# taz.de -- #MeToo-Spielfilm „The Assistant“ auf DVD: „Vorurteile machen … | |
> Die Regisseurin Kitty Green spricht über Sexismus in der Filmbranche und | |
> #MeToo. Ihr Spielfilmdebüt „The Assistant“ zeigt eine weibliche | |
> Perspektive. | |
Bild: Alltag aus Angst: Jane (Julia Garner) vor dem Büro ihres unsichtbaren Ch… | |
taz: Frau Green, [1][„The Assistant“, der nach seiner Europapremiere auf | |
der Berlinale] nun in Deutschland im Heimkino erscheint, handelt von einer | |
jungen Frau, die als Assistentin eines mächtigen Filmproduzenten einen | |
Arbeitsalltag aus Angst und Missbrauch erlebt. Ist dies ein Film über | |
[2][Harvey Weinstein]? | |
Kitty Green: Ja und nein. Natürlich ist mein Film unter dem Eindruck der | |
Enthüllungen über Harvey Weinstein entstanden und von seinem Fall | |
beeinflusst. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die für ihn | |
gearbeitet haben, und vieles, was ich gehört oder auch über ihn gelesen | |
habe, fand seinen Weg in mein Drehbuch. Aber wenn wir „The Assistant“ bloß | |
als Film über die Causa Weinstein sehen, tun wir ihm unrecht. Und zwar | |
nicht nur dem Film, sondern auch der Sache an sich. Denn dann könnte man ja | |
sagen, der Fall ist doch erledigt, Weinstein ist nicht mehr in der Branche | |
tätig, er ist verurteilt, wir können die Sache hinter uns lassen. Doch ich | |
will natürlich auch zeigen, dass das Problem viel größer ist als er. Wir | |
haben es hier mit einem systemischen und kulturell verankerten Problem zu | |
tun, das sich auf der ganzen Welt und in allen Arbeitsumfeldern findet. Es | |
geht um Verhaltensmuster und Mikroaggressionen, um all die Dinge, die | |
Frauen so oft daran hindern, in Machtpositionen aufzusteigen. | |
Der Boss ist im Film nie zu sehen, man hört nur seine Stimme. Und die | |
klingt tatsächlich ein wenig nach Weinstein … | |
Darauf hatte ich es gar nicht unbedingt angelegt. Ich muss gestehen, dass | |
mir Weinsteins Stimme auch gar nicht allzu vertraut gewesen ist. Aber als | |
der Schauspieler, den wir als Sprecher engagierten, ins Tonstudio kam, | |
sagte ich ihm, er solle mal eine Art Weinstein-Imitat abliefern, einen | |
mächtigen, übergriffigen Boss. Er meinte, er wüsste genau, was ich will, | |
denn solche Typen hätte er in seiner Karriere millionenfach erlebt. Mir | |
lief es dann kalt den Rücken herunter, als er seine Sätze einsprach. Das | |
war genau, wonach ich suchte, egal ob es nun klang wie Weinstein oder | |
nicht. | |
Stand für Sie von Anfang an fest, dass er im Film eine Stimme bleibt und | |
alle Interaktionen zwischen Ihrer Protagonistin und ihrem Chef auf E-Mails | |
und Telefonate beschränkt bleiben? | |
Ja, das war für mich immer klar. Ich wollte meinen Film komplett auf die | |
Frau und die weibliche Perspektive beschränken. Es gibt schon so viele | |
Filme und Geschichten über böse Männer, dieser hier sollte nicht noch einer | |
sein, in dem jemand wie er alles dominiert und kein Raum für Frauen bleibt. | |
Aber natürlich musste ich ein Gespür für die Macht vermitteln, die er nicht | |
nur über meine Protagonistin, sondern auch über alle anderen in diesem | |
Betrieb hat. Ich musste genau ausloten, wie viel ich wo von ihm sicht- | |
beziehungsweise hörbar machen musste, damit ganz klar ist, dass er für | |
dieses Klima der Angst und des Schweigens verantwortlich ist. | |
Viel passiert nicht in „The Assistant“, der Film spielt an einem einzigen | |
Tag. Wir sehen, wie die Protagonistin die buchstäbliche Besetzungscouch | |
putzt, sie muss Termine koordinieren und die wütende Ehefrau des Chefs | |
anlügen, einmal wird sie in der Personalabteilung vorstellig. Warum nicht | |
mehr Plot? | |
Ich wollte, dass mein Film eine Sammlung schlichter Momente ist. Es sollte | |
eben gerade nicht um schockierende große Vorfälle gehen und auch nicht | |
einfach nur um ein Arschloch als Chef, wie ihn auch Männer erleben. Sondern | |
um die kleinen Details und Mikroaggressionen, in denen Frauen im | |
Arbeitsalltag Misogynie und Sexismus erfahren. Die Banalität und | |
Gewöhnlichkeit des Bösen, wenn Sie so wollen. Meine Protagonistin erlebt ja | |
selbst vieles nur indirekt, doch trotzdem ist das toxische Umfeld schon | |
morgens spürbar, wenn sie ins Büro kommt und die Kaffeemaschine anmacht. | |
Sie gönnen nicht einmal am Ende Erleichterung oder Erlösung, weder dem | |
Publikum noch Ihrer Protagonistin. | |
Weil es in diesem System, in diesen Arbeits- und Machtstrukturen, die seit | |
Jahrzehnten existieren, ja auch keine Erlösung gibt. Für die Assistentinnen | |
solcher Chefs gibt es keine Erleichterung, ihr Arbeitsalltag fühlt sich | |
endlos an. Sicherlich ändert sich zum Glück gerade vielerorts zumindest ein | |
bisschen was, nicht zuletzt das Bewusstsein. Trotzdem wollte ich ein Gefühl | |
von Aussichtslosigkeit vermitteln. Es kam für mich auch nicht infrage, zu | |
zeigen, dass diese Frau einfach kündigt. Das hätte sich falsch angefühlt, | |
nach einer zu einfachen Lösung. Denn erstens ist es nicht jedem ohne | |
Weiteres möglich, einen Job aufzugeben. Und zweitens hat man damit noch | |
nicht automatisch sexistische Machtstrukturen hinter sich gelassen. | |
„The Assistant“ ist Ihr erster Spielfilm, nachdem Sie zuvor rein | |
dokumentarisch gearbeitet haben. Wäre das für die Thematik nicht auch eine | |
Idee gewesen? | |
Natürlich habe ich darüber nachgedacht. Aber in diesem Fall war es mir dann | |
doch sehr wichtig, fiktional zu arbeiten, denn ich wollte mich wirklich auf | |
die Details, die Blicke und die kleinen Momente konzentrieren. Das ist, | |
selbst bei geduldigem Beobachten, bei einem Dokumentarfilm nicht immer | |
möglich. Da muss man einfangen, was passiert, und kann nicht zwingend | |
gezielt diesen einen ganz bestimmten Moment mit einer Großaufnahme | |
einfangen. Bei einem Spielfilm hat man mehr Kontrolle über die | |
Spezifitäten, die man zeigen will, das war mir in diesem Fall wichtig. | |
Hatten Sie den Traum vom Spielfilm schon länger? | |
Ich habe sogar Spielfilm studiert. Zum Dokumentarfilm kam ich zunächst nur | |
deswegen, weil niemand eine 21-jährige Studienabsolventin einen Spielfilm | |
inszenieren lässt. Aber dokumentarische Jobs, etwa „Behind the | |
scenes“-Aufnahmen, die waren damals zu bekommen. Ich habe also anderer | |
Leute Spielfilme mit der Kamera begleitet und bin so in den | |
Dokumentarfilmbereich gerutscht. Selbst dort hatte ich allerdings zuletzt | |
das Gefühl, mich Film für Film Richtung Spielfilm zurückzuarbeiten. Meine | |
Geschichten wurden zusehends fiktionalisierter, wenn man das so sagen kann. | |
Denken Sie eigentlich auch, dass ein Film wie „The Assistant“ noch vor vier | |
Jahren nicht zu finanzieren gewesen wäre? | |
Da haben Sie sicherlich recht. Man sagt ja, dass Hollywood nichts mehr | |
liebt als Filme über die Filmbranche, aber dieser hier ist sicher die | |
Ausnahme von der Regel. Selbst nach [3][#MeToo] und dem Fall Weinstein war | |
es noch schwer genug, diesen Film auf die Beine zu stellen. Und tatsächlich | |
war es wie zu erwarten so, dass immer die Frauen in den Produktionsfirmen | |
deutlich interessierter an meinem Projekt waren als die Männer. Doch es | |
gibt noch einen anderen Grund dafür, warum „The Assistant“ vor fünf Jahren | |
nicht möglich gewesen wäre. | |
Nämlich? | |
Damals hatten wir noch nicht einmal die Sprache, um über Fehlverhalten | |
dieser Art zu sprechen. Gefühlt können wir das, was in meinem Film | |
passiert, überhaupt erst seit Weinstein und #MeToo benennen. Meine Hoffnung | |
ist, dass eine junge Assistentin wie meine Protagonistin heute verstehen | |
würde, was das ist, das sie da am Arbeitsplatz erlebt. Inzwischen gibt es | |
zum Glück Kategorien, mit denen sich so etwas einordnen lässt und die dafür | |
sorgen, dass man so etwas nicht mehr nur als Normalität hinnehmen muss. | |
Was sagen Sie selbst denn, als in der Filmbranche tätige Frau? Wandelt sich | |
etwas zum Besseren? | |
Ich denke schon. Und ich hoffe es vor allem, wenn es um tatsächliche | |
Übergriffigkeiten und sexuellen Missbrauch geht. Aber der ganz alltägliche, | |
tief verankerte Sexismus, der verschwindet nicht so schnell. Der begegnet | |
mir, seit ich in diesem Beruf tätig bin, auch heute noch. Als weibliche | |
Regisseur*in muss ich mir immer wieder einen Respekt erarbeiten, der meinen | |
männlichen Kollegen eigentlich automatisch entgegengebracht wird. Jeden, | |
den ich treffe, ob Produzent*innen oder Presse, muss ich erst einmal davon | |
überzeugen, dass ich weiß, was ich tue und wovon ich spreche. Allein diese | |
Sprüche, die immer kommen, wenn mein Gegenüber realisiert, dass er oder sie | |
es mit einer zierlichen jungen blonden Frau zu tun hat. Ich hatte Sie mir | |
ganz anders vorgestellt! Ich dachte, Sie sind älter! Furchtbar. Oder | |
Journalisten, die zum Interview kommen, mich sehen und zur Presseagentin | |
sagen, dass sie statt der angedachten 20 Minuten doch nur 10 brauchen. Weil | |
sie automatisch davon ausgehen, dass ich nichts zu sagen habe. Das habe ich | |
selbst im Kontext von „The Assistant“ wieder erlebt. Solche unbewussten – | |
oder bewussten? – Vorurteile machen mich einfach wütend. Bis heute. | |
„The Assistant“. Regie: Kitty Green. Mit Julia Garner, Matthew Macfadyen u. | |
a. USA 2019, 88 Min. | |
12 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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