# taz.de -- ARD-Serie „Parlament“ über die EU: Im Haifischbecken | |
> Die Serie „Parlament“ kritisiert mit viel schwarzem Humor das | |
> EU-Parlament. Dennoch ist sie ein glühendes Bekenntnis zum Staatenbund. | |
Bild: Christiane Paul als Ingeborg in der Serie „Parlament“ | |
Erinnert sich eigentlich noch jemand an „Der große Reibach“? Die Miniserie, | |
eine britisch-französisch-deutsche Koproduktion, zeigte Anfang der 90er | |
Jahre, wie der idealistische deutsche Beamte Hans Joachim Dorfmann | |
(gespielt von einem jungen Christoph Waltz) in Brüssel ankommt. Schnell | |
lernt er den politischen Alltag kennen und droht, zwischen EU-Bürokratie | |
und Korruption aufgerieben zu werden. | |
„Der große Reibach“ war ein großer Spaß mit reichlich schwarzem Humor, d… | |
heute durch den Brexit [1][und der gescheiterten Asylpolitik] längst von | |
einer noch viel böseren Wirklichkeit eingeholt worden ist. Eigentlich ist | |
es undenkbar, dass noch einmal Fernsehanstalten aus drei europäischen | |
Ländern den Mut aufbringen, sich gemeinsam über die bürokratischen | |
Pirouetten der Europäischen Union zu amüsieren. | |
Und doch haben es französische und belgische Sender und das ARD-Derivat One | |
mit ihrer ersten Eigenproduktion „Parlament“ versucht, noch einmal ein | |
unbedarftes Milchgesicht ins Europäische Parlament zu entsenden. Damals | |
spielte diese Rolle Christoph Waltz, der auch schon vor der | |
[2][Zusammenarbeit mit dem US-Regisseur Quentin Tarantino] in | |
herausragenden deutschen und österreichischen Produktionen auftrat. | |
Der Neuankömmling ist in der Neuauflage Franzose, heißt Samy (Xavier | |
Lacaille) und beginnt unmittelbar nach der Brexit-Abstimmung sein Praktikum | |
beim EU-Parlament. Zum Einstand soll er eine Vorlage erarbeiten, die das | |
Shark-Finning im EU-Raum verbietet. Damit ist das Abtrennen von | |
Haifischflossen bei lebendigem Leib gemeint. Und da kann ja nun wirklich | |
niemand etwas dagegen haben, denkt sich Samy. | |
## Europapolitik kann langatmig sein | |
Doch schnell begreift er, dass [3][das Europäische Parlament] selbst ein | |
Haifischbecken ist, in das er geraten ist, und Europapolitik sehr langatmig | |
sein kann. So muss er bei der Shark-Finning-Vorlage die Spanier mit ins, | |
nun ja, Boot holen. Nur haben die spanischen Fischer ganz andere Interessen | |
als ihre katalanischen Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie sich die | |
spanische Mittelmeerküste teilen. | |
Außerdem, so stellt sich bald heraus, geht es bei der Anti-Finning-Vorlage | |
gar nicht um Haifischflossen, sondern darum, auf diesem vermeintlichen | |
Nebenschauplatz [4][eine Koalition gegen die rechten Populisten] im | |
Europäischen Parlament zu schmieden. Der Abgeordnete Michel (Philippe | |
Duquesne), dem Samy eigentlich zuarbeiten soll, ist ihm dabei keine Hilfe: | |
„Ich bin seit drei Jahren hier. Da kann ich jetzt nicht nachfragen, wie das | |
läuft. Ich wäre wie diese Sechstklässler, die nicht lesen und schreiben | |
können.“ Der Zuschauer merkt schnell: Dieser Mensch hat keinen Schimmer. | |
Samys Lehrerin ist dabei eine strenge Deutsche namens Ingeborg (Christiane | |
Paul), die selbst ihre engsten Mitarbeiter fürchten: „Wenn Hexen Albträume | |
haben, träumen sie von Ingeborg“, sagt Samys Kollege Torsten (Lucas | |
Englander). Samys Lehrerin tritt dabei mit markigen Sprüchen auf – „Waren | |
Sie kürzlich in England? Man kommt sich vor wie in Venezuela, nur mit einem | |
Scheißwetter!“. Diese Frau sollte man nicht als Gegnerin haben. | |
Die Zuschauerinnen und Zuschauer können sich in der Mediathek aussuchen, ob | |
sie die bissigen Dialoge von Ingeborg mit deutscher Synchronisation oder in | |
der Originalsprache hören wollen. „… mais avec un temps de chiotte!“, sa… | |
Christiane Paul im Original zum Wetter in Großbritannien. Der Unterschied | |
ist denkbar gering und beschränkt sich darauf, dass sich die Schauspielerin | |
in der deutschen Fassung selbst synchronisiert. Alle anderen | |
Schauspielerinnen und Schauspieler sprechen konsequent französisch oder | |
englisch in beiden Fassungen; das erzeugt eine hohe Glaubwürdigkeit. | |
„Parlament“ funktioniert als Serie nicht nur wegen seines wunderbar | |
schlichten Titels, sondern auch wegen seiner satirischen Grundidee, die das | |
EU-Parlament zwar heftig kritisiert, aber seine Notwendigkeit niemals | |
infrage stellt und ein glühendes Bekenntnis für den Staatenverbund ist. | |
Serien wie „Parlament“ sind womöglich ein gutes Mittel, um gegen die | |
wachsende Europa-Verdrossenheit anzukämpfen. Und solange es solche Serien | |
gibt, ist Europa nicht verloren. | |
5 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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