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# taz.de -- Versteckspiel in Belarus: Heimlich ins Amt
> Ein Taxifahrer macht seinem Unmut über Lukaschenko Luft. Olga Deksnis
> erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 14.
Bild: Ein unrechtmäßiger Präsident und eine heimliche Amtseinführung in Min…
Am Mittwoch, 23. September, fand in Belarus die [1][heimliche
Amtseinführung von Alexander Lukaschenko] statt. Das löste im ganzen Land
eine Welle von Protesten aus, die brutal aufgelöst wurden. Andere Staaten,
vor allem europäische, haben Lukaschenko nicht als rechtmäßigen Präsidenten
von Belarus anerkannt – unter anderem die Slowakei, die drei baltischen
Staaten, Tschechien, Dänemark, Polen, die USA, die Ukraine, Kanada und die
Niederlande.
Am Morgen danach bestelle ich ein Taxi, um zu einem Arbeitstreffen zu
fahren. Kaum sitze ich im Auto, beginnt der Taxifahrer zu scherzen. „Ich
hab auf Sie da drüben vor dem 4. Aufgang gewartet“, sagt der mittelalte
Mann und zeigt nach vorne. „Und Sie haben sich unbemerkt von hinten
angeschlichen, ganz leise, das war so leise wie die gestrige
Amtseinführung.“ Er lacht.
„Ja“, erwidere ich, „mir hat es gestern fast das Herz zerrissen. Schlimme
Neuigkeit.“ „Tja, da fällt einem außer Schimpfworten nichts mehr ein“, …
der Mann. „Ich fahre schon lange Taxi, befördere Menschen und sehe, wie
viele Soldaten, in Sportklamotten verkleidet, gerade unterwegs sind und die
Hauptstadt nach Gefahren für den jetzigen Amtinhaber absuchen. Auf den
Dächern sind Scharfschützen, in der Stadt und auch in den Vororten.
Nach der Wahl ist unser Präsident noch mit einem Flugzeug geflogen. Jetzt
muss er, wenn er durch die Stadt fahren will, erstmal die Straßen von
[2][Menschen und Autos säubern lassen]. Wie der sich wohl in Zukunft
fortbewegen will? Wenn 80,1 Prozent für ihn gestimmt haben, warum war das
am Mittwoch eine heimliche Veranstaltung? Wo sind diese Leute, die für ihn
sind?“
Am Abend gingen die Menschen in Minsk wieder zu einer der [3][ungeplanten
Protestaktionen]. OMON-Leute (Sondereinheit der Polizei, die vor allem
gegen Demonstrant*innen eingesetzt wird, Anm. der Redaktion) schossen
in die Luft und verjagten die Protestierenden mit Farbwasserwerfern. Auf
die Autos, die als Zeichen des Protestes hupten, gingen sie mit
Schlagstöcken los und verfolgten die, die einfach weiter fuhren.
„Haben Sie das Video gesehen, wie gestern ein Taxifahrer einen Jungen
gerettet hat, der vor der OMON weggerannt ist?“, frage ich. „Das war eine
Verfolgungsjagd, wie in dem Film Taxi.“ „Ja, hab ich gesehen. Das hat der
Taxifahrer genau richtig gemacht. Ich bewundere ihn.
Unser Präsident soll doch ein Garant der Verfassung, ein Garant des
Gesetzes sein. Wenn er die einfach bricht, was soll der einfache Bürger
machen? Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als unser Volk selbst zu
retten und uns gegenseitig zu verteidigen und zu helfen. Wir haben uns bis
jetzt ja irgendwie zusammen gerissen, aber es ist schon schrecklich sich
vorzustellen, was jetzt kommen wird.“
Jetzt hat das Außenministerium bekanntgegeben: die Versuche, einzelner
westlicher Staaten, die Legitimität des Präsidenten in Frage zu stellen,
spiegelten nicht die Meinung der Mehrheit der internationalen
Staatengemeinschaft wider. Der Generalstaatsanwalt Andrej Schwed hat
versprochen: keiner der Organisator*innen und Teilnehmer*innen
der ungenehmigten Proteste könne sich seiner Verantwortung entziehen. Auch
kein einziger Blogger oder andere Bürger, die sich im Internet zu Wort
meldeten.
Man bemüht sich bereits sehr aktiv, diese Personen ausfindig zu machen. Und
das bedeutet, dass die belarussischen Machthaber jetzt wirklich [4][Jagd]
auf die machen, die Lukaschenko nicht unterstützen. Und sogar mir, wo ich
diese Kolumne schreibe, ist klar, dass sie auch mich aufspüren werden.
Heute oder morgen.
Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey]
26 Sep 2020
## LINKS
[1] /Nach-Amtseinfuehrung-in-Belarus/!5716632
[2] /Vereidigung-von-Lukaschenko-in-Belarus/!5711776
[3] /Sexismus-in-Belarus/!5714994
[4] /Protestorganisation-in-Belarus/!5714509
[5] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Olga Deksnis
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