| # taz.de -- Gewaltausbruch in Kirgistan: Brüchige Demokratie | |
| > Kirgistan hat eine Zivilgesellschaft, aber ein unzufriedener Teil der | |
| > Elite nutzt gern einmal den Unmut der Bevölkerung für eigene Zwecke aus. | |
| Bild: Bischkek in Kirgisstan: Demonstraten protestieren vor dem Regierungsgebä… | |
| Kirgistan ist ein Ja-aber-Land. Die gebirgige Ex-Sowjetrepublik mit ihren | |
| sechs Millionen Einwohnern gilt als Oase der Pluralität mit demokratischen | |
| Wahlen. Aber es gibt stets Probleme mit Stimmenkauf und unvollständigen | |
| Wählerlisten. Sie hat eine aufmerksame Zivilgesellschaft, aber ein | |
| unzufriedener Teil der Elite nutzt gern einmal den Unmut der Bevölkerung | |
| für eigene Zwecke aus. Sie gibt sich freiheitlich, aber hat kaum politische | |
| Geduld. Unruhen begleiten fast jede Wahl im Land, das vor allem von den | |
| Heimüberweisungen seiner Arbeitsmigrant*innen lebt. [1][Das Coronavirus | |
| erschwert seit Monaten auch ihnen die Jobs], der soziale Druck in der | |
| Gesellschaft steigt. | |
| Als Druckablasser kommt vielen die Wahl des Parlaments zupass. Der Staat | |
| steht dem [2][nächtlichen Gewaltexzess in der Hauptstadt], mit brennenden | |
| Autos, mit Hunderten von Verletzten, zunächst hilflos gegenüber. Und ist – | |
| im Gegensatz zum Dauerherrscher Alexander Lukaschenko in Belarus, der sich | |
| seit Wochen an seine ihm entgleitende Macht krallt – zu politischen | |
| Konzessionen bereit. Er lässt die Wahl für ungültig erklären. | |
| Offensichtlich war zu viel dabei manipuliert worden. | |
| Kirgistan klammert sich unbeholfen an die Zuschreibung, eine Insel der | |
| Demokratie inmitten von autoritären Staaten in Zentralasien zu sein. Doch | |
| die Achtung politischer Vielfalt ist ebenfalls eine Ja-aber-Vielfalt. Sie | |
| ist längst bedroht. Gegner, ja gar politische Ziehväter werden ins | |
| Gefängnis gebracht, wenn sie auf dem Weg zu mehr Macht stören, Clan-Denken | |
| steht für die meisten Politiker*innen wie eh und je vor Kompromissen, | |
| Dialogbereitschaft und Achtung der Minderheiten. Die Ungeduld vieler | |
| verbindet sich mit Aggressionen, [3][das Aufflammen ethnischer Gewalt ist | |
| nicht ausgeschlossen.] | |
| Das Land hinkt seinem Wunschbild einer Insel der Demokratie hinterher. Und | |
| doch hält es sich daran fest, auch wenn Debattenkultur nach Jahren des | |
| Übens kein Teil des kirgisischen Demokratieverständnisses geworden ist. | |
| 6 Oct 2020 | |
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| Inna Hartwich | |
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