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# taz.de -- Kandidatin für den Juso-Vorsitz: Jungsozialistin mit Plänen
> Jessica Rosenthal will den Kapitalismus überwinden, Vermögen besteuern
> und die Welt verändern. Und sie will neue Chefin der Jusos werden.
Bild: Liebt Bonn, will aber in die Bundespolitik: Jessica Rosenthal im Berliner…
Bonn taz | Ein Blick auf ihre Schule, schon sprudelt es aus Jessica
Rosenthal heraus. „Seit zehn Jahren soll das Gebäude neu gebaut werden“,
sagt die 27-Jährige und zeigt auf die Fassade, die früher mal blau war.
„Ich frage mich, ob das in der Südstadt auch so lange dauern würde.“
Rosenthal möchte im November zur Chefin der Jusos gewählt werden, der
Nachwuchsorganisation der SPD. Hauptberuflich arbeitet die Vorsitzende des
Juso-Landesverbandes NRW als Deutsch- und Geschichtslehrerin an einer
Bonner Realschule – nicht in der Altstadt oder im Villenviertel, wo in
jedem zweiten Fenster eine Beethoven-Büste steht. Sondern in Tannenbusch.
Dort, wo die Armut größer ist und die Chancen geringer sind als in anderen
Teilen der Stadt. Ein Ort wie geschaffen für eine aufstrebende
SPD-Politikerin.
Soziale Gerechtigkeit ist Rosenthals großes Thema. Ihr Referendariat hat
sie an einer gut ausgestatteten Schule gemacht – „eine ganz andere Welt“,
wie sie sagt. Hier, in Tannenbusch, seien die SchülerInnen genauso
wissbegierig wie überall sonst. Nur die Voraussetzungen seien andere: keine
Whiteboards, keine Beamer, stattdessen hohe Sprachbarrieren und zu wenig
Personal. „Manche Fenster sind kaputt und lassen sich nicht richtig
öffnen“, sagt sie. „Das ist natürlich besonders ärgerlich zu Coronazeite…
Anfang August gab [1][Juso-Chef Kevin Kühnert bekannt], den Vorsitz der
JungsozialistInnen abgeben zu wollen. Rosenthal war interessiert. „Ja, ich
werde beim Bundeskongress im November kandidieren“, sagte sie im Spiegel.
Und feuerte in besagtem Interview auch gleich aus allen Rohren.
## Recht auf Stadt
Den auf Ausbeutung beruhenden Kapitalismus? Müsse man überwinden. Das
profitorientierte Gesundheitssystem? „Pervers.“ Den öffentlichen
Nahverkehr? Bitte kostenlos anbieten! Mit solchen Statements machte sich
NRWs Juso-Vorsitzende Rosenthal schnell bekannt.
In Bonn-Tannenbusch auf der Straße erkennt sie noch niemand. Bei einem
Rundgang durch das Viertel erläutert sie, was in ihren Augen falsch läuft
in Deutschland. Eine Hochhaussiedlung kommt in Sichtweite. „Da gibt es
große Probleme“, sagt sie und erzählt von Immobilienfirmen, die zwar gerne
die Miete kassierten, Mängel aber nur zögerlich behöben. „Immer mehr
Menschen werden verdrängt“, sagt sie, „und ich frage mich: Wem gehört
eigentlich die Stadt?“ Die Antwort gibt sie gleich selbst: „Leider vor
allem denen mit den dicksten Portemonnaies.“
Ihre Aussage zum Kapitalismus sei vielfach missinterpretiert worden, betont
Rosenthal. „Diejenigen, die denken, ich will zurück zur DDR, liegen falsch.
Die DDR war eine Diktatur. Ich bin durch und durch Demokratin.“ Stattdessen
gehe es ihr um Umverteilung und Gerechtigkeit.
„Ich stehe für die sozial-ökologische Wende“, sagt sie. „Die Ausbeutung…
Natur, der Menschen und des globalen Südens müssen aufhören. Bei den Jusos
habe ich WeltveränderInnen gefunden, die das auch so sehen.“ Rosenthal
spricht solche Sätze mit Bedacht. Das Binnen-I ist fast immer dabei.
## Scholz? Na ja…
Wäre sie bei solchen Positionen nicht auch bei den Grünen gut aufgehoben?
Nein, entgegnet die SPD-Frau. „Wenn ich den Klimawandel zurückdrängen will,
dann müssen sich untere Einkommensschichten den Strom trotzdem leisten
können. Da sind mir die Grünen zu einseitig.“ Und Olaf Scholz, der
designierte SPD-Kanzlerkandidat, der einst für die Agenda 2010 und damit
für Hartz IV eintrat?
„Jubelstürme hat seine Wahl bei uns nicht ausgelöst“, sagt Rosenthal – …
Standardsatz, [2][wenn sie nach Scholz gefragt wird]. Die SPD habe sich in
den letzten Jahren verändert, und damit auch der Kanzlerkandidat. „Von
Hartz IV haben wir uns verabschiedet.“
Wer die direkte, weniger diplomatische Jessica Rosenthal erleben möchte,
muss den Youtube-Kanal der NRW-SPD durchstöbern. Als sie 2018 den
Juso-Vorsitz übernahm, beantwortete sie [3][30 Fragen in 180 Sekunden].
Nazis: „Sind scheiße.“ Seehofer: „Ein Vollidiot, ein Spalter, ein Hetzer…
NRW-Innenminister Herbert Reul: „Skandalminister, der spätestens seit dem
Hambacher Forst zurücktreten muss.“ Letztes Karnevalskostüm: „Robin Hood.…
Ein würdevolles Leben ist Rosenthal wichtig. Gut ausgestattete Schulen,
bezahlbare Strompreise, kostenlose Busfahrten: Wie all das bezahlt werden
soll, dazu sagt sie wenig Konkretes. Von der Schuldenbremse hält sie
nichts, von [4][höheren Steuern auf Vermögen] dagegen viel. Sie wolle die
SPD für junge Leute wählbar halten, sagt Rosenthal.
## Ein Vollzeitjob
Auf die Frage, was sie an der eigenen Partei stört, antwortet sie bloß: „Es
gibt nie eine Partei, mit der man hundert Prozent übereinstimmt. Ich finde
inhaltliche Auseinandersetzungen aber extrem wichtig.“
Ihre eigenen SchülerInnen hätten von ihrem Engagement noch nichts
mitbekommen. Überhaupt achte sie streng darauf, Job und Politik zu trennen.
„Ich prüfe im Unterricht noch viel stärker, ob ich die Vielfalt der
Meinungen abbilde“, sagt Rosenthal. Allein die Zeit wird ihr manchmal
knapp: Seit März ist sie auch Vorsitzende der Bonner SPD, weshalb sie ihre
Lehrerinnenstelle auf 60 Prozent reduziert hat. Sie lacht. Zwar werde nun
das Geld etwas knapper, aber eine Vollzeitstelle sei im Moment einfach
nicht drin.
Zurück auf dem Schulhof. Eine Flaschensammlerin prüft die Abfalleimer, eine
ältere Frau. Ein junger Mann fährt mit seinem Roller im Kreis und lässt
dabei die Reifen quietschen. „Ich bin unheimlich gerne in Bonn“, sagt
Rosenthal. Klar gebe es auch auf kommunaler Ebene viele Probleme. Die
Kombination aus dörflichen Stadtteilen und internationalem Großstadtflair
hat es ihr aber angetan: „Um es mit einem Hashtag zu sagen, ich bin
#bonnverliebt.“
Und doch brennt in ihr der Wunsch nach etwas Größerem, nach Berlin und
Bundespolitik. „Ich bin davon überzeugt, dass der Einzelne was verändern
kann“, sagt sie. Das mag abgedroschen klingen, wirkt aus ihrem Mund aber
glaubhaft. Denn was wäre schon die Alternative? „Wer nur auf dem Sofa
sitzt, kann auch nix verändern.“
17 Aug 2020
## LINKS
[1] /Kevin-Kuehnert-strebt-in-den-Bundestag/!5700169
[2] /SPD-streitet-ueber-Kanzlerkandidaten/!5702149
[3] https://www.youtube.com/watch?v=UpRw78H3StM&app=desktop
[4] /Elitenforscher-ueber-Reichtum/!5695972
## AUTOREN
Steve Przybilla
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