# taz.de -- Konzeptausstellung zu Emil Nolde: Weiß wie Merkels Wände | |
> Die Draiflessen Collection in Mettingen zeigt eine kritische Ausstellung | |
> zu dem Expressionisten. Konzipiert hat sie der Künstler Mischa Kuball. | |
Bild: Installation von Mischa Kuball mit Emil Nolde, „Der Herrscher“, 1914,… | |
„Die Wände in Angela Merkels Arbeitszimmer bleiben weiß“, erfuhren deutsc… | |
Mediennutzer im April 2019. Die Kanzlerin hatte da gerade die beiden | |
Gemälde Emil Noldes abgehängt, weil sich das Bild des Künstlers | |
unbestreitbar gewandelt hatte: vom Verfemten und Verfolgten des | |
Nazi-Regimes [1][zum Nazi-Sympathisanten, Antisemiten, Rassisten], der in | |
den 1930er Jahren nichts unversucht ließ, zum Staatskünstler aufzusteigen. | |
Der Düsseldorfer Konzeptkünstler Mischa Kuball hat jetzt eine kritische | |
Nolde-Ausstellung konzipiert und dabei ähnlich wie Merkel agiert. Mischa | |
Kuball ist einer dieser Menschen, die den Eindruck erwecken, ihr Tag habe | |
weit mehr als 24 Stunden. | |
In der großen Bibliothek seines weitläufigen Düsseldorfer Ateliers hält er | |
einen atemlosen Monolog über seine Beschäftigung mit Emil Noldes Werk, | |
Recherchen über die Helfer und Helfershelfer, die dafür sorgten, dass er | |
den Mythos des verfolgten Künstlers so lange aufrechterhalten konnte. | |
Einen Mythos, der durch [2][Siegfried Lenz]’ Roman „Deutschstunde“ ins | |
kollektive Gedächtnis vieler Schülergenerationen einging. Kuball legt dabei | |
immer wieder kopierte Texte, Kataloge und Kunstbände vor, die die | |
verästelten Spuren belegen, denen er nachgegangen ist. | |
## Noldes mangelnde Distanz gegenüber anderen Kulturen | |
Er hat sich zum Beispiel mit dem Kunstkritiker Werner Haftmann beschäftigt, | |
der es möglich machte, dass Emil Nolde auf den ersten drei | |
documenta-Ausstellungen gezeigt wurde. Er hat einen Brief des | |
deutsch-jüdischen [3][Kulturwissenschaftlers Aby Warburg] ausfindig | |
gemacht, in dem er Nolde, der über eine große Sammlung ethnografischer | |
Objekte wie Stammesmasken verfügte, mangelnde Distanz gegenüber anderen | |
Kulturen vorwarf. | |
Er hat in der Nolde-Stiftung in Seebüll Einsicht erhalten in die Sammlung | |
des Malers, hat viele weitere historische Quellen studiert, auch Freud | |
herangezogen. Irgendwann verfestigte sich für Kuball dieses Bild: „Der | |
Künstler Emil Nolde mit seinen Männer-Freundschaften, mit seiner | |
einerseits großen Sensibilität, aber anderseits egozentrischer | |
Ich-Aufblasung, der hat verstanden, dass für ihn ein großer Platz sein | |
könnte im nationalsozialistischen System.“ | |
Was treibt den 1959, also nach dem Krieg Geborenen, sich so tief in die | |
Geschichte eines expressionistischen Malers zu wühlen, der für seine eigene | |
Künstlerwerdung kaum eine Rolle spielte? | |
„Mein Großvater war in der USPD und im Widerstand. Ich selbst sehe mich als | |
Diskursarbeiter für eine inklusive Gesellschaft“, sagt er unter anderem. | |
Als Schüler habe er die Zerrissenheit der Nachkriegsgesellschaft erlebt; | |
Lehrer, die ihre Schüler gerne noch strammstehen ließen wie früher. | |
## Nationalsozialismus, Kunst und Judentum in Deutschland | |
Seit den 1980ern beschäftigt er sich mit dem Themenkomplex | |
Nationalsozialismus, Kunst und Judentum in Deutschland, mit dem deutschen | |
Pavillon auf der Weltausstellung 1937 und bespielte die erhaltene Synagoge | |
in Stommeln. | |
Die Anfrage der Draiflessen Collection, eine kritische Nolde-Ausstellung zu | |
konzipieren, passte also. Kuball arbeitet sich dort an Bruchlinien einer | |
widersprüchlichen Künstlerbiografie entlang: Nolde war früh Mitglied der | |
NSDAP, erarbeitete einen Plan zur territorialen Lösung der „Judenfrage“ | |
durch Aussiedelung, denunzierte Malerkollegen, hoffte bis zum Ende des | |
Krieges auf einen „Endsieg“. | |
Allerdings rückte er nicht von seinem expressionistischen Malstil ab. Seine | |
Landschaften waren aufgewühlt und farblich verfremdet, auch abgerissene | |
Baumstämme konnten ihm als Hauptmotiv dienen, seine menschlichen Figuren | |
stellte er oft maskenhaft oder grotesk verzerrt dar. „Er hatte ein | |
komplexes Menschenbild“, gesteht Kuball zu. | |
Die Ausstellung visualisiert seine Recherchen, zeigt aber auch Emil Noldes | |
Werk selbst – allerdings verfremdet. Große Teile der auf den documenten | |
1955, 1959 und 1964 ausgestellten Werke des expressionistischen Malers sind | |
dort zu sehen. Besonders schwer macht Kuball es den Besucher*innen in | |
Mettingen, die sogenannten „Ungemalten Bilder“ zu betrachten. | |
## Nolde-Stiftung: Zwischen Aufarbeitung und Verherrlichung | |
Die kleinformatigen Aquarelle, die Nolde während der Nazizeit aufgrund | |
eines angeblichen Malverbots anstatt großformatiger Ölbilder in seinem | |
Hausatelier in Seebüll an der dänischen Grenze fertigte, sehen sie nur weit | |
entfernt in Reihe an der Decke hängen, dazu hinter einem dichromatischen | |
Filter, der ihnen die Farbe entzieht, mit der sie sonst gleich bestechen | |
und Aufmerksamkeit ziehen würden. Sie sind also schwarz – und weiß wie | |
mittlerweile Merkels Arbeitszimmerwand. | |
Neben der Nolde-Inszenierung ist die Schau manchmal verkopfte | |
Konzeptausstellung, die in Teilen nur versteht, wer sich mit Kuballs | |
Herangehensweise beschäftigt: Die Nolde-Stiftung in Seebüll, die nach einem | |
Leitungswechsel heute sehr an der Aufarbeitung der Gesinnung ihres Gründers | |
interessiert ist, ließ den Düsseldorfer Künstler etwa tief in den sonst der | |
Öffentlichkeit unzugänglichen Archiven wühlen. | |
Hier durfte er die ethnografische Sammlung mit rund 2.500 Objekten | |
begutachten, die Nolde auf vielen Reisen zusammengetragen hat. Kuball | |
überführt sie durch Invertierung der Schwarz-Weiß-Werte und Verwendung des | |
Bildgebungsverfahrens der Computertomografie in eine andere Visualität – | |
schafft also merkwürdige Bilder, die an Radiologien erinnern. So schafft er | |
die Distanz, die der Maler laut Aby Warburg zu den Werken alter Kulturen | |
selbst nicht hatte. | |
Spannend ist, nach dem Besuch der Draiflessen Collection in Mettingen nahe | |
Osnabrück noch weiter Richtung Norden zu fahren, zur Nolde-Stiftung in | |
Seebüll. Die vollzieht gerade sehr offensichtlich einen Spagat: | |
[4][zwischen kritischer Aufarbeitung und Verherrlichung] – und sogar | |
Verniedlichung. | |
Auf einer Schautafel für Kinder steht dort zum Beispiel dieser Text über | |
die Beziehung des 80-Jährigen Nolde zur 26-jährigen Jolanthe Erdmann: „Emil | |
war unendlich traurig, als seine geliebte Ada 1946 starb. Doch dann lernte | |
er Jolanthe kennen. Sie war viel jünger als er und brachte Licht, Lachen | |
und Liebe in sein Leben zurück.“ | |
19 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Emil-Nolde-war-ein-Antisemit/!5584897 | |
[2] /Zum-Tod-von-Siegfried-Lenz/!5031612 | |
[3] /Aby-Warburgs-Bilderatlas-in-Berlin/!5712508 | |
[4] /150-Jahre-Emil-Nolde/!5432429 | |
## AUTOREN | |
Max Florian Kühlem | |
## TAGS | |
Kunst | |
Emil Nolde | |
Ausstellung | |
Aufarbeitung | |
Entartete Kunst | |
Dortmund | |
taz.gazete | |
Kunstgeschichte | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Baukultur der Roma: Fassade als Selbstermächtigung | |
In Dortmund steht ein Haus, das die erstaunliche Geschichte der | |
Roma-Baukultur erzählt. Prunkstück der Fassade ist das Versace-Logo. | |
Männlichkeit im Gropius Bau Berlin: Die Suche nach dem neuen Mann | |
Eine große Ausstellung will die Darstellung von Maskulinität in der | |
Fotografie dechiffrieren. Das gelingt aber nicht ganz. | |
Aby Warburgs Bilderatlas in Berlin: Als Judith der Nymphe begegnete | |
Die Originale von Aby Warburgs legendärem Bilderatlas galten lange als | |
verschollen. Nun sind viele Tafeln in Berlin zu sehen. | |
Emil Nolde war ein Antisemit: Ein modernistischer Nazi | |
Ein Nationalsozialist, dessen Kunst als „entartet“ galt: Eine Ausstellung | |
in Berlin belegt die Wandlungen in der Deutung des Malers Emil Nolde. |