| # taz.de -- Sperrstunde wegen Corona in Berlin: Last order in Späti und Kneipe | |
| > Der unbekannte Held Heinz Zellermeyer machte 1949 das Unmögliche möglich: | |
| > die Abschaffung der Sperrstunde in Westberlin. Nun ist sie wieder da. | |
| Bild: Wegen Corona ist es vorbei mit dem Cornern vor Kneipen und Spätis: die S… | |
| Allzu gerne hätte man Heinz Zellermeyer gefragt, was er von der Regelung | |
| hält, die der rot-rot-grüne Senat am Dienstag erlassen hat. Ab Samstag gilt | |
| in Berlin von 23 Uhr bis 6 Uhr ein nächtliches Ausgeh- und Verkaufsverbot. | |
| Kein Kneipenbesuch mehr zu später Stunde, kein Sterni vom Späti, selbst das | |
| Allerherrgottsfrühstück im Schwarzen Café entfällt. Die Engländer werden | |
| Heimatgefühle bekommen, Berlins Ausgehszene ist entsetzt. Kreuzbergs Nächte | |
| enden schon, bevor sie richtig begonnen haben. | |
| Eine Sperrstunde also. Heinz Zellermeyer kann man nicht mehr fragen, weil | |
| er 2011 gestorben ist. Vermutlich wäre er sprachlos. Er nämlich war es, der | |
| 1949 dafür sorgte, dass die Sperrstunde in Westberlin abgeschafft wurde. | |
| Etwas Überzeugungskraft soll ihn das gekostet haben – und eine Flasche | |
| Whiskey. | |
| Zellermeyer war nicht irgendwer, schreibt Wilfried Rott in seinem Buch „Die | |
| Insel. Eine Geschichte West-Berlins“. Er war „Obermeister“ des Berliner | |
| Gastrononomie- und Hotelierverbandes und entsprach „in Erscheinung und | |
| Auftreten einem britischen Gentleman der Upper Class“. Ein Dandy also, | |
| leider anfangs ohne Erfolg. | |
| Bei seiner Stippvisite beim britischen Stadtkommandanten Generalmajor | |
| Geoffrey K. Bourne wurde er barsch abgefertigt. Nicht einmal ein Stuhl war | |
| ihm angeboten worden, als er mit seinem Anliegen vorstellig wurde, die seit | |
| 1945 geltende Sperrstunde abzuschaffen. Dabei hatte Zellermeyer durchaus | |
| Argumente für sein Anliegen. Nach der Berlin-Blockade lag das Kneipenleben | |
| in Westberlin brach. Doch Bourne kanzelte ihn, so schreibt es Rott, mit den | |
| Worten ab: „Unmöglich. Sie scheinen wohl vergessen zu haben, wer den Krieg | |
| gewonnen hat.“ | |
| ## Der Kalte Kneipenkrieg | |
| Gerne würde man Zellermeyer heute auch fragen, warum er sein alliiertes | |
| Klinkenputzen bei den Briten begonnen hat. Schon damals wusste man doch, | |
| dass die zwar Rugby spielen, aber nicht feiern können, schon gar nicht in | |
| einem Pub, wo es trotz der formalen Aufhebung der Sperrstunde 2002 bis | |
| heute üblich ist, vor 23 Uhr seine „last order“ abzugeben. Bei seiner | |
| nächsten Stippvisite hatte Zellermeyer nämlich Erfolg. Sie führte ihn zu | |
| Frank L. Howley, dem amerikanischen Stadtkommandanten, von dem, so Rott, | |
| „bekannt war, dass er einem Whiskey nicht abgeneigt sei“. | |
| Howley war darüber hinaus ein Sowjethasser. In der geteilten Stadt, das | |
| wusste Zellermeyer natürlich, hatte der Kalte Krieg auch vor den Kneipen | |
| nicht haltgemacht. Gleich 1945 war über Berlin zunächst eine einheitliche | |
| Sperrstunde verhängt worden. Sie begann um 21 Uhr, im Ostteil folgte dann | |
| ab 22 Uhr eine anschließende Ausgangssperre. | |
| Als die Sowjets die Sperrstunde um eine Stunde nach hinten verlegten, zog | |
| es die Kneipengänger in die Bars in Mitte. Schnell legte Westberlin nach, | |
| und so ging es weiter mit dem Kalten Kampf um die Trinker, bis die | |
| Sperrstunde einheitlich um 24 Uhr begann. Für Zellermeyer und die | |
| Gastronomen aber war das immer noch zu wenig. | |
| In Howley fand er schließlich den Fürsprecher, den er suchte. Natürlich | |
| hatte der Stadtkommandant Sicherheitsbedenken, doch die konterte der | |
| Kneipendandy mit den Worten: „Unruhe entsteht nicht, wenn die Leute trinken | |
| dürfen. Unruhe entsteht, wenn der Wirt Schluckspechte wegen der Sperrstunde | |
| aus dem Lokal werfen muss.“ Am 24. Juni 1949 war es dann so weit. Weil die | |
| Amerikaner und Franzosen die Briten überstimmt hatten, wurde die | |
| Sperrstunde erst probehalber, später dann ganz aufgehoben. | |
| Die Spätfolgen für die Ausgehkultur in beiden Stadthälften konnte man bis | |
| 1989 beobachten. Während sich das gesellige Leben (und seit 1968 auch das | |
| studentische) in Westberlin vorwiegend in Kneipen abspielte, zog sich das | |
| hedonistische und dissidentische Milieu in Ostberlin ins Private zurück, | |
| die Wohnung ersetzte die Kneipe. | |
| Gut möglich, dass die Privatwohnung ab Samstag einen ähnlichen | |
| Bedeutungszugewinn wie in der DDR bekommt. Voraussetzung ist natürlich, | |
| dass man sich vor 23 Uhr mit Bier, Wein und Whiskey eindeckt. Denn auch | |
| wenn Heinz Zellermeyer der erste Protagonist eines 24/7 in Berlin war. Den | |
| Späti hat er nicht erfunden. | |
| 10 Oct 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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| Dilek Kalayci | |
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