# taz.de -- Erste US-Vizepräsidentin Harris: Kama la la Land | |
> Die mediale Euphorie über die erste US-Vizepräsidentin Kamala Harris muss | |
> man auch als schwarze Frau nicht teilen. Sie steht nicht für Veränderung. | |
Bild: Bald US-Vizepräsidentin: Kamala Harris | |
Kaaamala – ihr Vorname wird auf der ersten Silbe, mit einem langen a, | |
betont. Nicht „Kämala“ oder „Kamilla“, wie er häufig noch immer | |
fälschlicherweise in den deutschen Medien ausgesprochen wird. Den Namen der | |
ersten designierten Vizepräsidentin der USA richtig auszusprechen ist man | |
ihr schuldig. | |
Man ist ihr jedoch nicht schuldig, sie allein aufgrund ihrer Identität toll | |
zu finden – auch nicht, wenn man wie ich einiges mit ihr gemeinsam hat. Wie | |
Kamala Harris bin auch ich US-Amerikanerin, eine Woman of Color mit einem | |
schwarzen Elternteil, Akademikerkind und Juristin. | |
Viele Journalistinnen schreiben in Fangirl-Manier über ihre stilsichere | |
Schuhwahl, ihr strahlendes Lächeln oder [1][die Symbolkraft des weißen | |
Hosenanzugs], den sie bei ihrer Siegesrede in Delaware trug. Harris ist | |
aber weder Popstar noch Stilikone – sie ist Politikerin und als solche an | |
ihrer Politik zu messen. Ihre bisherige politische Karriere, in der sie | |
sich auf ausgetretenen Pfaden bewegt hat, lässt darauf schließen, dass sie | |
lediglich alte Ideen in einem neuen, jüngeren, weiblichen Gewand | |
verkörpert. Mit ihr als Vizepräsidentin und gegebenenfalls anschließend als | |
Präsidentin wird sich in den USA wohl nichts fundamental ändern. | |
Cooper Teboe beschreibt Kamala Harris in einer Arte-Reportage nüchterner, | |
ökonomischer. Teboe ist Spendenbeschaffer für die Demokraten im Silicon | |
Valley, seine Aufgabe ist es, dort bei den großen Technologiekonzernen | |
Gelder für den Wahlkampf und zur Parteifinanzierung einzuwerben: „Ein so | |
gutes Produkt wie Kamala Harris zu verkaufen ist leicht. Als sie nominiert | |
wurde, waren die Entscheider von Silicon Valley so begeistert von ihr, all | |
die Reid Hoffmans, die Mark Zuckerbergs, mit denen sie seit 20 Jahren eine | |
enge Freundschaft pflegt, die gingen an den Hörer, riefen ihre Freunde und | |
Partner an und meinten: ‚Ihr müsst spenden – wir müssen das gewinnen! | |
Kamala kämpft jetzt für die Demokraten.‘“ | |
Ein so unverhohlener Spendenaufruf ist in der US-Politik nicht ungewöhnlich | |
oder gar anstößig – Wahlkampagnen und Parteien beziehen ihre Geldmittel | |
fast ausschließlich über Spenden aus der Wirtschaft und von Lobbyverbänden. | |
Aus öffentlichen Mitteln erhalten Parteien und Politiker keine | |
nennenswerten Beträge – sie sind auf Spenden also zwingend angewiesen. Dass | |
es aber auch anders geht, hat Bernie Sanders gezeigt: Er hat seine Kampagne | |
in den demokratischen Vorwahlen ausschließlich mit Kleinspenden seiner | |
Anhänger finanziert und bis zu seiner Niederlage den höchsten Spendenbetrag | |
unter den demokratischen Präsidentschaftskandidaten erzielt. | |
Ich habe damals als Mitglied einer lokalen Freiwilligenorganisation in | |
Colorado Wahlkampf für Bernie Sanders gemacht – weil er einer der wenigen | |
US-Politiker ist, der die massiven Probleme im Land klar benennt, | |
umfassende Lösungen anbietet und bereit ist, dafür zu kämpfen. Es handelt | |
sich bei seiner politischen Agenda nicht um Sozialismus, sondern um eine | |
sozialere Form des Kapitalismus – einen Wohlfahrtsstaat, wie wir ihn in | |
Deutschland haben. | |
Einem [2][solchen Wandel hat sich Kamala Harris nicht verschrieben]. Sie | |
hält es mit dem Parteiestablishment, dessen Credo lautet: Bloß keine | |
größeren wirtschaftlichen Veränderungen, die die Spender verschrecken | |
könnten. Wofür also steht Kamala Harris? Diese Frage kann sie | |
wahrscheinlich nicht einmal selbst beantworten. Genau das war auch ihr | |
Problem im Vorwahlkampf, in den sie anfangs als eine der Favoriten | |
gestartet war. Nach einem Treffen mit Spendern ruderte sie von ihrer | |
Unterstützung für Sanders’ Gesetzentwurf für eine allgemeine | |
Krankenversicherung zurück und konzentrierte sich fortan vor allem auf | |
spenderkonforme [3][Identitätspolitik]: Mit ihr kann man erstmals eine | |
schwarze/indischstämmige Einwanderertochter zur Präsidentschaftskandidatin | |
wählen. Noch vor der ersten Wahl in Iowa schied sie dann mit nur noch etwa | |
3 Prozent in dem Umfragen aus dem Rennen aus. | |
Identitätspolitik ignoriert völlig, dass allein die Identität einer | |
Politikerin oder eines Politikers für die meisten Wähler kein Argument ist, | |
für die Person zu stimmen. Dazu bedarf es mehr – nämlich konkreter | |
politischer Forderungen, von denen man sich nicht so leicht abbringen | |
lässt. In dem Getöse der Wahlnacht ist eine, wie ich finde, bemerkenswerte | |
Wahlsiegerin von den meisten deutschen Medien unerwähnt geblieben: Cori | |
Bush hat mit 78,9 Prozent ihren Wahlkreis in St. Louis, Missouri, klar für | |
sich entschieden. Die 44-jährige Afroamerikanerin ist Krankenschwester, | |
Pastorin, alleinerziehende Mutter, Black-Lives-Matter-Aktivistin und wird | |
als erste schwarze Frau Missouri im Repräsentantenhaus vertreten. | |
Wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez gehört auch Cori Bush dem | |
progressiven Flügel der Demokraten an, der keine Spenden aus der Wirtschaft | |
annimmt und die Belange der einstigen Kernwählerschaft der Demokraten | |
vertritt – die der Arbeiter und Angestellten. Ziel der Progressiven ist es, | |
die Demokratische Partei von innen heraus zu reformieren, da das | |
Zweiparteiensystem der USA die Gründung einer weiteren Partei in | |
erfolgversprechender Weise kaum zulässt. Bisher sitzen noch recht wenige | |
von ihnen im Kongress, aber ihre Zahl nimmt mit jeder Wahl stetig zu, | |
sodass sie hoffentlich irgendwann, besser früher als später, über die | |
politische Macht verfügen, die ein Vorbeiregieren an ihnen unmöglich macht | |
und Establishment-Darlings wie Kamala Harris entweder zum Einlenken oder | |
aus dem Amt drängt. | |
Bei der Person, die es im US-Präsidentenamt schafft, dieses Land mit so | |
dringend benötigten, tiefgreifenden Reformen weg von einer neoliberalen, | |
laut Demokratieindex unvollständigen Demokratie und hin zu einer sozialen, | |
vollständigen Demokratie zu führen, werde auch ich – unabhängig von ihrer | |
Identität – zum Fangirl. Versprochen! | |
13 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Soll | |
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