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# taz.de -- Spielfilm über die Antifa: Vom Alphatier zum Hasenfuß
> Wie viel Egoismus steckt im Aktivismus? Julia von Heinz’ Spielfilm „Und
> morgen die ganze Welt“ schildert die Antifa aus der Sicht einer zornigen
> Studentin.
Bild: Da macht Luisa (Mala Emde) die Antifa noch Spaß. Später wird es ernst
Woran merkt man, dass mit der Welt etwas nicht in Ordnung ist? Und was
bringt einen dazu, sie ändern zu wollen? Bei Luisa (Mala Emde) beginnt es
im Container, wahrscheinlich auch schon früher. Als die junge Frau zusammen
mit ein paar anderen nachts vor einem Supermarkt im Wohlstandsmüll wühlt,
spürt sie bereits deutlich: Etwas ist faul – und das sind nicht die
weggeworfenen essbaren Lebensmittel.
Die Erstsemesterstudentin, der die heimatlichen Nestfedern (verarmter Adel
mit Jagdhobby und viel liebevoller Aufmerksamkeit) noch unsichtbar im Haar
hängen, ist gerade dabei, über die Vermittlung ihrer besten Freundin Batte
(Louisa-Céline Gaffron) in eine kommunenartige Hausgemeinschaft in Mannheim
zu ziehen. Dort scheint man bereits tüchtig mit dem Ändern der Welt
beschäftigt zu sein, zumindest zeigen sich mögliche Vorboten: Plenum,
Plakate malen, [1][Antifa-Demos], Selbstverteidigung, Party.
Die zunächst schüchterne Luise legt los, demonstriert, kocht Suppe, lernt
boxen, befürchtet zu Recht den Rechtsruck der Gesellschaft, beschließt, ihn
zu bekämpfen – und erlebt das erste Mal Todesangst, als sie bei der
Kundgebung einer rechtspopulistischen, unschwer als AfD-Klon erkennbaren
Partei nach einem Handgemenge von einem Rechten mit Bomberjacke verfolgt
und niedergeschlagen wird: Sie macht sich in die Hose.
Es sind Details wie diese, die Julia von Heinz’ in Teilen autobiografischen
Film verdichten und seine mit vitaler, beweglicher Kamera eingefangene
Atmosphäre mit Authentizität aufladen. Wie ihre Protagonistin Luise war
auch von Heinz politisch im Kampf gegen Rechtspopulismus und -radikale
aktiv, allerdings in den 1990ern, als Teenager. Luisa ist dagegen 20, über
das Kopfsteinpflaster Mannheims radelt sie zur Uni, um bei Juravorlesungen
die Theorie zu lernen, was sie in der Praxis nach und nach als unzureichend
empfindet. Denn weder die legalen rechtlichen Möglichkeiten noch das
Demonstrieren genügen ihr bald.
Und so erzählt von Heinz’ Film, der im Wettbewerb der Filmfestspiele von
Venedig angesichts der starken Auswahl leer ausging, zwar einerseits von
dem Erwachen eines politischen Bewusstseins. Doch andererseits sucht und
seziert er dabei das Private im Politischen: Wie auf einem Schachbrett
setzt die Regisseurin und Drehbuchautorin ihre Figuren um Luisa herum.
Batte, der Gaffron eine bezaubernde Vernunft mitgibt, hat ihre Freundin
zwar in die Antifa-Szene hereingeholt, weiß aber – im Gegensatz zu der sich
immer mehr radikalisierenden Luisa –, wo ihre persönlichen Grenzen sind:
Gewalt ist ausgeschlossen. Sie will weder sich noch andere in Gefahr
bringen.
Der sanfte Dietmar (Andreas Lust), ehemaliges Mitglied der Revolutionären
Zellen, spiegelt die Aktionsbereitschaft der Jüngeren mit freundlicher
Resignation – er saß bereits für die Sache im Knast und ist nicht mehr
überzeugt von der Effektivität zivilen politischen Handelns. Luisa dagegen
driftet nach der, man darf sagen: traumatischen Gewalterfahrung, bei der
ihr der charismatische Kommunarde Alfa (Noah Saavedra) beispringt, in eine
andere Richtung.
Sie beginnt, mit Alfa und seinem besten Freund Lenor (Tonio Schneider),
deren Namen sprechend sind, Pläne zu schmieden und auszuführen. Zunächst
belauscht und beobachtet man die Rechten, macht sodann Waffenverstecke,
später auch Pläne ausfindig. Und überlegt schon bald, wirklich aktiv zu
werden, das Maulheldentum hinter sich zu lassen. Aber bringt das
tatsächlich etwas?
Luisa, deren innere Entwicklung vom vorsichtigen Landkind zur tollkühnen
Draufgängerin von Mala Emde präzise und sensibel dargestellt wird, bleibt
dabei immer ein bisschen draußen: Zu Hause, bei den Eltern, wo sie ihre
Schießkenntnisse beim Jagen zeigen muss, ist sie genauso wenig sie selbst
wie auf dem beschaulichen, aber für Luisa hoch aufregenden Pflaster
Mannheims. Sie sucht etwas – und der politische Aktivismus ist, eventuell,
nur eine Station auf dieser Suche.
„Und morgen die ganze Welt“ mit den Produktionen etwa über die RAF und ihre
Vorgeschichte zu vergleichen, [2][mit Uli Edels „Baader Meinhof Komplex“],
Andres Veiels [3][„Wer wenn nicht wir“] oder Margarethe von Trottas Film
„Die bleierne Zeit“, kann man sich demzufolge sparen: Julia von Heinz’
Fokus ist ein wenig anders.
Es geht ihr neben anderem um das Gemeinschaftsgefühl, das ihre
Protagonistin in der Wohngruppe erlebt, um Luisas unbewussten Versuch, so
viel Abstand wie möglich zwischen sich und das behütete Elternhaus zu
bringen. Und damit nicht nur um politische, sondern auch um persönliche
Leidenschaft, um eine diffuse Sehnsucht, der die Regisseurin mit dem
deutlichen, aber beiläufigen Charisma Alfas kurz ein Ziel gibt: Etwas bahnt
sich zwischen Luisa und Alfa an, in einer eindrücklichen Szene lässt Alfa
sie jedoch zunächst auf einer Party stehen.
Doch als sie sich dem schwulen Lenor offenbart, zeigt er Verbitterung: „Ihr
Mädchen habt es so einfach“, bringt er das in dem Zusammenhang selten
diskutierte Thema auf den Punkt. Denn auch unter politischen Aktivist*innen
und Gerechtigkeitskämpfer*innen mit Diversity-Bewusstsein wird
zuweilen nach Aussehen, Sympathie und Lust entschieden, auch hier tummeln
sich Selbstdarsteller*innen, Mitläufer*innen und Krawallbrüder und
-schwestern.
Dass der energische Aufrührer Alfa nicht nur ein Hallodri ist, sondern
einen ähnlich privilegierten Hintergrund hat wie sie und seine politische
Haltung an- und ablegt wie ein T-Shirt mit Antifa-Slogan, das wird Luisa
jedoch erst klar, als etwas passiert ist und dem politischen Engagement
Konsequenzen drohen. Dann wird Alfa nämlich plötzlich vom Alphatier zum
Hasenfuß.
„Man findet häufig Stellvertreterpolitik: Ich selbst bin zwar nicht
betroffen, ich setze mich aber für andere ein“, sagte von Heinz kürzlich in
einem Zeitungsinterview auf die Frage nach der heilen Welt in der Backstory
ihrer Protagonist*innen. Und sie gibt zu, dass das Verhalten von Figuren
wie Alfa ihr damals nicht fremd war: „Man hat eher versucht, eine bessere
Herkunft oder eine gewisse Aufgehobenheit, die man vielleicht hatte,
herunterzuspielen.“
Sich ehrlicher mit den eigenen Handlungsgründen auseinanderzusetzen, beim
politischen Aktivismus neben altruistischen auch egoistische Motive
ausfindig zu machen, haben die Autor*innen des soeben erschienenen, dem
Film thematisch nicht ganz unähnlichen Buchs „Aufprall“, Bettina Munk,
Heinz Bude und Karin Wieland, ebenfalls geschafft: Das Buch verarbeitet
fiktiv ihre authentischen Hausbesetzererfahrungen im Berlin der 1980er.
Dabei werden klar auch die persönlichen Beziehungen als Triebfedern
beschrieben: Ohne das Charisma von „Soraya“, einer der drei Buchfiguren,
hätten die anderen beiden trotz aller aufgeweckten Erkenntnis die
schmuddelige Besetzerrealität wohl kaum so lange mitgemacht, ohne die
Hoffnung auf eine wie auch immer geartete Nähe wäre man vielleicht längst
in die Provinz zurückgekrochen.
Im Gegensatz zu dem Buch „Aufprall“, das neben der lebhaften, bildreichen
Beschreibung jenen symptomatischen „Aufprall“, einen Autounfall mit
tödlichen Folgen, als Handlungshöhepunkt nutzt, franst „Und morgen die
ganze Welt“ am Ende jedoch ein wenig aus: Die Story wird im letzten Teil
des Films dünner, die Aktionen werden unverständlicher, die Dramaturgie
schwankt etwas, sodass man sich am Ende verdutzt fragt, was eigentlich
genau passiert ist, außer ein paar Fastkatastrophen, und ein paar
beklemmenden Zusammenstößen mit Nazis.
Vielleicht ist das Nicht-ganz-Durchziehen der Geschichte aber auch
signifikant für eine spezielle Haltung, die mit den Generationen und ihren
dadurch bedingten Unterschieden beim politischen Kampf zusammenhängt. Es
könnte stimmen, was Thomas Jefferson einst deklamierte: Jede Generation
braucht eine neue Revolution. Und die ist eben nicht immer gleich.
28 Oct 2020
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## AUTOREN
Jenni Zylka
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