# taz.de -- Goldene Vergangenheit für Fußballerinnen: Einfach zu beliebt | |
> Der Frauenfußball war schon einmal weiter. In England mussten die | |
> Kickerinnen vor 100 Jahren einen Verband gründen, weil sie zu viel Erfolg | |
> hatten. | |
Bild: Der Maler C.E. Turner hat ein Spiel der Dick Kerr's Ladies festgehalten | |
Dezember 2021, Barcelonas Camp Nou: Über 60.000 Menschen applaudieren vor | |
Beginn des Männerligaspiels einer Fußballerin, Alexia Putellas, für ihre | |
Auszeichnung mit dem Goldenen Ball. Ein Tag später im Londoner | |
Wembleystadion: Gut 40.000 Fans verfolgen das englische Pokalfinale | |
zwischen den Spielerinnen von Chelsea und Arsenal. | |
Der Frauenfußball ist auf dem Vormarsch, wer würde das bestreiten. | |
[1][Weniger bekannt ist, dass er schon mal weiter war.] So weit, dass sich | |
an diesem Freitag vor 100 Jahren in England ein eigener | |
Frauenfußballverband gründete. Gründen musste. | |
Die Geschichte beginnt mit der Fabrik Dick, Kerr & Co in Preston. Wie viele | |
andere wurde sie während des Ersten Weltkriegs auf Munitionsproduktion | |
umgestellt und wie in vielen anderen wurden für die eingezogenen Soldaten | |
viele Frauen beschäftigt. Als einige von ihnen in einem Hobbykick während | |
der Werkspause eine Männermannschaft im Fußball schlagen, gründen sie 1917 | |
ihr eigenes Team, Dick Kerr Ladies. An Weihnachten desselben Jahres | |
vereinen sie bereits 10.000 Zuschauer im Stadion von Preston North End, | |
Englands erstem Fußballmeister von 1889. | |
Als Star und Sensation gilt die Angreiferin Lily Parr. Der Legende nach | |
provozierte sie ein männlicher Torwart einmal mit der Bemerkung, gegen ihn | |
werde sie nicht treffen. Parr soll ihm mit ihrem Schuss den Arm gebrochen | |
haben. | |
## Große Popularität auch nach Kriegsende | |
Die Dick Kerr Ladies beziehen nur eine Aufwandsentschädigung – | |
Kettenraucherin Parr teils in Form von Zigaretten – und spenden die Erlöse | |
an Wohltätigkeitsinitiativen. Erst für verwundete Soldaten, später für | |
Arbeitslose oder Kriegswitwen. Denn ihre Popularität lässt auch nach | |
Kriegsende nicht nach, im Gegenteil. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1920 | |
sehen [2][53.000 Zuschauer im Liverpooler Goodison Park] ein 4:0 gegen St. | |
Helen’s Ladies. Weitere Zehntausend müssen wegen Überfüllung draußen | |
bleiben. Die Einnahmen betragen 3.115 Pfund – heute mehr als 150.000 Euro. | |
Geld ist ein wichtiges Thema, denn es macht den Männern die Sache zunehmend | |
suspekt. Den Chroniken zufolge spielen die Dick Kerr’s Ladies insgesamt | |
rund 175.000 Pfund ein (zehn Millionen Euro nach heutigen Maßstäben). | |
Selbst aus dem Ausland werden sie engagiert, in Frankreich und den USA, wo | |
sie 1922 neun Partien gegen Männerteams absolvieren, drei Siege, drei | |
Remis, drei Niederlagen. In Kanada, damals Teil des britischen Empires, | |
dürfen sie da schon nicht mehr spielen. | |
Den Anfang machte Newcastle United. Nachdem auch dort schon mal 35.000 Fans | |
zu den Frauen gekommen waren, entschied der Klub, sein Stadion St. James | |
Park nicht mehr für sie herzugeben. Männerfußball ist damals in England | |
schon Profisport – und die Frauen drohen Kundschaft abspenstig zu machen, | |
ohne das mit entsprechenden Einnahmen zu kompensieren: Sie sind ja Amateure | |
und spielen für den guten Zweck. Am 5. Dezember 2021 verfügt der | |
Fußballverband FA, dass es alle bei ihm eingetragenen Vereine fortan zu | |
halten hätten wie Newcastle: keine Frauenspiele in ihren Stadien mehr. | |
Zudem wird den Schiedsrichtern verboten, sie zu pfeifen. | |
Zur Begründung wird für Interessen auch Ideologie eingespannt. Man findet | |
Ärzte, die medizinische Gefahren des Fußballs für Frauen beschwören, und | |
bringt die Idee in Umlauf, dass er besonders der weiblichen Fruchtbarkeit | |
schade. Zur schmutzigen Kampagne zählt auch die Behauptung, bei den | |
Frauenpartien würden verkleidete Männer spielen, und jene, dass die Frauen | |
nur so tun würden, als spendeten sie alle Einnahmen, in Wahrheit aber Teile | |
des Geldes für sich behielten. | |
Offiziell ausgesperrt beschließen Vertreter von 30 der schätzungsweise rund | |
150 englischen Frauenmannschaften am 10. Dezember 1921 in Liverpool die | |
Gründung eines eigenen Verbands, der English Ladies Football Association | |
(ELFA). Er führt unter anderem einen Pokalwettbewerb ein, in dem die | |
Spielerin Watts für die (Werks-)Mannschaft Osram trifft und der Titel an | |
Stoke Ladies geht. Doch die Komplikationen bei der Suche nach | |
Austragungsstätten und das feindlichere gesellschaftliche Klima fordern zu | |
viel Tribut. Eine zweite Auflage gibt es nicht, der Verband stellt | |
praktisch die Arbeit ein und wird 1931 aus dem Register gestrichen. | |
Das berühmte Frauenteam aus Preston hatte sich nicht an der Gründung | |
beteiligt. Es trennt sich bald von Dick Kerr, existiert aber bis 1965 | |
weiter und kickt auf Rugby- oder Cricketfeldern, Bolzplätzen und | |
Hunderennbahnen. Lily Parr spielt bis 1951 und schießt fast 1.000 Tore, | |
immer parallel zu ihrem neuen Job als Krankenschwester. | |
Erst Anfang der 1970er Jahre hebt die FA ihr Stadionverbot für Frauenspiele | |
auf. 2008 entschuldigt sie sich für ihre abstrusen Theorien von 1921. Doch | |
die Folgen des großen Schwindels sind immer noch zu spüren. Wenn sich der | |
Frauenfußball professionalisiert, dann – jedenfalls vorerst – als oft | |
quersubventioniertes Anhängsel der Männerklubs. Vor 100 Jahren brauchte er | |
keine fremde Hilfe. Die 53.000 Fans im Goodison Park sind bis heute | |
Zuschauerweltrekord für ein Frauen-Klubspiel ohne Freikarten. | |
10 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Jubilaeum-des-Frauenfussballs/!5720669 | |
[2] https://ffc07.de/index.php/geschichte-frauenfussball-1919-1923 | |
## AUTOREN | |
Florian Haupt | |
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