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# taz.de -- Altersdiskriminierung von Frauen: In Würde altern – unmöglich
> Viele Frauen betonen, würdevoll altern zu wollen. Dies funktioniert aber
> nicht in einer Gesellschaft, in der eine Frau nicht alt sein soll.
Bild: In Würde altern funktioniert nicht, wenn wir nicht von jeher mit Würde …
Es ist wie ein Mantra: In Interviews erklären weibliche Prominente immer
wieder: Sie möchten „in Würde altern“, Pamela Anderson will es, Halle Ber…
und [1][Meryl Streep] wollen es, so wie es auch Anastacia, Cameron Diaz,
Kim Wilde wollen: Alle wollen „in Würde altern“.
Wer die Phrase „in Würde altern“ hört, mag zuallererst an die Zustände in
Pflegeheimen denken, an Inkontinenz, Schwerhörigkeit oder an die Furcht
vor der Demenz. Klar, alle möchten bis ins hohe Alter selbstständig sein,
zu Hause leben, gesund sein oder zumindest angemessen gepflegt werden. Ich
auch.
Doch jene Art von Altern meinen die oben erwähnten und weitere Frauen
nicht. Sie sprechen davon „das Älterwerden als natürlichen Prozess zu
akzeptieren“ ([2][Heike Makatsch]). Man solle „nicht gegen sein Alter
anspielen“ (Sabine Postel). Oder: „Ich möchte meiner Tochter vorleben, dass
es etwas Schönes sein kann, in Würde zu altern“ (Désirée Nosbusch).
Implizit schwingt da mit: Bloß nicht wie Madonna werden. Die Popsängerin,
vor einem Monat 62 Jahre geworden, dient immer wieder als Negativbeispiel
dafür, wie eine Frau würdelos altere. Sie sei zu muskulös, zu sexy und
solle sich einfach mal zur Ruhe setzen, anstatt der Welt ihren Körper zu
präsentieren, liest man in Kommentaren.
Als Reaktion auf ein Video, in dem [3][Madonna ihr Gesäß] zum sogenannten
Twerking in die Kamera hält, beugte sich Good-Morning-Britain-Moderator
Piers Morgan mit gespielter Übelkeit über einen Mülleimer und erklärte:
„Man kann mit 58 nicht so herumtanzen. Macht das weg!“
## Diktat der Gesellschaft
Vielleicht könnte man meinen, dass es anmaßend ist, dass ich, mit Ende
zwanzig, einen Text über das Altern schreibe. Doch auch ich lächele, wenn
ein Mensch mich jünger schätzt. Auch ich stehe manchmal vor dem Spiegel und
fahre mit meinem Finger über die feinen Linien auf meiner Stirn, die vor
einigen Jahren nicht dort waren. Denn auch ich habe das Diktat einer
Gesellschaft verinnerlicht, in der eine Frau nicht alt sein soll.
Altersdiskriminierung wird in unserer Gesellschaft selten thematisiert.
Insbesondere im Verhältnis zu deren Verbreitung. Laut einer Studie der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2017 zu
Diskriminierungserfahrungen wurde am häufigsten von Diskriminierung auf
Grundlage des Alters berichtet. 9,9 Prozent der Befragten gaben an, dass
dies auf Grund eines vermeintlich zu hohen Lebensalters geschah. 44,4
Prozent der Europäer*innen empfinden, laut einer Studie der Universität
Kent, Altersdiskriminierung als schwerwiegendes Problem.
Frauen sind von Altersdiskriminierung besonders betroffen. Das zeigt sich
unter anderem auf dem Arbeitsmarkt: Laut einer Studie aus den USA erhalten
Frauen unter 45 fast doppelt so häufig eine Einladung zum
Bewerbungsgespräch wie Frauen, die dieses Alter überschritten haben.
Auch Schauspielerinnen, wie die oben genannten, haben es, bis auf wenige
Ausnahmen, im Alter nicht leicht. Ihre Gagen fallen ab Mitte 30, während
ihre männlichen Kollegen im Alter von 52 am besten verdienen, schreibt das
Magazin fluter.
Auch prominente Männer, wie etwa George Clooney, erklären in Interviews
immer mal wieder, dass auch sie in Würde altern wollen. Doch wenn ihre
grauen Haare als sexy gepriesen werden, wenn man immer wieder liest, ein
Mann sei wie ein guter Wein, der im Alter immer besser werde, dann ist das
leicht gesagt.
## Bitte nicht zu dick, bitte nicht zu sexy
Auch eine viel jüngere Partnerin ist kein Problem, während Madonna [4][ihre
Liebesbeziehungen] zu jungen Männern in den Medien verteidigen muss. Ja,
auch Männer erleben Altersdiskriminierung, doch es wird deutlich, dass sie
Frauen in einer anderen Qualität widerfährt.
Denn im Leben von Frauen überkreuzt sich [5][Altersdiskriminierung mit
Sexismus], von dem sie ohnehin betroffen sind. Damit steht das, was sie
erleben, im Kontext der unmöglichen Ansprüche an Frauen, welche sich durch
jede Altersklasse ziehen: Dick sollten wir auf keinen Fall sein. Zu dünn
auch nicht. Geschminkt, ja, aber nicht „zugekleistert“. Zu viel verhüllen
sollen wir nicht, zu viel aber auf gar keinen Fall. Zu sexy darf es auch
nicht sein, denn damit fordern wir „das Falsche“ heraus, nicht wahr?
Genauso ambivalent verhält es sich mit dem Altern. So schön es klingt, das
Älterwerden anzunehmen, so wenig hat es mit der Realität zu tun. Denn wenn
eine Frau vermeintlich „in Würde altert“ und sich so zeigt, ist es der
Gesellschaft auch nicht genehm.
Als Sarah Jessica Parker auf den Fotos der Met Gala 2018 mit deutlichen
Falten zu sehen war, kommentierten Menschen auf Twitter: „Ihre Haut sieht
aus wie Baumrinde“ und „sie sieht aus, als wäre sie 89“. Zu diesem
Zeitpunkt war Sarah Jessica Parker 53 Jahre alt. Die oben genannte Heike
Makatsch machte selbst Werbung für eine Anti-Falten-Creme. Sieht so „das
Älterwerden als natürlichen Prozess akzeptieren“ aus? Es fühlt sich
verlogen an.
Der Wunsch, würdevoll zu altern, wie es die zitierten Schauspielerinnen
verstehen, ist absurd. Denn in dieser Gesellschaft ist der Anspruch an
alternde Frauen, sich so jung zu repräsentieren, wie es nur geht. Weil das
Altern in unserer Gesellschaft ausschließlich mit einem Pfeil daherkommt,
der in die Richtung von Verfall und Verlust zeigt.
## An der Fruchtbarkeit wird der Wert der Frau bemessen
Doch das (zumeist optische) „Verjüngen“ hat seine Obergrenze. Wer dies zu
offensichtlich tut, so zeigt das Beispiel Madonna, macht sich verdächtig,
sich dem Platz in der Gesellschaft entziehen zu wollen, der alternden
Frauen zugewiesen wird. Nämlich in der letzten Reihe.
Gestraft wird auch die Alternde, die sich zu sexy repräsentiert. Sie steht
unter Verdacht, über den vermeintlichen Mangel, nämlich den der
Reproduktionsfähigkeit, hinwegzutäuschen. Denn die Fruchtbarkeit ist noch
immer etwas, woran der Wert und damit die Würde einer Frau in dieser
Gesellschaft hängt.
Hier zeigt sich: In Würde altern funktioniert nicht, wenn wir nicht von
jeher mit Würde behandelt werden. Aber genau das ist der Fall. Frauen
werden nicht erst im Alter in der letzten Reihe platziert. Wir sitzen von
jeher auf den billigen Plätzen der Gesellschaft.
Wie würdevoll sollen wir uns fühlen, wenn unsere Leistungen noch immer
weniger anerkannt und vergütet werden als die von Männern? Wie würdevoll
sollen wir uns fühlen, wenn 39 Prozent der Frauen in Deutschland
zweideutige Witze am Arbeitsplatz ertragen müssen? Wie würdevoll sollen wir
uns fühlen, wenn alle 72 Stunden in Deutschland ein Femizid geschieht?
Auch wenn die oben zitierten prominenten Frauen gegenüber ihren männlichen
Kollegen oftmals benachteiligt sind, so nehmen sie doch eine privilegierte
Position in dieser Gesellschaft ein. Sie haben etwa im Alter keine
finanziellen Sorgen, wie andere Frauen in Deutschland, welche laut
Bertelsmann-Stiftung im Schnitt 711 Euro Rente bekommen (Männer erhalten
übrigens 1.148 Euro, Deutschland hat die größte Rentenlücke in der EU). Sie
verfügen über ein soziales Netz und entsprechen dem Schönheitsideal.
Vielleicht denken sie deshalb nicht daran, welche Implikationen ihre
Aussagen haben, wenn sie in Würde altern als individuelles Projekt
repräsentieren, welches allein unserer persönlichen Entscheidung obliegt.
Nichtdestotrotz verschleiern sie damit, dass es sich hier um ein
strukturelles Problem handelt. Ein Problem, das nicht erst mit dem Altern
beginnt. Denn in einer Gesellschaft, in der Frauen von Anfang an wenig
Würde zugestanden wird, wird der Wunsch, würdevoll zu altern nicht nur
absurd, sondern unmöglich.
27 Sep 2020
## LINKS
[1] /Komoedie-Late-Night-im-Kino/!5619094
[2] /ARD-Krimi-Die-Zielfahnder/!5634053
[3] /50-Jahre-Stonewall/!5602848
[4] /Mythen-zu-Sex-im-Alter/!5709476
[5] /Frauen-und-Geld-in-der-Musik/!5666001
## AUTOREN
Christina Focken
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