# taz.de -- Streit unter den Demokraten in den USA: Nach dem Fest | |
> Ohne die Linken wäre der moderate Demokrat Biden nicht gewählt worden. | |
> Aber kaum haben sie gesiegt, verstricken sich die Demokraten in | |
> Flügelkämpfe. | |
Bild: Der Wahlkampf war anstrengend, der Nachwahlkampf ist es auch | |
NEW YORK taz | Nie wieder solle jemand aus ihrer Partei das Wort | |
„Sozialismus“ benutzen, wütet die demokratische Kongressabgeordnete Abigail | |
Spanberger bei einer Telefonkonferenz. Das schade. James Clyburn, der | |
einflussreiche schwarze Abgeordnete aus South Carolina, kritisiert wiederum | |
die Forderungen nach einer staatlichen Krankenversicherung und nach der | |
Abschaffung der Polizei als gefährlich: „Damit gewinnen wir nicht.“ Aus | |
Pennsylvania schimpft der Abgeordnete und Ex-Soldat Conor Lamb, den | |
Fracking-Kritikern fehle der Sinn für Realität. Seine linke Kollegin | |
Alexandria Ocasio-Cortez nennt er „Scharfschützin“. | |
Die Attacken der drei Abgeordneten vom rechten Parteiflügel überraschen | |
nicht. Spanberger war früher bei der CIA. Clyburns größte Spenden kommen | |
aus der Pharmaindustrie. Und Lamb repräsentiert einen Bundesstaat, in dem | |
die Förderung fossiler Brennstoffe stellenweise für einen Boom sorgte. | |
Die drei Demokraten repräsentieren die sogenannten Blue Dogs oder | |
Zentristen oder Moderaten. Sie hatten mit einem Erdrutschsieg gerechnet. | |
Stattdessen aber haben sie nur das Weiße Haus gewonnen und sonst ihre Ziele | |
verfehlt. Sie haben Sitze im Abgeordnetenhaus eingebüßt; sie haben die | |
Mehrheit im Senat verfehlt; in New Hampshire haben sie sogar beide Kammern | |
an die Republikaner verloren. Jetzt machen sie die Parteilinken dafür | |
verantwortlich. | |
Während die Republikanische Partei sich weitgehend geschlossen hinter Trump | |
und seine Wahlfälschungsbehauptungen stellt, werden bei den Demokraten die | |
Flügelkämpfe jeden Tag lauter. Bernie Sanders, der demokratische Sozialist, | |
hatte das lang angekündigt. Er hat seine Mitstreiter im Wahlkampf | |
aufgefordert, gemeinsam mit allen Parteiflügeln gegen Trump und für die | |
„Rettung der Demokratie“ zu kämpfen. Aber zugleich stimmte er sie darauf | |
ein, dass nach Bidens Wahlsieg massiver politischer Druck nötig sei, damit | |
der demokratische Präsident progressive Politik mache. | |
## „Der progressivste Präsident seit FDR“ | |
Jetzt ist Sanders in der Gegenoffensive. In TV-Interviews und einem Beitrag | |
für [1][USA Today] ruft er die „Konzern-Demokraten“ zur Vernunft. Ohne die | |
„Jungen, die Progressiven, die braunen und schwarzen Aktivisten und die aus | |
der Arbeiterklasse gäbe es keinen Präsidenten Joe Biden“, schreibt er. Er | |
erinnert daran, dass die Mehrheit der US-Amerikaner hinter den Forderungen | |
nach einer Krankenversicherung für alle und nach einem Green New Deal | |
stehen. | |
Im Sommer haben Biden und Sanders in einer gemeinsamen Taskforce Ziele | |
formuliert – darunter die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar und eine | |
Senkung der Studiengebühren. Anschließend erklärte Sanders, dass Biden „der | |
progressivste Präsident seit FDR“, Roosevelt also, werde. Das half Biden | |
bei den Linken. Doch der streckte seine Fühler auch nach rechts aus. Das | |
ist ein Markenzeichen seiner 50-jährigen politischen Karriere. Wegen Bidens | |
Zusammenarbeit mit Republikanern machte ihn Barack Obama 2008 zu seinem | |
Vizepräsidenten. | |
Obwohl sich der republikanische Ton unter Trump deutlich verschärft hat, | |
strebt Biden weiterhin überparteiliche Zusammenarbeit an. Davon, dass die | |
meisten republikanischen Senatoren ihm bislang nicht mal gratulierten, | |
lässt er sich nicht beeindrucken. | |
„Lieber Joe, bitte wiederhole nicht den Fehler von Barack Obamas ersten | |
zwei Jahren“, fleht der Filmemacher Michael Moore in einem offenen Brief. | |
Er meint die Suche nach Kompromissen, zu denen die andere Seite nie bereit | |
war. | |
Biden will eine Regierung, die so aussieht wie die USA des 21. | |
Jahrhunderts. Unter jenen, die sein Übergangsteam für Ministerpositionen | |
erwägen soll, sind viele Frauen sowie Angehörige der Minderheiten und | |
Gewerkschaften. | |
Doch statt einer erkennbaren politischen Linie will Biden die Diversität in | |
seiner Regierung auch auf ideologischer Ebene. Er will einen großen Spagat | |
machen, bei dem unklar ist, ob er Linke überhaupt einbezieht. Bei einem | |
Fundraising mit New Yorker Millionären versicherte er schon im letzten | |
Jahr, von ihm sei keine „Dämonisierung von Reichen“ zu befürchten. Damit | |
ging er auf Distanz zu Sanders’ Kritik an den Milliardären. In Bidens | |
Übergangsteam arbeiten bereits zwei Republikaner. Und er denkt darüber | |
nach, auch welche in seine Regierung zu holen. | |
Einige der Ministerkandidaten aus der Demokratischen Partei, die jetzt im | |
Gespräch sind, haben schon für Bill Clinton und Obama gearbeitet. Unter | |
ihnen ist Michèle Flournoy, die als mögliche Besetzung der Pentagonspitze | |
gilt. Sie befürwortet „präemptive“ Militärschläge und war als | |
Vizemilitärministerin treibende Kraft hinter mehreren Militäreinsätzen. | |
Nach ihrem Regierungsaustritt verkaufte sie Waffen an die Regierung. | |
## Die „Squad“ bekommt Verstärkung | |
Auf der Linken sind Elizabeth Warren für die Spitze des Finanzministeriums | |
und Bernie Sanders für das Arbeitsministerium die Wunschkandidaten. Beide | |
zeigen Interesse. Aber es ist unwahrscheinlich, dass Joe Biden sie | |
tatsächlich in seine Regierung holen wird. Das kann er bequem mit den | |
Mehrheitsverhältnissen im Senat begründen. Die Republikaner dort stimmen | |
seit Jahren gegen fast alles, was Warren und Sanders vorschlagen. | |
Von verschiedenen linken Gruppen kommt daher die Aufforderung an Biden, | |
sich seine Personalpolitik nicht von Senatschef Mitch McConnell diktieren | |
zu lassen. Es gebe „den Vacancy Act“, sagt Dani Nigretti vom Netzwerk | |
„Indivisible“. Dieses Gesetz erlaubt es dem Präsidenten, Ministerposten | |
zumindest vorübergehend einzusetzen. Angesichts des erwartbaren | |
republikanischen Widerstands im Kongress ermuntert das Netzwerk Biden, per | |
Dekret zu regieren. Und so die von Trump gestrichenen Umweltregeln wieder | |
einzuführen. | |
Die Kritik von Parteirechten weisen linke Demokraten scharf zurück. In | |
einem Interview mit der [2][New York Times] wirft Alexandria Ocasio-Cortez | |
der Parteiführung einen schlechten Wahlkampf vor. Zu wenig soziale Medien, | |
zu unengagiert. Ihren rechten Parteikollegen rechnet sie vor, dass alle | |
Kandidaten, die sich für eine staatliche Krankenversicherung für alle | |
eingesetzt haben, und bis auf einen alle Unterstützer des Green New Deal | |
gewählt wurden. | |
Ocasio-Cortez selbst siegte in ihrem New Yorker Wahlkreis mit 68,8 Prozent | |
der Stimmen. Auch drei weitere linke Frauen, Ayanna Pressley, Rashida Tlaib | |
und Ilhan Omar, haben sensationelle Wahlsiege geholt. In der nächsten | |
Legislaturperiode wird ihre „Squad“ von drei weiteren Parteilinken | |
verstärkt: die Black-Lives-Matter-Aktivistin Cori Bush, dem New Yorker | |
Lehrer Jamaal Bowman und Marie Newman, die in Illinois den letzten | |
Demokraten, der gegen das Recht auf Abtreibung war, zu Fall gebracht hat. | |
„In jedem anderen Land wären Joe Biden und ich nicht in derselben Partei“, | |
beschreibt Ocasio-Cortez ihre seltsame Lage in einer Partei, die gegen sie | |
kämpft, im Zwei-Parteien-Land USA. | |
14 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://eu.usatoday.com/story/opinion/todaysdebate/2020/11/11/bernie-sander… | |
[2] https://www.nytimes.com/2020/11/07/us/politics/aoc-biden-progressives.html | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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