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# taz.de -- Pop aus Brüssel: Recherche im Rotlichtmilieu
> Lous and the Yakuza aus Brüssel mischt die frankophone Popszene mit ihrem
> fulminanten Debütalbum „Gore“ auf.
Bild: Marie-Pierra Kakoma alias Lous and the Yakuza
Marie-Pierra Kakoma alias Lous and the Yakuza erzählt bereitwillig aus
ihrem Leben. Die in Lubumbashi, Demokratische Republik Kongo, geborene
Sängerin erklärt zum Beispiel den Hintergrund ihres lässig groovenden
HipHop-Tracks „Courant d’Air“ mit einer Geschichte: „Es gab eine Zeit, …
der ich abgebrannt und obdachlos war. Damals rieten mir etliche Leute, dass
ich anschaffen gehen soll.“ Diesen Vorschlag hat die 24-Jährige nie
ernsthaft in Erwägung gezogen. Dennoch beschloss sie, im Rotlichtmilieu zu
recherchieren. Um der Frage nachzugehen: Wie leben eigentlich Frauen, die
ihre Körper verkaufen?
Aus diesen Nachforschungen entwickelte sie schließlich „Courant d’Air“.
Lous and the Yakuza erzählt in dem Song die Geschichte aus der Perspektive
eines Kindes, dessen Mutter Sexarbeiterin ist: „Wer sagt schon gern zu
seinen Mitschülern:,Mama ist eine Hure'? Für Kinder ist das hart.“
Umso mehr weiß es die Musikerin zu schätzen, dass ihre Eltern Ärzte sind.
Leicht hatte es ihre Familie trotzdem nicht. Als Lous gerade ein Jahr alt
war, floh ihre Mutter mit ihrer jüngeren Schwester aus dem Kongo nach
Belgien: „Weil sie in Ruanda geboren worden war, musste sie das Land
verlassen. Sonst wäre sie ins Gefängnis gekommen.“ Der Vater blieb mit den
drei anderen Kindern im Kongo. Mit vier Jahren zog Marie-Pierra zu ihrer
Mutter nach Europa, im Jahr 2000.
## Nirgendwo richtig heimisch
Ein Kulturschock sei das gewesen, erinnert sie sich. Nicht nur wegen der
Sprachbarriere: „Ich tat mich schwer damit, plötzlich in einem Brüsseler
Getto zu leben. Da meine Mutter in Belgien nicht als Ärztin praktizieren
durfte, konnten wir uns keine bessere Wohngegend leisten.“
2005 zog die gesamte Familie nach Ruanda, dort fühlte sich Marie-Pierra
allerdings nie richtig heimisch: „Obwohl der Völkermord der Hutu an den
Tutsi schon mehr als zehn Jahre zurücklag, waren die Menschen nach wie vor
traumatisiert. Das war keine schöne Zeit.“ Also überredete sie ihre Eltern,
wieder nach Belgien zurückkehren zu dürfen. Nach dem Abitur an einem
Internat wollte sie sich in Brüssel eine Karriere als Musikerin aufbauen.
Anfangs lief es für sie nicht: Sie wurde überfallen und verlor gar ihre
Wohnung. Monatelang lebte sie auf der Straße – bis sie Unterschlupf in
einem Tonstudio fand.
Dort nahm sie die ersten Stücke ihres nun veröffentlichten Debütalbums
„Gore“ auf – es verwebt HipHop mit Jazz, Soul, R&B und Pop zu einem
eigenwilligen Sound. Aus Marie-Pierra wurde Lous and the Yakuza.
Nicht umsonst hat die Sängerin diesen Künstlernamen gewählt. Yakuza
bedeutet einerseits extremer Weg, andererseits steht dieser Begriff für die
japanische Gangsterorganisation Yakuza: „Für mich symbolisiert dieser
Begriff vor allem Macht. Yakuza soll meinen Fans zu verstehen geben, dass
wir Schwarzen keine Verlierer sind, sondern Menschen mit Potenzial.“
## Verletzungen und Einsamkeit
Auf jeden Fall ist Marie-Pierra Kakoma stolz auf ihre Hautfarbe. Sie
inszeniert sie sich gern wie ein Chamäleon – mal mit roten Haaren, mal mit
Afro-Perücke. Ihr Äußeres mag exzentrisch sein, ihre Musik ist geradeaus.
In ihrem Liedern bringt sie ihre Erfahrungen dramatisch auf den Punkt. Beim
melancholischen „Dilemme“ umschmeichelt eingängiger R&B ihren Sprechgesang:
„Wenn ich könnte, würde ich allein leben – weit weg von den Menschen, die
ich liebe.“ Einsamkeit hat für sie ihren Reiz: „Ich wurde oft verletzt. Das
hat mich geprägt.“
Eine Eremitin wird aus Lous and the Yakuza indes nicht mehr. Immerhin
zelebriert sie mit „Tout est gore“ die Gemeinschaft, dabei gibt zeitweilig
ein Stimmverzerrer ihrem Gesang mehr Raum für Atmosphäre: „In diesem Lied
feiere ich die schwarze Community.“ „Amigo“ sticht mit seiner Euphorie
inklusive Wummerbeat heraus. Das Ergebnis ist eine Hommage an die
Freundschaft.
Wenn Lous and the Yakuza diesen Song mit dem Satz „Das Leben ist kein
Geschenk“ abschließt, wirkt das überhaupt nicht gekünstelt. Man spürt, da…
Lous niemals einfach etwas dahinsagt, sondern immer ein Stück migrantischer
Lebensrealität in ihrer Musik spiegelt.
28 Oct 2020
## AUTOREN
Dagmar Leischow
## TAGS
Musik
Brüssel
HipHop
Kongo
Migration
Afrika
Indigene Kultur
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
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