gibt aber auch eine
DDR-Geschichte. Die Frage war für uns: Wollen wir das vergessen oder wollen
wir das mitaufnehmen?“
Die Antwort war schnell klar. [3][Es wurde das Label „50 + 2 Jahre
Frauenfußball“ kreiert.] Ein Jubiläum mit Zusatzzahl. Denn als erste
offiziell anerkannte Frauenfußballmannschaft in ganz Deutschland wurde im
Frühjahr 1968 vom bulgarischen Studenten Wladimir Zwetkow ein Frauenteam
bei der BSG Empor Dresden-Mitte gegründet. Etwa hundert Bälle hat man mit
dem Label bedruckt und an sächsische Frauenfußballvereine verschenkt. Was
der DFB von der Aktion hält, weiß Schmidt nicht. Sie vermutet, man habe
dort davon gar nichts mitbekommen.
## Wertgeschätzer Frauensport in der DDR
Dabei könnte der DFB von der Beschäftigung mit der
DDR-Frauenfußballhistorie profitieren. Die Wertschätzung der Geschichte und
Biografien im Osten würde das Selbstwertgefühl in den dortigen Verbänden
heben. Denn dass in der sozialistischen Diktatur die Frauen auf dem
Spielfeld alle Freiheiten hatten, während in der
demokratisch-freiheitlichen Bundesrepublik das DFB-Verbot 15 Jahre hielt,
ist, um es im DFB-Werbesprech zu formulieren, schon eine „tolle
Geschichte“, die nähere Betrachtung verdient. Es wäre eine Art
Wurzelbehandlung, die den Verband an Ursprünge von bis heute wirksamen
Problemen führt.
Die gesellschaftliche Rolle der Frau in der DDR und die Wertschätzung des
Frauensports, sagt Bernd Schröder, sei eine ganz andere gewesen. Sie hätten
auch mehr olympische Medaillen als die Männer geholt. Der entscheidende
Maßstab für die politische Führung, die mit Hilfe der „Diplomaten im
Trainingsanzug“ die Überlegenheit ihres Systems demonstrieren wollten. Weil
Frauenfußball nicht olympisch war, kam zwar staatliche Förderung nie in
Frage, aber die Anerkennung war da.
Sich belustigende Männer am Spielfeldrand habe es anfangs auch in der DDR
gegeben, erinnert sich Schröder. Das habe sich aber schnell gelegt. Die
olympische Sportgemeinschaft in Potsdam sei ihnen mit Respekt begegnet und
man habe vom Austausch mit anderen Disziplinen profitiert. [4][Schröder
baute 1971 das Frauenfußballteam von Turbine Potsdam auf], das seit der
Einführung des landesweiten Bestenvergleichs 1979 nur höchst selten verlor.
Schröder sagt: „Es war klar, wenn wir das machen, dann richtig, also
leistungsorientiert.“
Während in der BRD die Frauenfußballerinnen nach Aufhebung des Verbots mit
Sonderregeln klein gehalten wurden (kleinerer Jugendball, kleineres
Spielfeld, kürzere Spielzeit, keine Stollenschuhe, halbjährige Winterpause
und Schutzhand vor der Brust), galten in der DDR von Anfang an fast die
gleichen Regeln. Man verkürzte lediglich die Spielzeit (2 x 30 Minuten) und
untersagte den Anpfiff bei Temperaturen unter –5 Grad.
## Nutzlose Gleichberechtigung
Zur Glorifizierung taugt die Geschichte des Frauenfußballs in der DDR aber
auch nicht. In den ersten Jahren durften Wettbewerbsspiele nicht über den
Bezirk hinausgehen und wurden nicht unter dem Dach des Deutschen
Fußballverbands der DDR, sondern in der Kommission Freizeit- und
Erholungssport organisiert. Doreen Meier, die beim einzigen Länderspiel des
DDR-Nationalteams mitwirkte und ihre Staatsexamensarbeit zur
DDR-Frauenfußballgeschichte geschrieben hat, sagt: „Bei uns gab es kein
Verbot, Aber wenn du nicht gefördert wirst, nutzt dir die
Gleichberechtigung auch nichts.“
Wegen ihrer Fußballbegeisterung habe sie mit neun Jahren 1977 von ihren
Eltern einen Lederball geschenkt bekommen, im organisierten Spielbetrieb
trat sie aber erstmals im Alter von 17 Jahren für den HSG Uni Jena an. Eine
recht typische Frauenfußballkarriere in der DDR. Das Einstiegsalter,
erzählt Meier, sei häufig sehr hoch gewesen. Die Zugangsmöglichkeiten zu
den von Betriebssportgemeinschaften organisierten Teams waren gering.
Anfang der 80er Jahre zählte man in der DDR 360 Teams, in der BRD dagegen
fast 8-mal so viel.
Und obwohl Frauenfußball in der DDR nie grundsätzlich in Frage gestellt
wurde, erinnert sich Doreen Meier doch auch an eine kuriose Idee der
männlichen Funktionäre. Als nach dem EM-Titel der BRD-Frauen 1989 in der
DDR innerhalb kürzester Zeit ein Nationalteam geschaffen wurde, sollten die
Frauen zur Premiere im Heimspiel gegen Tschechien im Mai 1990 die Trikots
des männlichen C-Juniorenauswahlteams anziehen. Allerdings hielt der
Zeugwart die Hosen zurück und legte den Frauen enge Frauenhandballhöschen
bereit. „Erst nach großem Protest“, so Meier, „bekamen wir auch die Hose…
In anderen Bereichen allerdings stellte der DDR-Frauenfußball seine
Fortschrittlichkeit unter Beweis. Ein Mädchenteam von Turbine Potsdam etwa
spielte bereits 1982 in einer Liga mit Jungenteams, wie Meier für ihre
Examensarbeit herausgefunden hat. Es sind Geschichten, die es wert wären,
sie auch in einem gesamtdeutschen Kontext einzubetten. Sie erzählen hüben
wie drüben von einem mühseligen Kampf in einer Männerdomäne, der bis heute
andauert. Ob es gegenwärtig um Abschiedsspiele für Nationalspielerinnen
gehe oder um die Aufnahme in den mit Privilegien verbundenen Club der
100er, der Nationalspielern vorbehalten ist, die 100 und mehr Länderspiele
absolviert haben, „es ist alles ein Kampf“, stellt Doreen Meier fest.
Kontakt zum DFB habe sie wegen der geplanten Feierlichkeiten rund um die
„50 Jahre Frauenfußball“ nicht gehabt. Am Mittwoch dieser Woche, drei Tage
vor dem Jubiläumstag, schreibt Doreen Meier eine Nachricht an die taz: „…
und, da hat mich doch glatt der DFB heute angerufen (Smiley) …, also der
DDR-Frauenfußball wird nicht vergessen.“
31 Oct 2020
## LINKS
[1] /Jubilaeum-des-Frauenfussballs/!5720669
[2] https://www.dfb.de/flyeralarm-frauen-bundesliga/50-jahre/
[3] https://www.sfv-online.de/news/details/phoenix-und-rb-mit-dfb-pokal-aufgabe…
[4] /Fussballtrainer-Bernd-Schroeder/!5298799
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Frauenfußball
Jubiläum
Deutscher Fußballbund (DFB)
DDR
Fußball
Fußball-EM der Frauen 2022
Frauenfußball
Frauenfußball
Kolumne Press-Schlag
Frauenfußball
Frauenfußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rezeption der Frauen-EM: Popp-Kultur und der echte Fußball
Für fußballspielende Frauen war lange nicht mehr als ein Platz am
Katzentisch reserviert. Eine EM lang waren sie nun Mainstream – gut so?
Goldene Vergangenheit für Fußballerinnen: Einfach zu beliebt
Der Frauenfußball war schon einmal weiter. In England mussten die
Kickerinnen vor 100 Jahren einen Verband gründen, weil sie zu viel Erfolg
hatten.
Personalien bei Turbine Potsdam: Krasse Widerstände
Tabea Kemme wäre fast Präsidentin von Turbine Potsdam geworden. Man wird
von ihr als Vertreterin einer neuen Frauengeneration gewiss noch hören.
Frauenfußball-WM 2027: Hoffnung auf Neustart
Der DFB will mit den Niederlanden und Belgien die WM 2027 ausrichten. Für
den Verband könnte das eine Chance sein, verlorenen Boden gutzumachen.
Frauenfußballförderung beim DFB: Botschaft der Balkendiagramme
Vor dem Start der Frauenfußball-Bundesliga hebt man beim DFB Wachstumsraten
hervor. Doch zugleich vergrößert sich der Abstand zur englischen Liga.
Bundesliga im Frauenfußball: Neustart auf Biegen oder Brechen
Ende Mai soll auch die Frauen-Bundesliga wieder spielen. Doch es gibt
Bedenken, die Stimmung ist gespalten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.