# taz.de -- Plötzlich wieder Single: Männer! | |
> Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass Frauen ein Problem mit dem | |
> Älterwerden hätten. Sie haben eins mit Männern: Nicht wenige werden | |
> peinlich. | |
Bild: Eine Freundin sagt, das Internet sei schuld: Es bediene vor allem das Nie… | |
HAMBURG taz | Bastian* will wissen, ob ein Blow-Job drin ist. Bastian ist | |
25 und auf seinen Bildern bei Tinder sehr hübsch. Wir schreiben uns seit | |
zwei Tagen. Er glaubt, jung und süß zu sein und einen Penis zu haben sei | |
genug, um eine Frau über vierzig auf die Schnelle von sich zu überzeugen. | |
Dabei scheint er sonst nicht dumm zu sein. Er kennt gute Musik, liest | |
Romane und behauptet, Konzeptkünstler zu sein. Ich wollte was mit ihm | |
trinken gehen, einfach nur, um rauszufinden, ob er so aussieht wie auf den | |
Bildern. Aber dann stellt er die Bedingung eines Blow-Jobs. Ich schreibe, | |
er solle erst mal erwachsen werden, und lösche ihn. | |
Der Mann, mit dem ich alt werden wollte, wollte plötzlich gar nicht mehr | |
alt werden. Pünktlich zu seinem vierzigsten Geburtstag entschied er sich, | |
mich mit einer sehr jungen Instagram-Poserin zu betrügen. | |
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die meisten Frauen ein Problem | |
mit dem Älterwerden haben. Sie haben vielmehr eins mit Männern. Nicht | |
wenige Männer, die altern, entwickeln sich zurück und werden peinlich; | |
viele Frauen, die ich kenne, haben ein gesünderes Ego und bewahren Stil. | |
Wir werden ja schon früh von allen Seiten und immerzu mit dem Thema | |
Älterwerden konfrontiert und sind deshalb besser vorbereitet. | |
## Verwelkter Mann in Public-Enemy-T-Shirt | |
Zu Beginn versuchte ich es nach meiner Trennung bei Tinder mit einem über | |
vierzig: Fjodor. Ach, wie Dostojewski, dachte ich, und tatsächlich hatte er | |
außer Fotos auf seinem Profil noch einen interessanten Text hinzugefügt. Er | |
kommunizierte einen durchaus interessanten Weltschmerz und lernte | |
Chinesisch, einfach so. Ich stimmte einem Treffen zu. Es war noch Sommer | |
und ich stand zunächst alleine in der überhitzten Bar auf St. Pauli. Ich | |
bestellte mir einen Weißwein auf Eis, drehte mich um und erblickte einen | |
verwelkten Mann in Public-Enemy-T-Shirt und kurzer ausgebeulter Cargo-Hose. | |
Dem schnittigen Fjodor bei Tinder ähnelte er nur entfernt. Fake Fjodor | |
schaute mich mit freudig-großen Augen an: „Saskia, ne!? Ich hab dich schon | |
reingehen sehen.“ | |
Ich dachte: Und dann hast du mich mein Getränk bezahlen lassen, du Niete. | |
Wir setzten uns raus und die Chauvinistin in mir erwachte: Scheiße, sah der | |
alt aus, aber erstes Date, natürlich, das muss für’n Arsch sein. Ich besann | |
mich auf den Unterhaltungswert, tat interessiert und ließ ihn labern. | |
## Hoffentlich sieht mich niemand | |
Mehrfach lobte er mein junges Erscheinungsbild, und ich dachte, hoffentlich | |
sieht mich niemand, den ich kenne, mit ihm. Seine Fotos mussten mindestens | |
zehn Jahre alt sein, und bald schon gab er zu, dass er eben nicht 43, | |
sondern 49 und sein Name nicht Fjodor war, sondern Stefan. Weder war er | |
Russe, noch überzeugte er sprachlich. Seine kurzen Sätze blieben meist ohne | |
Aussage, aber ich erfuhr, dass er noch mit seiner Frau und den Kindern | |
zusammenlebte, aber seit einer Weile getrennt sei. Ich fragte, ob seine | |
Frau das mit der Trennung auch wisse. Er wandte den Blick ab, nickte stumm | |
und ich dachte an meinen Ex. | |
Nun wollte ich Stefan unbedingt demütigen, sagte, auf den Fotos wirke er | |
viel größer als in echt, und berichtete, dass viele 25-Jährige bei Tinder | |
mich treffen wollten, und da schlug er zurück und erklärte mir, das liege | |
nur daran, dass Frauen über vierzig leichter zu haben sind und die Jungs | |
schnell zum Schuss kommen wollen. Ich verabschiedete mich und änderte noch | |
im Taxi bei Tinder den Altersradius. Nur noch Männer bis 39. | |
Meinem nächsten Date Oliver, dreißig, Journalist, berichtete ich von Fake | |
Fjodors Einschätzung zum Thema Interesse junger Männer an älteren Frauen. | |
Oliver sagte, das sei Blödsinn, er date nur Frauen Anfang zwanzig oder über | |
vierzig, weil nur die beiden Gruppen die richtige Einstellung hätten. Die | |
dazwischen wollten immer gleich wissen, was Sache sei, also Kinderkriegen, | |
oder ihn sonst wie festlegen. Und er wolle vieles in seinem geilen Leben, | |
nur nicht eingetütet werden. Seine letzte Freundin aber sei Anfang zwanzig | |
und einfach zu schön gewesen. Er habe deswegen am Ende psychische Probleme | |
bekommen. | |
## Fußballspieler beim Durchschnittsitaliener | |
Als ich gähnte, schob er schnell ein, er fände mich sehr hübsch. Ich lenkte | |
das Thema auf Tagespolitik, betrank und verabschiedete mich bald. | |
Den Fußballspieler eines Hamburger Vereins traf ich am frühen Abend beim | |
Durchschnittsitaliener. Er verzehrte einen Berg Pasta mit Schrimps, zwei | |
große Apfelschorlen und erzählte ganz amüsant von seiner Kindheit und | |
Karriere und was er danach alles Tolles machen wolle. Er sagte, er freue | |
sich aufs Alter, meinte damit seine Dreißiger und stellte mir nicht eine | |
einzige Frage. Armselig, aber ich hatte ohnehin nur sinnliche Absichten. | |
Das Problem war allerdings, dass eine Freundin, die schon mit ihm | |
geschlafen hatte, mir gesagt hatte, sie wolle mir nicht vorab den Spaß an | |
dem heißen Sportler verderben, aber es sei ihre Pflicht als Freundin, mir | |
zu stecken, dass er einen klitzekleinen Penis habe. Den bekam ich beim | |
Dinner mit ihm einfach nicht aus dem Kopf. Dabei hatte er einen so schönen | |
großen Körper, grüne Augen und lange Wimpern. Nach dem Grappa machte ich | |
die Biege, traf mich noch mit Freundinnen, und alle zeigten große Empathie | |
für meine Oberflächlichkeit. | |
Maxim, 29, erinnerte mich an jemanden, in den ich mal sehr verliebt gewesen | |
war. Und er stellte Fragen – meist sogar gute. Als Ausgleich zu seinem | |
ziemlich böse kapitalistischen Job arbeitete er am Wochenende ehrenamtlich | |
mit unterprivilegierten Behinderten, er hatte wegen seinem neuen | |
Lebensprinzip der Nachhaltigkeit eine Brasilienreise abgesagt und war seit | |
Kurzem Vegetarier. Nicht Veganer. Lange nicht gehört. Wir trafen uns beim | |
Vietnamesen in der Schanze, er war so hübsch wie auf den Fotos und auch | |
sonst ein zauberhaftes Wesen. Zu jung und lieb, befürchtete ich. | |
## Vorlieben in der Fetisch-App | |
Im Taxi aber küsste er mich mit dominanter Wucht. Bald schon schlief ich | |
mit ihm und es machte Spaß, und ich dachte, jetzt hab ich ihn gefunden, den | |
perfekten Mann für eine gute Zeit in der Phase, in der mein Herz noch | |
gebrochen war. Einen, in den ich mit zwanzig maßlos verliebt gewesen wäre. | |
Doch bald schon wollte er mehr von mir. Er wollte alles mit mir teilen. | |
Alle seine sexuellen Vorlieben. | |
Nichts gegen spaßige Unanständigkeit, aber: Er schickte mir einen | |
Screenshot seines Profils bei einer Fetisch-App und bat mich, ihm | |
mitzuteilen, was ich davon zu tun bereit sei. Vieles davon hatte mit | |
Schmerzen zu tun und auch von Blut war die Rede. Analspielchen in allen | |
Variationen und Dinge, von denen ich noch nie gehört hatte, und nachdem ich | |
sie gegoogelt hatte, wollte ich die Zeit zurückdrehen. | |
Eine Freundin sagte, das Internet sei schuld, es bediene vor allem das | |
Niedere im Mann – daher wären die Typen heutzutage schon mit Mitte zwanzig | |
kaputt und ihre Seelen verloren. Ich dachte an Tim, der eine Straße weiter | |
wohnt und mit dem ich bisher nur Whats-App-Kontakt hatte. Am Wochenende | |
zwischen zwei und fünf Uhr morgens schrieb er manchmal besoffene | |
Nachrichten, ob er noch vorbeikommen könnte. Als ich darum bat, ihn erst | |
einmal beim Essen kennen zu lernen, bevor ich ihm in der Nacht meine | |
Wohnungstür öffne, sagte er zu und dann eine Stunde vorher wieder ab – | |
wegen eines mysteriösen Ausschlags. | |
Ich hörte lange nichts von ihm, dann wünschte er mir plötzlich schöne | |
Weihnachten und alles Gute für das neue Jahr. Reinkopiert, mutmaßte eine | |
Freundin, die schon lange bei Tinder aktiv ist. Sie meinte, das machen die | |
Typen zum Jahresende mit allen ihren Kontakten, um zu sehen, wo im nächsten | |
Jahr noch was geht. Und sie habe da einen Mann, der ihr aus demselben Grund | |
regelmäßig eine gute Nacht und manchmal auch einen guten Morgen und schönen | |
Tag wünscht. Ab und zu schreibe sie zurück. Das gehe seit einem halben Jahr | |
so, dabei haben sie sich noch nie getroffen. Vielleicht irrt sie sich und | |
die ausgetauschten Grüße reichen ihm als Beziehungssubstitut. | |
Die Unverbindlichkeit, nach der viele Männer jeden Alters streben, ist oft | |
bemitleidenswert und im besten Fall ein bisschen rührend. | |
* Alle Namen im Text geändert. | |
27 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Saskia Lima | |
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