# taz.de -- Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Boni und Leid | |
> Gut so: Beschäftigte in der Pflege erhalten Zulagen. Allerdings sind die | |
> Angestellten von Bund und Kommunen diejenigen, die für die Krise | |
> bezahlen. | |
Bild: Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter präsentieren den Vertrag | |
Die zweite Coronawelle wird hart genug. Gut, dass jetzt nicht noch ein | |
endloser Tarifkonflikt obendrauf kommt. Ganz ohne Schuldzuweisung an die | |
Gewerkschaften: Auf Streiks mit geschlossenen Kitas, Ausfall von | |
Krankenhausterminen und überquellenden Mülltonnen können wir in den | |
nächsten Wochen alle gut verzichten. | |
Dass sich Verdi und Co am Sonntag mit Bund und Kommunen auf einen neuen | |
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst einigen konnten, ist aber auch für | |
die Gewerkschaften und deren Mitglieder eine gute Nachricht. Ihre | |
Verhandlungsposition war nicht optimal und hätte sich in den nächsten Tagen | |
weiter verschlechtert. | |
Die Pandemie hat die öffentlichen Kassen geleert und die öffentliche | |
Meinung gegen Arbeitskämpfe gedreht. Im Worst Case wird sie auch noch dafür | |
sorgen, dass öffentliche Einrichtungen noch mal über Wochen dicht bleiben. | |
Bestreiken könnte man sie dann eh nicht mehr. Unter diesen Bedingungen kann | |
sich der Tarifvertrag sehen lassen. | |
[1][Es ist eine komplexe Einigung]. Die Erfolge der Gewerkschaften stecken | |
in den Details. Dazu gehören die Zulagen für Beschäftigte in der Pflege und | |
der Intensivmedizin. Sie spiegeln die Anerkennung wider, die diese | |
Berufsgruppe in der Coronakrise gewonnen hat – und könnten gleichzeitig der | |
Personalnot in den Kliniken abhelfen. Dass die Arbeitszeit im Osten in den | |
nächsten Jahren an die im Westen angeglichen wird, ist auch ein | |
Fortschritt. Dass das Gehalt für Schlechtverdiener*innen prozentual am | |
stärksten steigt, ist in puncto Verteilungsgerechtigkeit ebenfalls | |
erfreulich. | |
Für das Gros der Beschäftigten bleibt die Einigung trotzdem weit hinter den | |
ursprünglichen Forderungen. 4,8 Prozent mehr Lohn innerhalb eines Jahres | |
wollte Verdi erreichen, nur 3,2 Prozent über die nächsten 28 Monate sind es | |
für manche Gehaltsgruppen am Ende geworden. Zum Vergleich: [2][Im | |
vergangenen Jahr wurde ein neuer Tarifvertrag für die Angestellten der | |
Bundesländer geschlossen]. Sie schnitten deutlich besser ab als jetzt der | |
Großteil ihrer Kolleg*innen in Bund und Kommunen. Über eine ähnliche | |
Vertragslaufzeit bekommen sie 8 Prozent mehr Gehalt. | |
## Weniger Lohnplus durch Corona | |
Wäre Corona nicht dazwischengekommen, hätten die Arbeitnehmer*innen jetzt | |
womöglich einen ähnlichen Erfolg feiern können – auch diejenigen, die keine | |
erhöhte Zulage wie in der Pflege erhalten werden. Kurzfristig gehören sie | |
jetzt also zu denen, die für die Krisen bezahlen. | |
Und langfristig? 2023 steht die nächste Tarifrunde an. Aus welcher | |
Verhandlungsposition die Gewerkschaften dann starten, hängt zum einen vom | |
weiteren Verlauf der Pandemie ab, zum anderen aber auch von | |
finanzpolitischen Entscheidungen. Je schneller die neue Bundesregierung zur | |
schwarzen Null zurückkehrt und je schneller sie die coronabedingte | |
Schulden tilgen möchte, desto weniger Spielraum bleibt für höhere Gehälter. | |
Wer will, dass systemrelevante Arbeit in Zukunft endlich angemessen bezahlt | |
wird, kann dazu also nächstes Jahr im September seinen ganz konkreten | |
Beitrag leisten: an der Wahlurne. | |
25 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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