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# taz.de -- Geldtheorie aus den USA: Schulden sind kein Problem
> Bei den US-Demokraten ist eine neue Geldtheorie populär: die Modern Money
> Theory. Wenn Biden Präsident wird, dürfte MMT eine wichtige Rolle
> spielen.
Bild: Mehr als zehn Millionen US-Bürger haben während der Corona-Krise ihren …
Was nun? Der Demokrat [1][Joe Biden] dürfte zwar die US-Wahlen gewonnen
haben, aber damit ist die Corona-Krise nicht vorbei. Das Defizit im
amerikanischen Bundeshaushalt liegt bei sensationellen 3,3 Billionen
Dollar, und mehr als zehn Millionen US-Bürger haben ihre Stelle verloren.
Es dürfte sogar noch schlimmer kommen: Die Infektionszahlen schnellen
weiter in die Höhe, und in vielen Bundesstaaten droht ein Lockdown.
Die USA häufen Defizite auf, wie sie es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht
mehr getan haben. Kommt also die Pleite? Nein, natürlich nicht. Stattdessen
zeigt sich, dass sich reiche Staaten mühelos verschulden können – und dies
von den Finanzmärkten erwartet wird.
Die USA sind das beste Beispiel: Als im Februar deutlich wurde, dass sich
das Corona-Virus auch in Nordamerika rasant verbreiten würde, brach der
Aktienindex Dow Jones um rund 37 Prozent ein. Doch sobald die US-Regierung
schuldenfinanzierte Hilfsprogramme versprach, ging es mit den Börsen zügig
wieder aufwärts. Defizite waren nicht das Problem – sondern die Lösung.
Die Corona-Krise bestätigt damit eine Geldtheorie, die in den USA derzeit
Furore macht: die „Modern Money Theory“, gern zu MMT abgekürzt. Im Kern
besagt diese Theorie, dass unser Wirtschaftssystem ohne Staatsschulden gar
nicht funktionieren kann. Defizite sind gut, nicht schlecht.
Dieses Konzept wird von verschiedenen Volkswirten vertreten, aber der Star
ist Stephanie Kelton. Die 51-Jährige lehrt an der Stony Brook University
auf Long Island und ist Beraterin linker Demokraten; sie hat mit Bernie
Sanders, Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez zusammengearbeitet.
Im Juni erschien ihr Bestseller „The Deficit Myth“, der die Modern Money
Theory für Laien gut verständlich erklärt.
Die Vor- und Nachteile der MMT werden in den USA schon deswegen eine
politische Rolle spielen, weil die Republikaner die [2][Staatsschulden] ab
jetzt ununterbrochen skandalisieren werden. Nimmermüde werden sie die
Pleite der USA herbei reden. Denn das Thema hat zwei unschlagbare Vorteile
für die Opposition: Die Defizite werden garantiert weiter steigen, schon
weil die Corona-Krise nicht vorbei ist, und gleichzeitig zeigen Umfragen,
dass fast die Hälfte aller US-Bürger fest überzeugt sind, dass die
Staatsschulden ein enormes Problem seien.
[3][Trump] hat zwar ebenfalls permanent Defizite eingefahren, auch schon
vor Corona, weil er unbedingt die Mega-Reichen mit Steuersenkungen erfreuen
wollte. Aber Tatsachen sind für die Republikaner unerheblich und
„alternative Fakten“ längst ihr Markenzeichen. Nobelpreisträger Paul
Krugman prophezeite daher schon vor der Wahl düster: „Wenn Trump verliert,
werden die Republikaner nur etwa 30 Sekunden brauchen, um zur Behauptung
zurückzukehren, dass Haushaltsdefizite eine existenzielle Bedrohung seien.“
Die Demokraten sitzen damit in der gleichen Falle, in der sich auch schon
Barack Obama ab 2008 befand. Wie Biden sah sich Obama mit einer schweren
Wirtschaftskrise konfrontiert. Damals waren die Banken zusammengebrochen,
weil sie mit Ramschhypotheken gehandelt hatten – diesmal legt das
Corona-Virus die Wirtschaft teilweise lahm. In beiden Fällen waren und sind
Konjunkturpakete nötig.
Einen Unterschied gab es allerdings: Obama verfügte in den ersten zwei
Jahren über eine Mehrheit im Senat. Er war also allmächtig. Trotzdem rang
er sich nicht dazu durch, ein Konjunkturpaket aufzulegen, das groß genug
gewesen wäre. Damals wären mindestens 1,3 Billionen Dollar nötig gewesen,
wie Obamas ökonomische Beraterin Christina Romer vorrechnete. Noch besser
wären 1,8 Billionen Dollar gewesen. Doch Obama segnete schließlich nur 787
Milliarden Dollar ab, weil er die Schuldenphobie vieler Wähler fürchtete.
Die Folge: Es dauerte mehr als sechs Jahre, um die Jobs wieder neu zu
schaffen, die in der Finanzkrise verloren gegangen waren. Trump hat die
Wahlen 2016 auch gewonnen, weil viele Nicht-Akademiker das Gefühl hatten,
dass sie von den Demokraten verraten worden waren. Dieses Misstrauen ist
bis heute nicht gänzlich verflogen, wie sich daran zeigt, dass Biden
Wisconsin und Michigan nur knapp gewinnen konnte.
Die Demokraten haben aus ihren Fehlern gelernt. Diesmal wollen sie ein
großes Konjunkturpaket, um in Infrastruktur und Klimaschutz zu investieren.
Dieser Stimmungsumschwung ist teils Keynesianern wie Paul Krugman zu
verdanken, die schon immer staatliche Investitionen gefordert haben, wenn
die Wirtschaft lahmt.
## Geld aus dem Nichts
Aber auch die Modern Money Theory war wichtig, weil das Konzept
einleuchtend erklärt, warum Staatsschulden im Kapitalismus meist gar kein
Problem, sondern zwingend nötig sind. Der Ausgangspunkt ist, dass Geld aus
dem Nichts entsteht, wenn ein Kredit vergeben wird. Der Staat muss also
nicht erst Steuern einsammeln, um Ausgaben zu tätigen – sondern die
Regierung kreiert einfach das Geld, das sie braucht, indem sie sich
verschuldet. Der Staat kann autonom agieren.
Nur eine Grenze ist zu beachten: Der Staat darf keine Inflation erzeugen,
indem er munter Geld schöpft. Doch solange die Arbeitslosigkeit hoch ist,
sind steigende Preise unwahrscheinlich – weil viele Menschen gar nicht das
nötige Geld haben, um Waren zu kaufen.
MMT ist keine perfekte Theorie, sondern hat auch Schwächen. Aber es würde
hier zu weit führen, die Fehler aufzuzählen. Wichtig ist, dass die
demokratische Partei begriffen hat, dass Staatsdefizite nicht „böse“ sind.
Bleibt nur ein Problem: Die Republikaner dürften weiterhin die Mehrheit im
Senat stellen – und können dort den US-Haushalt blockieren. Allerdings
agieren auch die Republikaner nicht im luftleeren Raum. Viele ihrer Wähler
besitzen Aktien, aber die Börsenkurse bleiben nur stabil, wenn der Staat
eingreift. Dies ist ja die Lehre aus Corona.
5 Nov 2020
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## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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