# taz.de -- Neues Jugendgefängnis in Hamburg: Von der Insel in die Pampa | |
> In Billwerder entsteht ein Jugendgefängnis, das übersichtlicher sein soll | |
> als das heutige auf der Elbinsel Hahnöfersand. Ein Besuch auf der | |
> Baustelle. | |
Bild: Hinter den hohen Mauern nicht zu sehen: Wiesen rund um das Gefängnis | |
Hamburg taz | Hamburg baut einen neuen Jugendknast – hinter den Mauern des | |
Erwachsenengefängnisses in Billwerder und ganz anders gestaltet als die | |
bisherige Jugendhaftanstalt auf der Elbinsel Hahnöfersand. Bei einem Besuch | |
auf der Baustelle zeigt sich deutlich der konzeptionelle Unterschied: Statt | |
einer Haftanstalt im Grünen mit dörflichem Charakter entsteht ein | |
Gefängnisbau mit Flügeln, wie man ihn aus dem 19. Jahrhundert kennt. | |
„Das wird ganz anders und ziemlich furchtbar werden“, sagt Prisca | |
Geissler-Heinze, die den neuen und [1][den alten Standort kennt]. Im alten | |
Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand war sie sieben Jahre lang als | |
Ehrenamtliche aktiv, in Billwerder als Deutschlehrerin. „Billwerder ist | |
zwar für Angehörige schneller zu erreichen“, sagt sie, „aber da sind Maue… | |
bis oben hin.“ Auf der Insel gebe es dagegen nur einen Zaun. „Da guckt man | |
bis nach Blankenese und sieht Vögel und Rehe.“ | |
Projektleiter Michael Bartholomäus von der Hamburger Justizbehörde ist | |
bereit, die Baustelle zu zeigen. Ganz leicht zu erreichen ist auch die | |
nicht. Denn es fährt kein Bus dorthin. Er gehe von der S-Bahn-Haltestelle | |
Billwerder-Moorfleet immer 15 Minuten zu Fuß, sagt der Projektleiter. Laut | |
der App des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) sind es sogar 25 Minuten. | |
Wer mit dem Auto kommt, parkt am Ende der Zufahrt für die | |
Justizvollzugsanstalt (JVA) der Erwachsenen. Noch schützt ein stählerner | |
Bauzaun den Eingang der künftigen „Jugendanstalt Billwerder“, die Anfang | |
2027 in Betrieb gehen soll. Künftig betreten die Besucher das Areal direkt | |
durch ein Pfortenhaus, das in die Mauer eingefügt ist. | |
## Die Hafthäuser verbindet ein Mega-Flur | |
Die Grundmauern des Pfortenhauses stehen schon. Die Flure sind hier schmal | |
und eng, die Decken dafür sehr hoch. Im ersten Stock blickt man über eine | |
Dachterrasse aufs Gelände. Die soll später begrünt werden, aber nicht zu | |
betreten sein. Auch Photovoltaik auf den Dächern ist geplant. | |
Gebaut wird mit vorgefertigten Modulen. Auf der Erde liegen massive | |
Betonrahmen mit Fenstergittern, die darauf warten, in schon aufgestellte | |
Fertigwände eingepasst zu werden. Außen drauf kommen gelbe Klinkersteine. | |
Die sind schon an einer Probewand zu sehen, die etwas verloren auf der | |
künftigen Freifläche steht. Die Fenster haben zwei Flügel und sind auf | |
einer Seite zu öffnen. Die Sicht ins Freie stört hier zusätzlich ein | |
Lochblech, das verhindert, dass Dinge durchgereicht werden. | |
Wir stehen am Anfang der künftigen „Magistrale“. Das ist ein | |
zweigeschossiger Mega-Flur von 242 Metern Länge. Von ihm zweigen auf einer | |
Seite alle vier Hafthäuser ab, jeweils in V-Form mit zwei Flügeln, wie der | |
Schwanz einer Schwalbe. Auf der anderen Seite liegen Funktionsgebäude wie | |
etwa die Werkstätten. | |
Vom spitzen Winkel eines schon fertigen Haftraumtrakts haben wir die Flure | |
von zwei Wohngruppen auf einmal im Blick – so wie später einmal das | |
Wachpersonal. „Die Jugendlichen sollen keine Angst haben“, sagt | |
Bartholomäus. „Der Bau soll eine gewalt- und unterdrückungsarme Atmosphäre | |
erzeugen“, ergänzt Dennis Sulzmann, Sprecher der grün geführten | |
Justizbehörde. | |
## Das alte Gefängnis bestand aus 38 Einzelhäusern | |
Als ein Vorzug des Neubaus gilt, dass zwischen den Hafttrakten acht | |
dezentrale Freizeitflächen entstehen, wo die Wohngruppen unter sich sind, | |
auf den Plänen markiert als Basketballfelder mit rotem Belag. Gewalt zu | |
verhindern sei wichtig, weil sonst Erziehung und Resozialisierung nicht | |
gelingen könne, heißt es auch [2][auf der Homepage der Justizbehörde] mit | |
Verweis auf eine Studie des Kriminologischen Dienstes Sachsen. | |
[3][Um den Umzug] weg von der Elbinsel und um diese neue Architektur gab es | |
vor vier Jahren [4][im Justizausschuss] [5][eine heftige Kontroverse]. Denn | |
das alte Jugendgefängnis Hahnöfersand mit seinen 38 Einzelgebäuden auf der | |
Insel hat den Charakter eines Dorfes, was Fachleute im Jugendstrafvollzug | |
für günstig halten. Der Magistralen-Riegel mit seinen Anbauten hingehen ist | |
stark verdichtet und einem Erwachsenen-Gefängnis nachempfunden. | |
„Es führen dort zu viele Wege nicht durchs Freie“, sagt [6][Martin Dolzer] | |
von der Liste [7][Die Wahl]. „In Hahnöfersand dagegen konnte sich das Auge | |
erholen, weil es auch Landschaft gesehen hat.“ Das sei „auch wichtig für | |
die Seele“, sagt der Politiker, der zur Zeit der Entscheidung für die Linke | |
im Justizausschuss saß. | |
Die neue Jugendanstalt sei vor allem auf Sicherheit und Kontrolle hin | |
konzipiert, sagt Geissler-Heinze, die beide Standorte kennt. „Vielleicht | |
auch deshalb, weil alles enger und gleichzeitig größer sein wird“, vermutet | |
sie. Das mache Menschen aber nicht friedlicher. | |
Die alte Anstalt hätte aufwendig saniert werden müssen, sagt | |
Justizbehördensprecher Sulzmann. Da sei ein Neubau sinnvoller, und zwar | |
„auch aus justizfachlicher Sicht“. Ein Leitgedanke dabei sei eben die | |
Gewaltprävention. Deshalb sei die Anstalt „einsehbar und übersichtlich | |
geplant“ worden, mit kürzeren Wegen als auf Hahnöfersand, was die Abläufe | |
optimiere. | |
Rene Müller sieht dagegen wenig fachliche Gründe, die für den Umzug des | |
Jugendvollzugs sprechen. „Hahnöfersand ist ein guter Standort, weil er | |
kompakt und autark ist“, sagt der Vorsitzende des Landesverbandes Hamburger | |
Strafvollzugsbediensteter (LVHS). „Ich rechne auch nicht mit | |
Synergieeffekten im großen Stil.“ | |
Das A und O einer guten Jugendanstalt seien gute Angebote für Arbeit und | |
Ausbildung. Da habe die Insel-Anstalt gute Arbeit geleistet. „Der einzige | |
Vorzug in Billwerder besteht darin, dass es ein Neubau ist“, sagt der | |
Beschäftigtenvertreter. | |
Die noch unverputzten Hafträume wirken an diesem Herbsttag dunkel und | |
schmal, noch fehlt Farbe. Buchsen weisen auf künftige Anschlüsse hin. Eine | |
hüfthohe Wand trennt den künftigen Toilettenbereich ab. Das soll vor | |
Blicken schützen. In einen Raum stehen Probemöbel aus Sperrholz und Pappe. | |
Hier probiert der Projektleiter aus, wie die Einrichtung mit im Gefängnis | |
hergestellten Möbeln aussehen könnte. | |
## Ein Fußballfeld für Spiele mit Externen | |
Im benachbarten Haftraum sind Liege, Tisch und Stuhl aus Beton und in die | |
Wand eingelassen. „Dieser Raum gilt als vandalismussicher“, sagt der | |
Projektleiter. Die Betonmöbel bekommen noch eine Holzauflage, um | |
ansprechender zu wirken, wie die Behörde sagt. | |
Vor dem Hafttrakt erstreckt sich eine größere, noch unbebaute Fläche. Hier | |
soll Attraktives hin, etwa ein großes Fußballfeld, das auch für | |
Freundschaftsspiele mit externen Vereinen geeignet ist, und eine Laufbahn | |
und feste Sportübungsgeräte. Daneben soll noch ein Multifunktionsgebäude | |
entstehen, das sich durch Holzelemente ästhetisch vom Rest der Anstalt | |
abgrenzt. | |
Darin soll es auch künstlerische Angebote geben, etwa ein Studio zum | |
Musikmachen, wie Bartholomäus berichtet. Das Ausbildungszentrum und ein | |
Besucherzentrum für externe Helfer stehen schon jenseits der massigen | |
Magistrale. Eine eigne Küche soll die Jugendanstalt nicht haben. Das Essen | |
wird aus der Erwachsenenanstalt gebracht. Ein „Synergieeffekt“. | |
Durch eine Öffnung in der hohen Mauer, die später durch ein Tor geschlossen | |
wird, gelangt man auf eine Wiese, auf der ein Haus mit 18 Plätzen für den | |
„offenen Vollzug“ und eines mit 20 Plätzen für den Jugendarrest entstehen. | |
Hier sind die Räume etwas größer. Und guckt man nur nach Osten, ist der | |
Blick ins Grüne ungetrübt. Ein Mann von der Umweltbehörde, der die Wiesen | |
betreut, grüßt freundlich aus seinem Wagen. | |
## Noch kein Bus in Sicht | |
Die neue Jugendanstalt wird auf Zuwachs gebaut. 200 Haftplätze sind geplant | |
statt der 152 am alten Ort. Es fragt sich, ob geschlossener Vollzug in | |
dieser Größenordnung nötig ist. Das Billwerder Gefängnis für Männer war in | |
den 1990er-Jahren ursprünglich als fortschrittliche Anlage für den offenen | |
Strafvollzug konzipiert worden. | |
„Nur ein Zaun mit Wassergraben war geplant“, berichtet Geissler-Heinze. | |
„Dann kam Schill und hat daraus [8][ein Hochsicherheitsgefängnis gemacht].“ | |
Die sechs Meter hohe Mauer mit Stacheldraht ist ein Vermächtnis des | |
Rechtspopulisten und damaligen Innensenators von der gleichnamigen Partei. | |
An diesem Morgen schwimmen schleimige Grünalgen oben auf dem Graben. In der | |
Ferne im Westen kündet ein grüner Kirchturm von der Zivilisation; hinter | |
der Mauer ist nur die Spitze zu sehen. An diesem Standort, so ist die grün | |
geführte Justizbehörde überzeugt, nutze man die Vorteile eine Stadtstaates | |
besser aus als auf der abgelegenen Elbinsel und ermögliche „stadtnahe | |
Resozialisierung“. | |
„Stadtnah“ ist ein dehnbarer Begriff, wie der Gewerkschafter Rene Müller | |
weiß, der auch die Beschäftigten des 2003 in Billwerder eröffneten | |
Erwachsenenvollzugs vertritt. Das Problem des langen Anmarsches zu Fuß sei | |
schon lange bekannt. „Seit Jahren fragen wir, warum dort keine Buslinie | |
hält“, sagt er. „Wir hören nur: ‚keine Chance‘.“ | |
4 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /!5723488/ | |
[2] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/bjv/themen/justizvo… | |
[3] https://www.hamburg.de/resource/blob/214992/305cf9f0818add3ecc5529b8ccd62b9… | |
[4] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/68071/21_037_protokoll_der… | |
[5] /Streit-um-Hamburgs-neues-Jugendgefaengnis/!5617681 | |
[6] /Debatte-um-neues-Gefaengnis-in-Hamburg/!5717761 | |
[7] /Hamburger-Ex-Linke-gruenden-Liste/!6042937 | |
[8] /!1115689/ | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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