| # taz.de -- Wahlen in Guinea: Dann zittert ganz Westafrika | |
| > Guineas Präsident Alpha Condé, einst Modernisierer, kandidiert am Sonntag | |
| > für eine dritte Amtszeit. Westafrikas Wahlmarathon beginnt mit Gewalt. | |
| Bild: Militante Anhänger des Präsidenten blockieren die Straße nach Kankan, … | |
| Berlin taz | Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshof | |
| erklärt sich „sehr besorgt“. Die afrikanischen Wahlbeobachter warnen | |
| gemeinsam vor „Gewalt und Hassreden auf ethnischer Grundlage“. Präsident | |
| Alpha Condé selbst sagt auf einer Kundgebung: „Diese Wahl ist nicht nur | |
| eine Wahl, es ist wie im Krieg.“ | |
| Je näher die Wahlen in Guinea am kommenden Sonntag rücken, desto größer | |
| werden die Sorgen. Guinea kannte zuletzt vor rund 20 Jahren Bürgerkrieg, | |
| als die Konflikte in Liberia und Sierra Leone übergriffen. Heute ist der | |
| Kontext ein anderer: die Ausbreitung islamistischer Gewalt in Mali, Burkina | |
| Faso und Niger – und eine Reihe polarisierter Wahlen in Westafrika, die in | |
| Guinea beginnt, Ende Oktober in der Elfenbeinküste ihre Fortsetzung findet | |
| und bis Dezember Ghana, Burkina Faso und Niger erreicht. | |
| In all diesen Ländern ringen zunehmend ungeliebte Präsidenten um die | |
| Wiederwahl. Wie fragil ihre Position ist, zeigte sich im August in Mali, | |
| als das Militär unter dem Jubel der Bevölkerung den gewählten Präsidenten | |
| Ibrahim Boubara Keïta [1][stürzte] – den am stärksten von Europa | |
| militärisch unterstützten Staatschef der Region. | |
| Für Guinea war das ein Alarmsignal. Malis Hauptstadt Bamako liegt nur 120 | |
| Kilometer von der Grenze entfernt, und erst vier Wochen vorher hatte | |
| Guineas Präsident Alpha Condé seinem Amtskollegen Keïta seine „totale und | |
| vollständige Solidarität“ zugesichert und erklärt: „Mali und Guinea sind | |
| zwei Lungenflügel in einem Körper, und alles, was Mali betrifft, betrifft | |
| auch Guinea.“ | |
| Da war längst klar, dass Guinea mit den Wahlen ebenfalls auf eine | |
| politische Konfrontation zusteuert. Mittels einer neuen Verfassung sicherte | |
| sich der 82-jährige Condé im März das Recht auf eine dritte Amtszeit, | |
| nachdem er schon zweimal fünf Jahre regiert hat. Die politische Opposition | |
| wandte sich mit Massenprotesten gegen das Vorhaben, aber eine | |
| [2][Volksabstimmung] billigte Condés Vorhaben. | |
| Jetzt kandidiert der Präsident für seine dritte Amtszeit, und seine Gegner | |
| bezeichnen das als Verfassungsputsch. [3][Gewalt] im Wahlkampf und in den | |
| Auseinandersetzungen um das Verfassungsreferendum hat laut Opposition 92 | |
| Tote gefordert. | |
| ## Autoritäre Strukturen | |
| Doch Guineas Konfrontation ist nicht einfach eine zwischen Staatsmacht und | |
| Opposition. [4][Präsident Alpha Condé] ist eigentlich der dienstälteste | |
| Veteran der guineischen Demokratiebewegung, die jahrzehntelang gegen eines | |
| des finstersten Militärregime Afrikas kämpfte. Er verbrachte viel Zeit im | |
| Gefängnis und im Exil, bis er 2010 zurückkehrte, um als alter Mann sein | |
| kaputtes Land zu sanieren. | |
| Er sieht sich seitdem als einsamer Rufer in der Wüste, der Guinea ganz | |
| alleine [5][modernisiert], und dessen Gegner bloß meckernde Egoisten sind. | |
| Aber mit zunehmender Verweildauer im Amt hat sich Condé mehr und mehr auf | |
| die autoritären Strukturen verlassen, die er geerbt hat – auch, weil er | |
| vermutlich sonst längst weggeputscht worden wäre. Das Massaker der Armee an | |
| Demonstranten der Demokratiebewegung am 28. September 2009, das 158 Tote | |
| forderte und das Ende der Militärherrschaft einläutete, ist bis heute nicht | |
| juristisch aufgearbeitet. | |
| Im Wahlkampf bekommt die Opposition in Condés Hochburgen um die Stadt | |
| Kankan, von seiner Ethnie der Malinké dominiert, keinen Fuß auf den Boden. | |
| Der Oppositionskonvoi wurde am vergangenen Sonntag weit vor Kankan von | |
| militanten Jugendlichen blockiert, bevor am Dienstag Condé auftrat, | |
| Internet für jedes Dorf versprach und verkündete: „Ich will Guinea nicht | |
| den Dieben und Lügnern überlassen. Ich zähle auf die Jugend.“ | |
| Umgekehrt hat sein Hauptgegner, Cellou Dalein Diallo, nie verwunden, dass | |
| er 2010 nicht Präsident wurde, obwohl er in der ersten Wahlrunde Condé mit | |
| 40 gegen 21 Prozent geschlagen hatte. Er kandidiert jetzt ebenso wie Condé | |
| zum dritten Mal, und als Vertreter von Guineas größter Volksgruppe der Peul | |
| sieht er sich im historischen Recht. | |
| Er nimmt dafür auch die Spaltung der Opposition in Kauf, die eigentlich die | |
| Wahl boykottiert. Diallo moniert „eine verfälschte Verfassung, eine | |
| unvollständiges Wahlregister, eine totale Unterwerfung von Wahlkommission | |
| und Verfassungsgericht“ – aber er tritt trotzdem an. | |
| Denn Condé und Diallo versuchen gar nicht erst, Gegner zu überzeugen. Sie | |
| mobilisieren ausschließlich die eigene Basis. Zwar mahnen sie beide zur | |
| Mäßigung: In Kankan verurteilte Condé die Gewalt gegen die Opposition, und | |
| Diallo spricht sich gegen die Instrumentalisierung der Ethnie aus. Doch | |
| sparen sie nicht mit Beschimpfungen. Condé sei „weder körperlich noch | |
| geistig“ zu einer weiteren Amtszeit in der Lage, holzt Diallo. Der | |
| Präsident kontert, seine Gegner würden „im Mülleimer der Geschichte“ | |
| landen. | |
| ## Peul gegen Malinke | |
| Für beide ist es vermutlich die letzte Schlacht, nicht aber für Guineas | |
| Jugend. Was machen nach einem Condé-Wahlsieg die Peul-Jugendlichen? In Mali | |
| und Burkina Faso haben sich marginalisierte Peul [6][islamistischen | |
| Untergrundkämpfern angeschlossen]. Aus Guinea ist eine Rekrutierung bisher | |
| nicht bekannt, aber Diallos Heimatstadt Labé im zentralen Hochland wird | |
| zuweilen als Durchgangsstation für Kämpfer aus anderen Ländern genannt. | |
| Die Ethnie der Malinke stellt demgegenüber mit Condé nicht nur den | |
| Präsidenten Guineas. Ihr gehört auch, unter dem Namen Dioula, Alassane | |
| Ouattara an, der Präsident der [7][Elfenbeinküste], der zwei Wochen nach | |
| Condé unter ebenso umstrittenen Umständen für eine dritte Amtszeit antritt. | |
| Auch Malis gestürzter Präsident Keïta ist Malinke. | |
| Alle drei sind befreundet. Condés zweite Ehefrau Mama Kanny, heute seine | |
| Planungsministerin, war einst angeblich eine Jugendgeliebte Ouattaras. | |
| Pikant: Mama Kanny ist Peul. Eine Trennung von Volksgruppen gibt es in | |
| Westafrika nicht. Im Gegenteil: Die Politiker aller Ethnien kennen sich | |
| gegenseitig so gut, dass persönliche Beziehungen immer wieder über die | |
| Politik entscheiden, länderübergreifend. Die Wahlurne ist zweitrangig. | |
| Deswegen entscheidet Guinea am Sonntag über viel mehr als nur den eigenen | |
| Präsidenten. | |
| 15 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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