# taz.de -- Shitstorm gegen Comedian Somuncu: Kein doppelter Boden | |
> Kabarettist Serdar Somuncu beleidigt Frauen in einem Podcast vom rbb. Der | |
> Sender entschuldigt sich, verweist aber auf die Satirefreiheit. So | |
> einfach? | |
Bild: Provo-Komiker Serdar Somuncu als Hitler in „Mein Kampf“ 2000 im Berli… | |
Was darf Satire? Diese große Frage schwirrt gerade mal wieder durch die | |
sozialen Medien und Zeitungen. Ihren Anlauf nahm sie dieses Mal am 7. | |
September. | |
Fast unbemerkt startete da ein neuer Podcast bei radioeins des Rundfunks | |
Berlin-Brandenburg. „Schroeder & Somuncu“ heißt er und wird moderiert von | |
den Satirikern Florian Schröder und Serdar Somuncu. [1][Im Ankündiger der | |
Sendung heißt es], Schröder und Somuncu würden „die | |
politisch-gesellschaftliche Großwetterlage einer handfesten Analyse, die | |
man so noch nie gehört hat“, unterziehen. | |
Einige Tage später, am Dienstag dieser Woche, teilte der Journalist Malcolm | |
Ohanwe einen zweiminütigen Ausschnitt aus dem sonst knapp dreistündigen | |
Podcast [2][auf Twitter.] Zu hören ist da, wie sich Somuncu rassistisch | |
äußert und zugibt, dass es ihm „scheißegal“ sei, was andere denken. Er | |
werde weiterhin Begriffe wie „Zigeunerschnitzel“ oder das N-Wort (er | |
spricht es aus) benutzen, beteuert er. Somuncus Wuttirade mündet darin, | |
dass er über einen Zusammenhang zwischen sexuellen Aktivitäten und Texten | |
von feministischen Kolumnistinnen mutmaßt. Den genauen Wortlaut seiner | |
Aussagen sparen wir uns an dieser Stelle. Und Florian Schröder? Den hört | |
man im Hintergrund lachen. | |
Der Shitstorm und die Empörung, die folgte, war enorm. Der Vorwurf in den | |
sozialen Medien: Hier ging es nicht um Satire, was Schröder und Somuncu da | |
sagten, sei blanker Rassismus und frauenfeindlich. | |
## Stellungnahme des Senders | |
Noch am selben Tag der Veröffentlichung des Ausschnitts reagierte der | |
Sender. Es wurde getagt, beraten und am Ende stand eine Stellungnahme: | |
„Radioeins hatte niemals die Absicht, rassistische oder sexistische | |
Stereotype zu befördern“, heißt es darin. Aber radioeins macht auch klar: | |
Es handle sich um Comedy und Satire und eine gezielte Provokation. Die | |
veröffentlichten Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen und könnten | |
ohne Kontext nicht verstanden und bewertet werden. | |
Später äußerten sich auch Schröder, Somuncu und radioeins-Programmchef | |
Robert Skuppin [3][live im Radio] zu den Vorwürfen. Auch hier: | |
Entschuldigung vom Sender, die Versicherung, niemals die Absicht gehabt zu | |
haben, jemanden zu verletzen, und gleichzeitige Verteidigung, es sei ja | |
schließlich alles Satire. Somuncus Kommentar: Er sei Satiriker und | |
beleidige alle gleichermaßen: Frauen, Juden, Türken – und auch Hunde! | |
Schröder: Die Aussagen von Somuncu seien ein performativer Akt gewesen, | |
eine Show. Er habe über diese Show gelacht. | |
Was ist nun dran am Vorwurf, die Bewertung des Ausschnitts würde anders | |
ausfallen, hätte man die gesamten drei Stunden der Podcastfolge gehört? | |
Leider wenig. Denn kurz bevor der angebliche „performative Akt“ von Somuncu | |
einsetzt, sagt dieser: „Das fordert eine Ehrlichkeit heraus, die verletzend | |
ist.“ Später dann folgen die frauenverachtenden Ausfälle. Und auch an | |
anderen Stellen im Podcast wird Somuncu sprachlich ausfallend. Zum | |
Beispiel, wenn er über „Asoziale“ herzieht, sich fragt, „wieso die es | |
schaffen, so viele Kinder zu machen“. Oder wenn er Männer als Schwuchteln | |
bezeichnet. | |
## Der Kontext | |
Dass sich über ihren Podcast empört würde, das haben Schröder und Somuncu, | |
wenn man denn so will, vorhergesehen. Denn sie thematisieren explizit die | |
Frage, wie man bewusst Shitstorms mit Satire herbeiführen kann, welche | |
Grenzen dafür überschritten werden müssen und ob radioeins einzelne Teile | |
dieser Sendung zensieren oder die beiden Männer direkt rausschmeißen würde. | |
Entscheidend ist: Schröder und Somuncu erörtern in den drei Stunden Podcast | |
sehr ernsthaft und persönlich genau solche Fragen. Sicher, es wird gelacht, | |
es werden Witze gemacht. Aber: Der Kontext, in dem Somuncu ausfallend wird, | |
kann durchaus als einer verstanden werden, in dem auch er ehrlich spricht. | |
Man kann ihre Sendung als große Show und Kunst auffassen, die damit das | |
Mediensystem entlarvt und Empörung hervorgerufen hat. Viel naheliegender | |
aber ist, dass sich Schröder und Somuncu hinter platten Aussagen | |
verstecken, die sie nun als vermeintliche Satire labeln. | |
## Nächste Folge | |
Wer Kabarett und Satire nicht verstehe, der habe den Bezug zur Realität | |
verloren, behauptet Somuncu auf radioeins. Letztlich sollte doch aber | |
gelten: Offensichtlich rassistisch, sexistisch und frauenverachtend zu | |
sein, ist keine Kunst. Es gibt dabei keinerlei Entfremdung, keinen | |
doppelten Boden, keine Pointe. Es bleibt Reproduktion und Verletzung. | |
Fraglich bleibt, ob Schröder und Somuncu – und der Sender – für die näch… | |
Folge dazugelernt haben. Denn es wird sie geben, die nächste Folge: Der | |
Podcast läuft ab jetzt alle 14 Tage bei radioeins. | |
16 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.radioeins.de/archiv/podcast/schroeder-somuncu.html | |
[2] https://twitter.com/MalcolmOhanwe/status/1305628729822056449?s=20 | |
[3] https://www.radioeins.de/programm/sendungen/modo1619/_/debatte-um-schroeder… | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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