| # taz.de -- Wahlen in der Elfenbeinküste: Die große Angst | |
| > In der Elfenbeinküste stellt sich Präsident Ouattara am Samstag zur | |
| > Wiederwahl. Gegner rufen zum Boykott auf. Im Wahlkampf starben bereits | |
| > Dutzende. | |
| Bild: Die von militanten Oppositionellen am 13. August in Brand gesteckte Poliz… | |
| Bonoua/Abidjan taz | Fernand Wognin Sangha hat zu tun. In der prallen | |
| Mittagssonne verteilt er T-Shirts mit dem Porträt von Präsident Alassane | |
| Ouattara. Er prüft, ob die weißen und blauen Plastikstühle ordentlich | |
| stehen, und kontrolliert die Musikanlage. Zwei Stunden bleiben noch, bis | |
| der Gesundheitsminister der Elfenbeinküste in Bonoua eintreffen soll. Ein | |
| wichtiger Besuch für die Stadt, findet Fernand Wognin Sangha, | |
| Jugendorganisator der regierenden RHDP (Sammlung der Houphouetisten für | |
| Demokratie und das Volk) im Ort. Dass der 78-jährige Präsident nicht | |
| persönlich kommt, sei zwar schade, aber in Ordnung. „Er kann nicht überall | |
| sein so kurz vor der Wahl“, sagt der junge Politiker. | |
| Bonoua, die „Hauptstadt des Ananasanbaus“ eine gute Stunde Autofahrt von | |
| der ivorischen Wirtschaftsmetropole Abidjan entfernt, gilt eigentlich als | |
| Bastion von Ouattaras einstigem Erzfeind und Bürgerkriegsgegner Laurent | |
| Gbagbo und dessen Ivorischer Volksfront (FPI). Für Sangha ist diese | |
| Konfrontation jedoch veraltet. In den vergangenen zehn Jahren habe sich | |
| viel geändert und Ouattara an Popularität gewonnen. | |
| Dennoch kam es Mitte August in Bonoua zu [1][schweren Unruhen], als | |
| Ouattara seine [2][Kandidatur für eine dritte Amtszeit] ankündigte – | |
| während Gbagbo, der die Macht mit seiner Wahlniederlage gegen Ouattara 2010 | |
| verlor und wegen der anschließenden Unruhen und Kämpfe mit 3.000 Toten vor | |
| dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag landete, nicht als | |
| Kandidat zugelassen wurde. Der Grund: Er war in Abwesenheit in der | |
| Elfenbeinküste zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Und das | |
| Revisionsverfahren in Den Haag nach seinem Freispruch läuft noch, er lebt | |
| momentan in Belgien. | |
| Als klar war, dass Ouattara erneut antreten wird, brannte in Bonoua die | |
| Polizeistation. Drumherum haben zwar heute längst wieder Marktfrauen ihre | |
| Stände aufgebaut. Doch das leere Gebäude und die Autowracks hat bis heute | |
| niemand weggeräumt. | |
| Nur wenige Meter entfernt steht im hellblauen Poloshirt Roger Kadjo Adje. | |
| „Wir hier in Bonoua betrügen nicht. Wir kämpfen bis zum Letzten“, sagt der | |
| FPI-Anhänger. Von Ouattara, der jahrelang versichert hatte, 2020 sei für | |
| ihn Schluss, fühlt er sich verraten. Wie ihm würde es vielen gehen, | |
| behauptet er. Was ihn am meisten ärgert, sei die Unverhältnismäßigkeit. | |
| „Wir demonstrieren und die tun so, als ob wir Krieg führen. Sie haben | |
| schwere Waffen.“ Auch habe die Opposition keine Chance, ihren Unmut | |
| friedlich zum Ausdruck zu bringen. „Wir haben mit dem Kommissar gesprochen, | |
| mit allen Verantwortlichen. Doch eine Genehmigung für eine Demonstration | |
| gab es nie.“ | |
| Bei [3][Protesten und Unruhen] sind seit August in der Elfenbeinküste | |
| mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen, die Chefanklägerin des | |
| Internationalen Strafgerichtshofs hat sich am Mittwoch „sehr besorgt über | |
| die Eskalation der Gewalt“ geäußert. Deutlich wird im Vergleich zu früheren | |
| Wahlen, dass die Gewalt immer früher eskaliert. In Bonoua starben im August | |
| vier junge Menschen, seitdem gab es weitere Tote. „Wir haben viel | |
| verloren“, sagt Kadjo Adje über die vergangenen zehn Wochen. | |
| ## Angst vor dem Wahltag | |
| Eine Frau, die alles verloren hat, liegt zwei Straßen weiter vor ihrem Haus | |
| auf einer Liege. Thérèse Adje schaut teilnahmslos eine Gruppe von Frauen | |
| an, die ihr gerade einen Besuch abstattet. Am 19. Oktober starb ihr | |
| 25-jähriger Sohn Armel. „Ein guter Junge, so ruhig, so freundlich. Jemand, | |
| der mir immer geholfen und Besorgungen für mich gemacht hat“, sagt die | |
| hagere Frau im blau-gelben Kleid nach einer Weile. Die Familie hat große | |
| Fotos des Verstorbenen ausgedruckt, seine Mutter schaut sie immer wieder | |
| an. | |
| Armel war ein zufälliges Opfer. Der junge Mann hatte an jenem Montagmorgen | |
| etwas in der Stadt zu erledigen. Er kam nicht wieder. Am Nachmittag wurde | |
| sein Vater Frederic Kissi ins Rathaus gerufen. Dorthin war die Leiche des | |
| Sohnes gebracht worden. | |
| Es graut Therèse Adje vor dem kommenden Samstag, dem Wahltag. Wählen wird | |
| sie nicht. „Ich habe gar keine Wählerkarte.“ Aus gesundheitlichen Gründen | |
| hatte sie diese nicht beantragen können. Bis zum 25. Oktober hatten laut | |
| Wahlkommission nur gut 41 Prozent der fast 7,5 Millionen registrierten | |
| Wähler*Innen ihre Karten abgeholt, die zum Urnengang berechtigen – sehr | |
| wenig für ein Land mit über 27 Millionen Einwohnern. | |
| Das liegt vielleicht auch daran, dass große Teile der Opposition zum | |
| „aktiven Boykott“ der Wahl aufrufen. Niemand kann und will vorhersagen, was | |
| am Wahltag passiert. Für Spekulationen sorgen Tweets von Guillaume Soro, | |
| dem einstigen Rebellenchef. Soro galt eine Zeit lang als Nachfolger | |
| Ouattaras, lebt aber seit 2019 im Exil im Frankreich und wurde im April in | |
| Abwesenheit wegen Unterschlagung zu 20 Jahren Haft [4][verurteilt]. Als | |
| Präsidentschaftskandidat ist er damit disqualifiziert. Aber Soro twittert | |
| munter, dass am 31. Oktober die Ära Ouattara beendet werde. Manchmal auch, | |
| dass es gar keine Wahlen geben werde. Es ist unklar, wie viel Rückhalt er | |
| im Land hat. Sicher ist jedoch: Seine Aussagen werden ernst genommen. | |
| Die Sicherheitskräfte der Elfenbeinküste sind in Alarmbereitschaft. | |
| Zwischen Bonoua und Abidjan halten sie Autos an und kontrollieren die | |
| Papiere. Im Zentrum von Abidjan, wo die Hochhäuser der Wirtschaftsmetropole | |
| des frankofonen Westafrikas eine beeindruckende Skyline bilden, ist nicht | |
| viel Wahlwerbung zu sehen. Ab und zu taucht ein Plakat von Ouattara auf, | |
| jedoch sind es weit weniger als noch vor fünf Jahren. Auch der sogenannte | |
| Adopark – „Ado“ ist Ouattaras Spitzname – am Kreisverkehr Mel Théodore | |
| fällt klein aus. Seine Wahlkämpfer*innen haben eine Bühne aufgebaut, | |
| die Musik ist ohrenbetäubend, und jede*r, der/die kommt, erhält ein grünes | |
| T-Shirt. Richtige Partylaune kommt jedoch nicht auf. Angekarrt werden | |
| ohnehin nur RHDP-Sympathisant*innen und Jugendliche. Wer Fragen hat, erhält | |
| hier keine Antworten. | |
| ## Aufrufe zum Wahlboykott | |
| Ab und zu wehen in der Stadt ein paar Fahnen, auf denen KKB steht. Die | |
| Initialen, die in Gesprächen immer wieder Gelächter hervorrufen, stehen für | |
| Kouadio Konan Bertin. Der 51-Jährige, der bei den Wahlen 2015 als | |
| Parteiloser 3,9 Prozent geholt hatte, präsentiert sich als Bewerber der | |
| Jugend. Er ist zwar gut dreißig Jahre älter als das Durchschnittsalter in | |
| der Elfenbeinküste, aber auch fast dreißig Jahre jünger als der Präsident. | |
| KKB ist der einzige Oppositionskandidat, der nicht zum „aktiven Boykott“ | |
| und zivilen Ungehorsam aufruft. Dies tun FPI-Kandidat Pascal Affi N’Guessan | |
| und Henri Konan Bédié von der PDCI (Demokratische Partei der | |
| Elfenbeinküste). Die PDCI regierte das Land von 1960 bis 1999, Bédié war | |
| von 1993 bis 1999 ihr letzter Staatschef und gehört seit Jahrzehnten mit | |
| Ouattara und Gbagbo zum scheinbar [5][ewigen ivorischen Machtdreieck]. Wenn | |
| einer der drei weitermacht, können sich die Übrigen nicht zurückziehen. | |
| Vor Bédiés Wahlkampfzentrale im Stadtteil Cocody deutet im ersten Moment | |
| allerdings nichts auf Boykott hin. Noch sieht alles nach Wahlkampf aus, und | |
| auf großen grün-weißen Plakaten wird versprochen, dass der 86-Jährige Elan | |
| und neuen Schwung in die Politik bringt. Hinter dem großen grünen Tor | |
| herrscht jedoch träge Ruhe. Kaum jemand ist da. Aus der | |
| Kommunikationsabteilung heißt es, man habe am Mittwoch noch einen | |
| Protestzug organisieren wollen, hatte die Presse aber nicht eingeladen. Vom | |
| großen Boykott ist wenig zu spüren. | |
| Lauter tritt FPI-Kandidat Pascal Affi N’Guessan auf, der vor fünf Jahren | |
| mit 9,2 Prozent hinter Ouattara Zweiter wurde. Er war einst ein Vertrauter | |
| Gbagbos, gilt in der FPI aber nicht als Hardliner, was zu einer Spaltung | |
| geführt hatte. Motivieren und die Masse begeistern wie Gbagbo kann er | |
| nicht, und es fehlt ihm an Rückhalt. In diesen Tagen gibt sich der | |
| 67-Jährige jedoch angriffslustig. „Für uns gibt es am 31. Oktober keine | |
| Wahlen“, sagt er. Schon jetzt sei klar: Was an dem Tag geschieht, sei nicht | |
| glaubhaft und könne nicht anerkannt werden. Ähnlich äußert sich Gbagbo | |
| selbst: „Wir steuern auf eine Katastrophe zu“, sagte er am Donnerstag in | |
| einem Radiointerview in Belgien. | |
| Mit inhaltlicher Arbeit zur Zukunft des Landes ist die Opposition in den | |
| vergangenen Monaten allerdings nicht aufgefallen. Stattdessen ist alles auf | |
| Konfrontation ausgerichtet. In der Nacht zu Donnerstag brannten Autos in | |
| Abidjans FPI-Hochburg Yopougon, ein Mann wurde erstochen aufgefunden. Je | |
| näher der Wahltag rückt, desto präsenter sind Polizei und Gendarmerie an | |
| den Kreuzungen in Abidjan. Ganze Nachbarschaften sprechen sich per | |
| WhatsApp untereinander ab: Sollen die Tore zu den Wohnanlagen am Samstag | |
| geschlossen bleiben? Kann jemand für alle Fälle dort Getränke verkaufen? | |
| In Bonoua streicht Thérese Adje vorsichtig über das Foto ihres Sohnes. Sie | |
| schweigt. Mit der Politik habe sie nichts zu tun. Eins kann sie jedoch | |
| nicht nachvollziehen: dass die Fronten so verhärtet sind. „Ich verstehe | |
| nicht, warum es immer wieder eskaliert, warum Tränengas eingesetzt und auf | |
| Demonstrant*innen geschossen wird. Warum können die Politiker sich | |
| nicht zusammensetzen und miteinander sprechen?“ | |
| Die Jugendvertreter*innen der Parteien in Bonoua machen das vor. | |
| Roger Kadjo Adje und Fernand Wognin Sangha kennen sich gut und tauschen | |
| sich aus. Gewalt wie in den vergangenen Wochen wollen beide nicht noch | |
| einmal erleben, da sind sie sich einig. „Letztendlich sind wir doch Brüder. | |
| Das ist wichtiger als die ganzen Auseinandersetzungen“, sagt Fernand Wognin | |
| Sangha. | |
| 30 Oct 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Proteste-in-der-Elfenbeinkueste/!5707338 | |
| [2] /Praesidentenwahl-in-der-Elfenbeinkueste/!5701686 | |
| [3] /Wahlunruhen-in-Westafrika/!5722971 | |
| [4] /Hartes-Urteil-in-der-Elfenbeinkueste/!5682126 | |
| [5] /Vor-den-Wahlen-in-der-Elfenbeinkueste/!5699099 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
| ## TAGS | |
| Elfenbeinküste | |
| Alassane Dramane Ouattara | |
| Laurent Gbagbo | |
| Henri Konan Bédié | |
| Abidjan | |
| Recherchefonds Ausland | |
| Elfenbeinküste | |
| Elfenbeinküste | |
| Elfenbeinküste | |
| Elfenbeinküste | |
| Westafrika | |
| Elfenbeinküste | |
| Guinea | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wahlen in der Elfenbeinküste: Ouattaras unschöner Sieg | |
| Der Präsident gewinnt die von der Opposition boykottierte Wahl haushoch, | |
| aber Beobachter üben Kritik. Die Opposition gründet einen „Übergangsrat“. | |
| Wahlen in der Elfenbeinküste: Die jammernde Opposition | |
| Dem Antiregierungsblock in der Elfenbeinküste ist es nicht gelungen, eine | |
| Alternative anzubieten. Die Aufrufe zum Wahlboykott helfen nicht weiter. | |
| Wahltag in der Elfenbeinküste: Vorsicht, es wird gewählt | |
| In der Metropole Abidjan gibt es wenige Störungen im Wahlablauf. Es gibt | |
| aber auch nur vereinzelt großen Andrang vor den Wahllokalen. | |
| Analyst über Wahl in der Elfenbeinküste: „Für ganz Westafrika von Bedeutun… | |
| Der politische Analyst Gilles Yabi erklärt, was bei der Wahl in der | |
| Elfenbeinküste auf dem Spiel steht – und warum er dennoch keinen Krieg | |
| erwartet. | |
| Generationskonflikte in Westafrika: Afrikanischer Herbst | |
| Westafrika ist in Aufruhr. Nie schienen die Perspektiven der Jugend so | |
| blockiert wie heute, in einer Ära greiser Herrscher und globaler | |
| Abschottung. | |
| Unruhen in der Elfenbeinküste: Heißer Wahlkampf | |
| Seit die Opposition in der Elfenbeinküste zum „aktiven Boykott“ der Wahlen | |
| aufruft, erschüttert Gewalt das Land. Proteste ergreifen Abidjan. | |
| Wahlen in Guinea: Dann zittert ganz Westafrika | |
| Guineas Präsident Alpha Condé, einst Modernisierer, kandidiert am Sonntag | |
| für eine dritte Amtszeit. Westafrikas Wahlmarathon beginnt mit Gewalt. |