# taz.de -- Machtkampf in der NRW-SPD: Die doppelte Krise | |
> Nordrhein-Westfalens SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty will den | |
> Landesparteivorsitz. Bei den Jusos inszeniert er sich als echter | |
> SPD-Linker. | |
Bild: Thomas Kutschaty zeigte sich auf dem Landeskongress der Jusos in NRW angr… | |
Bielefeld taz | Thomas Kutschaty tritt im schwarzen Jackett und schwarzen | |
Hemd ans Rednerpult und macht erstmal klar, was Sache ist. Eigentlich ist | |
ein Auftritt des Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag beim | |
Kongress der NRW-Jusos hier in Bielefeld Routine. Normalerweise. | |
Aber in der SPD in Nordrhein-Westfalen ist nichts im Normalmodus, sondern | |
in einer doppelten Krise. Angekündigt wird ein Grußwort von ihm. Nein, sagt | |
Kutschaty am Samstagnachmittag, „das soll schon 'ne Rede sein“. | |
Am Donnerstag hatte er in einer improvisierten Pressekonferenz erklärt, als | |
SPD-Landeschef zu kandidieren – gegen Sebastian Hartmann, den amtierenden | |
Vorsitzenden. Seit Jahren ringen die beiden um die Macht in der kriselnden | |
SPD in NRW. Auf der einen Seite der auch mal [1][kernig auftretende Essener | |
Kutschaty], auf der anderen der eher feingliedrig wirkende Rheinländer | |
Hartmann. | |
Jetzt herrscht offener Krieg. Am vergangenen Montag verkündete Hartmann | |
entgegen interner Absprachen auf einem Krisentreffen, er stehe als | |
Landeschef weiter zur Verfügung. Kutschatys Ankündigung war der | |
Gegenschlag. Auch er hatte seinen Konkurrenten offenbar vorab nicht von | |
seiner Kandidatur informiert. Es wird mit harten Bandagen gekämpft. Deshalb | |
ist die Rede des Ex-Landesjustizministers vor den Jusos nicht Ritual und | |
Grußwort, sondern Beginn des innerparteilichen Kampfs um die Macht. | |
„Skandal“ ist ein Signalwort der Rede Kutschatys. Kinder von | |
AkademikerInnen würden zu 80 Prozent AkademikerInnen, bei FacharbeiterInnen | |
seien es nur 20 Prozent, von Alleinerziehenden nur 10 Prozent. „Wir leben | |
2020, nicht 1920“, empört sich Kutschaty. Die Bildungsungerechtigkeit sei | |
ein Skandal. Man müsse Ungleiches ungleich behandeln. Gerade Kitas in | |
ärmeren Vierteln müssten die am Besten ausgestatteten sein. | |
Ein Skandal sei es auch, wenn eine Supermarktkassiererin mit Vollzeitjob | |
staatliche Unterstützung beantragen müsse. 12 Euro Mindestlohn seien | |
fällig, wenn nicht mehr. Im Niedriglohnsektor würden in Nordrhein-Westfalen | |
20 Prozent der Beschäftigen arbeiten, in Schweden seien es nur 5 Prozent. | |
„Wir wollen skandinavische Verhältnisse in NRW“, ruft Kutschaty. Die Jusos | |
applaudieren. Dass der Niedriglohnsektor vor allem das Werk des kürzlich | |
verstorbenen Ex-SPD-Manns Wolfgang Clement war, bleibt unerwähnt. | |
## Finstere Aussichten | |
Die SPD zwischen Rhein und Ruhr ist in einer echten Krise. Alle Hoffnungen | |
hatten sich auf die Kommunalwahlen im September gerichtet. Die Kür von Olaf | |
Scholz zum Kanzlerkandidaten war früh erfolgt – auch mit Blick auf NRW. | |
[2][Doch Scholz mobilisierte so wenig wie die örtliche SPD.] | |
Die SPD verlor in Stadträten und Kreistagen über 900 Mandate, ein Fünftel | |
ihrer bisherigen Plätze. [3][Landesweit bekam sie rund 24 Prozent], sieben | |
Prozentpunkte weniger als 2014. Der nordrhein-westfälische Landesverband | |
ist noch immer mit Abstand der größte der SPD – fast jeder Vierte mit rotem | |
Parteibuch wohnt zwischen Bielefeld und Aachen. Doch die Aussichten sind | |
finster. | |
Wenn das SPD-Ergebnis in ihrer früheren Hochburg 2021 noch mieser ausfällt | |
als 2017 (damals deprimierende 26 Prozent), ist ein Erfolg bei der | |
Bundestagswahl fast unmöglich. Ein Jahr später wird der Landtag gewählt – | |
die CDU abzulösen erscheint derzeit kaum erreichbar. | |
Als Justizminister im Landeskabinett Hannelore Krafts ist Kutschaty nicht | |
als Rebell aufgefallen. Doch nun versucht er sich, als kämpferischer Linker | |
zu profilieren. Was scheinbar gegen ihn spricht, ist das besonders | |
miserable Abschneiden der SPD in Essen – dort ist er Vorsitzender. Nur rund | |
24 Prozent wählten die SPD, fast zehn Prozentpunkte weniger als 2014. Die | |
Oberbürgermeisterwahl gewann ein CDU-Mann haushoch bereits im ersten | |
Wahlgang. | |
## Persönlich grundierter Zwist | |
Allerdings ist Kutschaty dafür nicht voll verantwortlich. Essen ist seit | |
Jahren Synonym für SPD-Filz. Ein örtlicher SPD-Chef wanderte 2012 ins | |
Gefängnis, eine SPD-Bundestagsabgeordnete [4][fälschte ihre Biographie], | |
2018 wurde ein Ex-SPD Ratsherr wegen Beihilfe in einer Korruptionsaffäre | |
verurteilt. Die Probleme sind strukturell. Das Image ist mies, Kutschaty | |
eher Feuerwehrmann als Brandstifter. | |
Zudem verlor die SPD auch in Hartmanns Rhein-Sieg-Kreis – wenn auch nicht | |
so drastisch wie in Essen. Allerdings hatte sie schon vorher nicht so viel. | |
Mit gerademal 21,5 Prozent liegt die SPD im Rhein-Sieg-Kreis nunmehr nur | |
noch auf dem dritten Platz hinter CDU und Grünen. | |
Hartmann ist ein anderer Typus, ironisch und kein Mann für kämpferische | |
Reden, rhetorisch eher unbedarft. Als großer Nachteil für ihn gilt, dass er | |
als Bundestagsabgeordneter viel in Berlin ist, obwohl er dort nur ein | |
Hinterbänklerdasein fristet. | |
Kutschaty fordert eine linke, sozialstaatliche Politik, Hartmann redet | |
moderater. Also ein Richtungskampf? Auch. Der Zwist zwischen den beiden ist | |
persönlich grundiert und nun politisch hochaufgeladen. | |
## Kämpferischer Auftritt | |
Kutschatys kämpferischer Auftritt kommt beim Parteinachwuchs gut an. „Wer | |
Angst vor den Kampagne mächtiger Lobbygruppen hat, gibt sich geschlagen. | |
Lasst uns das nicht mehr machen“, ruft Kutschaty. Er wettert gegen | |
Friedrich Merz, die Bild-Zeitung und Hedgefonds. „Wir müssen wieder harte | |
Konflikte eingehen“, ruft er und plädiert für die Vermögenssteuer. Und: | |
„Haben wir etwa Angst davor, keine Großspenden mehr aus der Wirtschaft zu | |
bekommen?“ | |
Das zündet bei den Jusos, die er in dem anstehenden Zoff wohl auf seiner | |
Seite hat. Bei den konkreten Forderungen ist der Essener allerdings weniger | |
radikal als seine Rhetorik klingt. Die Vermögenssteuer und 12 Euro | |
Mindestlohn sind offizielle SPD-Parteilinie. | |
Das Worst-Case-Szenario wäre ein knapper Sieg für einen der beiden | |
Protagonisten beim Parteitag am 14. November – und eine nachhaltig | |
verfeindete Partei. Alle Versuche aus dem Berliner Willy Brandt Haus, eine | |
Lösung zu finden, blieben bislang ergebnislos – obwohl SPD-Chef Norbert | |
Walter-Borjans, lange als Finanzminister in NRW und Kabinettskollege vom | |
Kutschaty, die Verhältnisse bestens kennt. Gerüchten zufolge sucht man nach | |
einer Kompromisskandidatin. | |
Die nordrhein-westfälischen Jusos haben ihre Personalfragen bereits | |
geklärt: Ihr neuer Vorsitzender wird der 25-jährige Münsteraner Student | |
Konstantin Achinger, der mit einer deutlichen Mehrheit von 82 Prozent | |
gewählt wird. Achinger folgt auf die Bonnerin Jessica Rosenthal. Die | |
27-jährige Lehrerin soll auf dem kommenden Juso-Bundeskongress Ende | |
November in Potsdam [5][die Nachfolge von Kevin Kühnert als | |
Bundes-Juso-Vorsitzende antreten]. | |
4 Oct 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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