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# taz.de -- Dezentrales Theaterspiel für zuhause: Spiel im Lockdown
> Wer kommt in das Pandemie-Schutzprogramm? Das Telegram-Theaterspiel
> „Homecoming“ von machina eX.
Bild: Szene aus dem Game „Homecoming“ von machina eX
Das neue Theatergame von machina eX begann analog und dezentral. Die
klassische Post lieferte ein Päckchen zu allen Teilnehmenden aus, ganz
unspektakulär an die physische Wohnadresse. Im Paket befand sich ein
Testset, mit dem man seine Eignung für ein europaweites
Pandemieschutzprogramm nachweisen sollte.
Das schien von der nahen Zukunft auch in der ganz real-analogen Welt nicht
allzuweit entfernt: ein Staat, der sich sorgt, oder Sorge zumindest
vorgibt, und der seine Bewohner*innen nach Kriterien wie Alter,
Vulnerabilität und sozialer Praxis clustert, was im Einzelfall durchaus
diskriminierend wirkt und zuweilen tief in die eigene Privatsphäre
eindringt. Und ob man mit dem Schutzprogramm tatsächlich gut geschützt ist,
bleibt unsicher. Das ist im Spielsetting von „Homecoming“ so und in der
analogen Realität kaum anders.
Insofern ist das Game sehr auf der Höhe der Zeit. Der Horror ist im Laufe
der Produktionen dieser Game-Theater-Pioniere immer näher gekommen an den
sozialen Kontext der Mitspielenden. Die ersten Games von machina eX
orientierten sich vor allem an Science-Fiction-Narrativen, fern in der
Zeit, zuweilen auch fern von der Erde. Später kamen Migrationsdramen, die
dem klassischen Teilnehmendenkreis von machina eX zwar über die
Nachrichtenmedien bekannt, aber meist eher aus zweiter Hand vertraut war.
## Die Themensetzung wird immer mutiger
Und die Finanzmarktgames waren ebenfalls noch knapp neben der
Lebensrealität des Gros der Spieler*innen angelegt. Mit „Homecoming“ –
sowie dem Vorgängerspiel „Lockdown“ stießen die Spielentwickler*innen nun
aber stracks zu einem alle betreffenden Problem vor. Von der Themensetzung
wird das Berliner Kollektiv also immer mutiger.
„Homecoming“ wirft nicht nur die Frage auf, welche Form von Schutz vor
Viren die beste ist. Es geht auch darum, welchen Schutzinstanzen überhaupt
zu trauen ist. Und nicht zuletzt taucht als Folgeproblem auf: Wenn der und
die Einzelne als der Rettung würdig eingestuft wurde, wer gehört dann noch
zum Kreise dieser Glücklichen? Kristallisiert sich da eine neue Superelite
heraus, bei der man gern Anschluss fände? Oder doch eher ein algorithmisch
konstruierter Superabschaum? Will man also dazugehören oder doch lieber in
die alten sozialen Kontexte zurück?
Mit all diesen Fragen werden die Mitspielenden zunächst allein gelassen
Auch das ist nah am realen Pandemie-Dasein, am Einschluss im Homeoffice, am
Nachdenken darüber, welche Art der Interaktion noch erlaubt, gar erwünscht
ist und welche, ob erlaubt oder nicht, bei potenziellen
Kommunikationspartner*innen auf positives Feedback treffen könnte. All
diese Reflexionen machten den Reiz des Vorspiels aus.
## Mehrere parallel aufgestellte Gruppen auf Telegram
Das eigentliche Spiel ereignete sich dann auf der Oberfläche des
Messengerdienstes Telegram. Man wurde zu einer von mehreren parallel
aufgestellten Gruppen zugeschaltet und dabei mit Menschen im Lockdown
konfrontiert. Eine der beiden Figuren, die von machina eX geführt wurden,
kam besser mit der Situation zurecht. Die andere drohte an der Einsamkeit
zu zerbrechen.
Sie sandte von Runde zu Runde paranoider wirkende Video- und
Audiobotschaften. Aufgabe für die Teilnehmenden war es nun, gemäß der
eigenen Restmenschlichkeit die verunsicherte Figur zu beruhigen und
zugleich herauszufinden, ob deren Test für das Schutzprogramm zur Aufnahme
in Letzteres geführt hatte.
Die Aufgaben erfüllten die einzelnen Gruppen je nach Vertrautheit mit den
Rätsellösungsstrukturen von machina eX mal schneller und mal langsamer. Die
einzusetzenden Mittel waren weniger vielfältig als beim Vorläufergame
„Lockdown“. Das war einerseits schade, andererseits waren die Möglichkeiten
des Scheiterns – und damit die Gefahr, stundenlang im Spiel zu versinken –
konsument*innenfreundlich reduziert.
## Telegram-Theater als Erweitung des Theatererlebnisses
Völlig auf der Strecke blieb beim wilden Austauschen lösungsorientierter
Nachrichten allerdings die Debatte darüber, ob es tatsächlich so schlau
ist, der verängstigten Figur beim Einstieg ins Schutzprogramm zu helfen.
Vielleicht hatte sie aus gutem Grund Angst vor dem Programm?
Es zeigte sich wieder einmal: Der homo ludens, der spielende Mensch, ist
nicht unbedingt ein tief schürfender Gesellschaftsanalytiker. Die
Motivation, warum die politische Macht neben dem Brot auch immer wieder
Spiele zur Dauersedierung des vermeintlichen Souveräns einsetzt, erschloss
sich ebenfalls ziemlich deutlich.
Klar wurde aber auch: Telegram-Theater kann das Theatererlebnis zwar als
solches erweitern. Beim frisch verkündeten Lockdown light stellt es sogar
eine der wenigen möglichen Theaterformen überhaupt dar. Insofern ist es
schade, dass sich die beteiligten Theater noch nicht zu einer Fortsetzung
des Games über den kompletten Monat November entschließen konnten.
Komplett ersetzen kann diese Spielform das hergebrachte Theater allerdings
nicht. Selbst der Gruppenchat nach dem Game – ist ein nur unvollkommener
Ersatz für das Gespräch danach, das dialogische Reflektieren von
Schauspieler*innenleistung und dramaturgischer Qualität, von Raumerfahrung
und emotionaler Berührtheit ersetzen.
30 Oct 2020
## AUTOREN
Tom Mustroph
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