| # taz.de -- Upcycling von alten Basssaiten: Scheiße isses, besser wird’s nic… | |
| > Schreien, Wut, Weltschmerz – klar. Aber Punk ist eben auch, wenn man aus | |
| > alten Basssaiten eine Magnettafel in Do-it-yourself-Optik baut. | |
| Bild: Ist das Punk oder kann das weg? | |
| Punk’s not dead. [1][Oder so.] Mein neues Lebensgefühl jedenfalls. Dabei | |
| höre ich überhaupt gar keinen Punk, nur einen einzigen Song, nämlich | |
| „Deceptacon“ von Le Tigre. Aber immer, wenn er läuft, habe ich den | |
| dringenden Wunsch, eine feministische Frauen*-Punkband zu gründen und mir | |
| Wut und Weltschmerz von der Seele zu schreien. Braucht man ja nicht viel. | |
| Gitarre, Schlagzeug, drei Akkorde, bisschen Rumgebrülle, vielleicht noch | |
| ein bisschen bunte Haare – fertig ist die Band. Dachte ich jedenfalls. | |
| Ich wurde eines Besseren belehrt. Seit dem Sommer spiele ich in einer | |
| Punkband. Nicht selbst gegründet und inhaltlich nicht primär feministisch, | |
| aber immerhin mackerfrei und emanzipiert. Die Songs bestehen allerdings aus | |
| weit mehr als drei Akkorden und als Bassistin reicht es auch nicht, wenn | |
| ich die Grundtöne halbwegs gerade spiele. Bunte Haare hat hier auch | |
| niemand. Immerhin trägt die Hälfte der Band nur Schwarz und drei Viertel | |
| der Band trinken Bier beim Proben. Ich wurde also nicht völlig enttäuscht. | |
| Kennengelernt haben wir uns – wie man das heute so macht – im Internet. | |
| „Wir spielen einfach Punk mit deutschen Texten“, hieß es in der Gruppe auf | |
| Telegram. Ich schrieb, die Band antwortete, es war Liebe auf das erste | |
| Bier. | |
| Am Anfang verriet ich nicht, dass ich keinen Punk höre. Bei Gesprächen über | |
| Lieblingsbands und tolle Deutschpunksongs nickte ich nur wissend mit dem | |
| Kopf und nippte an meinem Bier. Abstürzende Brieftauben? Nie gehört. Von | |
| [2][den Goldenen Zitronen] hatte ich immerhin schonmal auf einem T-Shirt | |
| gelesen. Irgendwann lüftete ich mein Geheimnis. Es war okay, ich durfte | |
| bleiben. Und wurde beraten, wie ich eine Punkkarriere am besten in wenigen | |
| Wochen nachholen kann: Die Bands, die hauptsächlich über Bier singen, kann | |
| ich mir sparen. | |
| ## Probenraum statt Elternabend | |
| Mein Selbstverständnis ist ein völlig neues, seit ich einmal die Woche | |
| meinen Bass schultere, in einen stundenweise angemieteten Proberaum fahre | |
| und mir die Ohren wegballern lasse. „Ich hab heut keine Zeit, ich probe da, | |
| ich treff noch meine Band“ klingt doch viel besser als nicht zu können, | |
| weil man noch zum Elternabend/zur Hundeschule/arbeiten muss. Und wenigstens | |
| die Illusion dieses Lebens gibt mir meine Punkband. | |
| Ich mag auch das Trostlose und Resignierte des Ganzen. Scheiße isses, | |
| besser wird’s nicht, leben muss man, hat noch wer ein Bier? Ich mag das | |
| Ungeschmückte, das Rohe und dadurch Fokussierte. Die Gitarre ist laut, weil | |
| das Schlagzeug noch lauter ist. Wer schreit, muss die Stimme nicht ölen. | |
| Und wenn nach sechzig Sekunden alles gesagt ist, ist das Lied eben vorbei. | |
| Und ich mag das Belanglose und Alltagsnahe, dass vielen Texten innewohnt. | |
| Betrachtungen über das eigene Leben und Leiden, der Kick der | |
| Selbstzerstörung sind die ursprünglichen Themen der Punkbewegung, lehrt | |
| mich Wikipedia. | |
| Unsere Texte begleiten mich nun durch meine Tage. „Schon wieder ’nen Pickel | |
| in der Nase / Schon wieder drückt meine volle Blase“ ist eine meiner | |
| Lieblingszeilen. Ist das wichtig? Nicht mehr als der Liebeskummer aus der | |
| Welt des Pop. Aber drei Stunden wach und unbequem im Bett zu liegen, statt | |
| einfach auf Toilette zu gehen, ist mindestens genauso quälend, wie eine | |
| toxische Beziehung nicht zu beenden. Jedenfalls auf Dauer. | |
| Mit „Meine Zähne fliegen aus meinem Maul / Zum Zähneputzen bin ich zu faul�… | |
| raffe ich mich dann allabendlich doch noch zum Gang ins Bad auf. Dazwischen | |
| passt „Ein Müllhaufen neben dem Mülleimer / der Abwasch, der wird auch | |
| nicht kleiner“ und in Erinnerung an die vergangene Sommerhitze: „Eine Kugel | |
| Pistazieneis / oder eine Kugel durch den Kopf?“ | |
| ## Alles ist unverschörkelt und ein wenig zu laut | |
| Unsere Texte sind also Punk in seiner Ursprünglichkeit. Musikalisch klingt | |
| es manchmal etwas nach Ska, manchmal etwas nach Rock, manchmal mischt sich | |
| ein klein wenig Elektronisches rein. Aber die Lieder sind kurz, die Worte | |
| geschrien, der Sound ist unverschnörkelt und alles klingt etwas zu laut und | |
| auch ein wenig zu hässlich. Wir sind Punk. | |
| Ganz ernst nehmen kann ich das nicht immer. Muss ich auch nicht, passt | |
| schon. Auch Punk darf widersprüchlich sein, auch Menschen mit Punkhaltung | |
| dürfen widersprüchlich sein, wie alles auf der Welt. In der Band ist alles | |
| vertreten: Es gibt einen mit maßgefertigtem Gehörschutz, wen mit | |
| Papiertaschentüchern in den Ohren und diejenige, die nach jeder Probe mit | |
| leichtem Piepen in den Ohren nach Hause geht. Von erwachsen bis fahrlässig | |
| alles dabei. Die Proben richten sich nach meinem Schichtplan, ohne dass ich | |
| mich für meine bürgerliche 40-Stunden-Woche rechtfertigen muss. Ich bin | |
| okay, du bist okay, alle sind okay. | |
| Wenn ich schon nicht mit endlos verfügbarer Probenzeit überzeugen kann, | |
| will ich wenigstens mit dem Sound punkten. Mein Bass brauchte dringend neue | |
| Saiten. Das Wechseln ist leicht – und danach bleiben vier störrische, mehr | |
| oder weniger dicke Metallsaiten übrig. Magnete haften an ihnen, habe ich | |
| irgendwann mal festgestellt. Also bastle ich eine Magnettafel draus. Falls | |
| wir mal irgendwann einen eigenen Proberaum haben (schwieriger als Wohnung | |
| finden!), kommt sie dort an die Wand. Für Strichlisten, wer wem wie viel | |
| Bier schuldet. | |
| ## Anleitung | |
| 1 Für eine kleine Magnetwand reichen vier Basssaiten (Gitarrensaiten aus | |
| Stahl gehen auch) und ein Bilderrahmen. Außerdem werden etwas Draht, ein | |
| Handtacker und eine Zange benötigt. Gegebenenfalls die Saiten zunächst mit | |
| Wasser und Spülmittel waschen und gut abtrocknen. | |
| 2. Die Saiten zu einer langen Schnur verknoten – dazu eignen sich die | |
| kleinen Ringe am Ende jeder Saite gut, hier kann das jeweils andere Ende | |
| einer weiteren Saite verknotet werden. | |
| 3. Diese sehr lange Saite dann an die Längsseite des Bilderrahmens anlegen. | |
| Am Ende des Rahmens die Saite mit der Zange umbiegen, so dass sie die | |
| Richtung wechselt und wieder zum anderen Ende des Rahmens läuft. Dort | |
| wieder umbiegen usw., bis die ganze Saitenlänge aufgebraucht ist. | |
| 4. Das so entstandene Gebilde auseinanderziehen wie eine Ziehharmonika, so | |
| dass es in etwa die Höhe des Bilderrahmens hat. Die durch die | |
| Richtungswechsel beim Biegen entstandenen Schlaufen auf beiden Seiten | |
| jeweils mit einem Stück Draht verknoten, sie sollten untereinander | |
| angeordnet sein. | |
| 5. Den Draht von hinten an den Bilderrahmen tackern. Gegebenenfalls zur | |
| Verstärkung auch einige der Saitenschlaufen festtackern. | |
| 6. Statt der Schritte 3 bis 5 können die Saiten auch kreuz und quer | |
| verbogen und von hinten an den Bilderrahmen getackert werden. Das ist dann | |
| noch mehr Punk! | |
| 7. Wenn gewünscht, hinter das Saitengebilde ein passendes Stück Karton | |
| oder Holz kleben. Das auch mit Stoff oder Geschenkpapier bezogen oder | |
| bemalt werden kann – genau wie der Rahmen. | |
| 8. Aufstellen oder an die Wand hängen und Notizen, Fotos, Akkordfolgen | |
| oder Bierschuldenlisten mit Magneten anpinnen. | |
| 17 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christina Spitzmüller | |
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