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# taz.de -- Debatte um neues Gefängnis in Hamburg: Jugendknast auf Vorrat
> In Hamburg sinkt die Zahl der verurteilten Jugendlichen seit Jahren.
> Trotzdem plant Rot-Grün ein größeres Jugendgefängnis in umstrittener
> Bauweise.
Bild: Mit Wall und Graben: Visualisierung der geplanten JVA Billwerder
Hamburg taz | Eine [1][Mitteilung des Statistikamtes Hamburg] einhielt eine
frohe Botschaft: Noch nie seit 2005 wurden so wenige Jugendliche
verurteilt. Waren es damals 1.115, so waren es 2019 nur noch 389 – ein
historisches Tief. Seit Jahren befindet sich die Zahl im Sinkflug. Auch die
Zahl der verurteilten 18- bis 24-Jährigen hat sich mehr als halbiert.
In diesen Fällen sind auch Geld- und Bewährungsstrafen enthalten, ein
kleinerer Teil landet im Gefängnis. Stand Dienstag sitzen in Hamburg im
Jugendgefängnis auf der Insel Hahnöfersand laut Justizbehörde 48 junge
Menschen eine Jugendstrafe ab, weitere 54 sind dort in Untersuchungshaft.
Ausgelegt ist das vor 100 Jahren mit Dorfcharakter errichtete Gefängnis auf
etwa 150 Plätze.
Doch die Tage von Hahnöfersand scheinen gezählt. Ab Montag liegen im
Bezirksamt Bergedorf die Pläne [2][für ein neues Jugendgefängnis] aus, das
auf einer Wiese in Billwerder neben dem Männergefängnis entstehen soll. Bis
2027 soll es fertig sein. Kosten: 164 Millionen Euro.
In einem kompakten Bau, der an das [3][Gefängnis für Erwachsene in
Augsburg-Gablingen] erinnert, sollen 200 Haftplätze entstehen, 48 mehr als
bisher. Außerdem soll es 18 Plätze für offenen Vollzug und 20 für einen
Jugendarrest geben. Alle Wohntrakte liegen an einer 240 Meter langen
Magistrale. Die Übersichtlichkeit soll auch Wachpersonal sparen.
„Man kann fragen, warum ein geschlossener Vollzug in dieser Größenordnung
nötig ist?“, sagt Prisca Geissler-Heinze, die sich seit Jahren ehrenamtlich
in Hahnöfersand engagiert. Es fehle für das neue Gefängnis ein schlüssiges
Konzept.
An den Bauplänen gibt es Kritik. In einer Anhörung im Justizausschuss der
Bürgerschaft lobten einige Experten die Sicherheit. Die gute Einsehbarheit
schütze vor Gewalt. Dagegen mahnte eine Expertin für Architektur, Aufgabe
des Jugendvollzugs sei es, dem Jugendlichen ein positives Selbstbild zu
vermitteln und zu seiner Sozialisierung beizutragen. Dies könne mit
falscher Architektur „erschwert oder gar unmöglich gemacht werden“. Für
junge Menschen sei das Fehlen von Sinneseindrücken „schädigend“.
Kritik am Entwurf übt auch der Kriminologe Bernd Maelicke. „Nur
Gewaltprävention allein kann kein Ziel des Vollzugs sein“, sagt er. Zu
hundert Prozent verhindern lasse die sich auch nicht. Die jungen Menschen
bräuchten Gelegenheiten, sich in sozialen Situationen zu erproben, ohne
dass es zu Gewalt komme, so Maelicke, der früher in Schleswig-Holstein für
den Strafvollzug verantwortlich war.
In Hahnöfersand, wo die jungen Menschen sich zwischen den Gebäuden bewegen,
würde guter Jugendvollzug gemacht. „Es gibt keinen Grund, das zu schließen,
außer Sanierungsbedarf“, sagt Maelicke. Ein Vorteil an Billwerder sei die
Nähe zur Stadt. Doch sollte es dieser Standort sein, müsste die Architektur
einem „Dorfmodell“ entsprechen. So werde bundesweit erfolgreich
Jugendvollzug praktiziert.
Aus Maelickes Sicht spreche gegen den Neubau nun auch noch Corona. Die
Ansteckungsgefahr in einem kompakten Bau mit einer langen Magistrale sei
größer. Zum anderen müsse auch Hamburg aufs Geld achten. Und der
Billwerder-Bau sei mit 164 Millionen Euro teurer als das neue Hafthaus in
Schleswig, wo 72 Plätze nur 15,2 Millionen Euro kosteten.
Sein Vorschlag: Hamburg sollte Hahnöfersand sanieren. Das würde nur etwa 50
Millionen kosten, und die Stadt rund 100 Millionen Euro sparen. Auch den
„Jugendarrest“ müsste Hamburg nicht neu bauen, sondern könnte mit
Schleswig-Holstein kooperieren. Er habe diese Ideen dem Bürgermeister und
der Justizsenatorin geschickt. „Wir brauchen eine Denkpause über die
bisherige Planung“, findet Maelicke.
Die Justizbehörde verweist darauf, dass es für die neue Anstalt einen
einmaligen Beteiligungsprozess gab, und letztlich sogar die FDP und die
Linke zugestimmt hätten. Die höheren Platzzahlen seien nötig, weil es
zwischen 2016 und 2017 einen Anstieg der Belegung Hahnöfersands gab.
Allerdings war dieser laut einer Anfrage der Linken auf mehr
Untersuchungsgefangene zurückzuführen, darunter unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge, die keinen festen Wohnsitz hatten.
Rot-Grün peilte in Hamburg einen „Justizfrieden“ aller Parteien an. Martin
Dolzer, der frühere Justizpolitiker der Linken, erklärt, seine Fraktion
mache da nicht mit. „Wir haben dafür gestimmt, dass sich im Jugendvollzug
etwas verbessern muss“, sagt Dolzer. Aber den Neubau in der geplanten Form
lehne die Linke ab. „Der ist nicht jugendgerecht“, findet er.
16 Oct 2020
## LINKS
[1] https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/B_V…
[2] /Neues-Jugendgefaengnis-in-Hamburg/!5609952/
[3] /Streit-um-Hamburgs-neues-Jugendgefaengnis/!5617681/
## AUTOREN
Kaija Kutter
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