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# taz.de -- Änderung des EU-Freizügigkeitsgesetzes: Sozialbehörden dürfen w…
> Die Bundesregierung wollte Hartz-IV für schutzbedürftige EU-BürgerInnen
> an die Zustimmung der Ausländerbehörde knüpfen. Der Bundestag lehnt das
> ab.
Bild: Spagat machen für die Kinder: auch weiterhin ein Grund für Hartz IV
Berlin taz | Der Bundestag hat einen erschwerten Zugang schutzbedürftiger
EU-BürgerInnen zu [1][Hartz IV-Leistungen] abgelehnt. Ein entsprechender
Passus im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des
EU-Freizügigkeitsgesetzes wurde gestrichen. Dafür setzten sich letztlich
alle Fraktionen ein – außer der AfD.
Die Freizügigkeit der EU-BürgerInnen ist ein wichtiger Bestandteil des
Binnenmarkts. EU-BürgerInnen können sich frei in anderen Staaten
niederlassen, um dort zu arbeiten, zu studieren oder eine Ausbildung zu
absolvieren. Auch der Bezug von Sozialleistungen schließt die Freizügigkeit
nicht generell aus.
EU-BürgerInnen, die in Deutschland leben, können etwa dann Hartz IV
erhalten, wenn sie zuvor bereits ein Jahr lang hier gearbeitet haben. Oder
sie können ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken, wenn der Lohn als
ArbeitnehmerIn oder der Verdienst als SelbständigeR nicht ausreicht.
Allerdings besteht laut deutscher Gesetzeslage kein Anspruch auf Hartz IV,
wenn jemand zur Arbeitssuche einreist oder wenn jemand sich ohne Bezug zu
Arbeitsmarkt und Ausbildung hier aufhält.
Die Sozialgerichte haben allerdings auch in solchen Fällen immer wieder
Hartz IV-Leistungen zugesprochen, wenn es der Schutz von Ehe und Familie
gebietet oder weil es sonstige humanitäre Gründe gibt. In einem
Grundsatzurteil von 2013 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die
Sozialbehörden dann „fiktiv“ prüfen müssen, ob ein sonstiges
Aufenthaltsrecht besteht. Typisches Beispiel sind unverheiratete Paare, bei
denen einE PartnerIn wegen einer Schwangerschaft oder der Betreuung von
kleinen Kindern nicht arbeiten kann. Als „fiktiv“ gilt die Prüfung des
Aufenthaltsrechts, weil die Sozialbehörden und die Sozialgerichte hierfür
eigentlich nicht zuständig sind und deshalb auch keinen schriftlichen
Aufenthaltstitel ausstellen können.
Nun wollte die Bundesregierung diese fiktive Prüfung des Aufenthaltsrechts
abschaffen. Hartz IV sollte es in solchen Konstellationen nur noch geben,
wenn ein echter Aufenthaltstitel von der zuständigen Ausländerbehörde
vorliegt. Die Bundesregierung befürchtete offensichtlich, [2][dass die
Sozialbehörden zu großzügig sind].
In einer Sachverständigen-Anhörung haben am Montag jedoch die meisten
Experten den Plan der Regierung kritisiert. Die parallele Zuständigkeit von
Sozial- und Ausländerbehörden sei für die betroffenen EU-BürgerInnen zu
kompliziert. Außerdem seien die Ausländerbehörden oft zu restriktiv oder
sie verstehen die ganze Konstellation gar nicht. Ohne Hartz IV drohe
schutzbedürftigen EU-BürgerInnen dann aber Verelendung und sogar
Obdachlosigkeit.
Die Warnungen zeigten Wirkung. Nach der Anhörung verzichteten die
Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf die Verschärfung. Linke, Grüne
und FDP unterstützten das am Mittwoch im Innenausschuss. Am Freitag wurde
die Änderung des EU-Freizügigkeitsgesetzes dann im Bundestagsplenum
abschließend debattiert und beschlossen.
„Wir haben die Abschaffung abgeschafft“, jubelte die SPD-Abgeordnete Sylvia
Lehmann am Freitag bei der abschließenden Lesung im Bundestag. Auch die
Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke begrüßte es, dass der „extrem unsoziale“
Plan „in letzter Sekunde noch zurückgenommen wurde“. Jelpke hatte sich
besonders stark für eine Änderung des Gesetzentwurfs eingesetzt. Selbst die
CDU/CSU stimmte für die ersatzlose Streichung des Regierungsvorschlags. Der
CDU-Abgeordnete Detlef Seif begründete das so: Weil die fiktive Prüfung des
Aufenthalts durch Sozialbehörden sinnvoll ist, müsse sie gesetzlich näher
ausgestaltet werden. Der richtige Ort sei dann aber nicht das
EU-Freizügigkeitsgesetz, sondern das Sozialrecht.
## Aufenthaltsrecht für BritInnen
Hauptanlass der nun beschlossenen Änderung am EU-Freizügigkeits-Gesetz war
[3][der Brexit]. In Deutschland leben fast 100.000 BritInnen, die nach dem
EU-Austritt von Großbritannien ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren drohten.
Sie sollen nun aber automatisch ein neues Aufenthaltsrecht für Deutschland
erhalten und müssen hierfür nicht einmal einen Antrag stellen. „Es geht
hier um überzeugte Europäer“, sagte CDU-Mann Seif zur Begründung, „wir
dürfen sie nicht in Sippenhaft nehmen für den großen historischen Fehler
des Brexits.“
10 Oct 2020
## LINKS
[1] /Hartz-IV/!t5008711
[2] /Aenderung-des-EU-Freizuegigkeitsgesetzes/!5715914
[3] /Schwerpunkt-Brexit/!t5313864
## AUTOREN
Christian Rath
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