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# taz.de -- „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz: Sozial gerahmt
> Zwischen Tinder, Sexratgeber und Coach auf der Suche nach steter
> sexueller Befriedigung: Was macht das mit unseren Gefühlen?
Bild: Die sexuelle Revolution brachte Freiheit, aber auch eine Entkopplung von …
Verwechselt ausgerechnet [1][Soziologin Eva Illouz] Sex mit Liebe? Das
könnte meinen, wer ihr aktuelles Buch „Warum Liebe endet“ liest. Der grö�…
Teil des Buchs widmet sich dem Thema Sex, genauer: Bindungen unter den
Bedingungen „befreiter“ Sexualität im skopischen Kapitalismus.Es ist das
dritte Buch in der Reihe von Illouz’ Schriften zur Liebe nach „Warum Liebe
wehtut“ und „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“. Anhand von Interviews,
Filmhandlungen und Einträgen in Online-Foren vergleicht die israelische
Soziologin das Prozedere des Liebeswerbens im 19. Jahrhundert mit dem
Anbandeln von Casual Dates im 21. Jahrhundert. Beides ist vergleichbar,
weil es hier wie dort um die Anbahnung von Sex geht. Nur die sozialen und
kulturellen Rahmungen sind andere.
Bis ins 20. Jahrhundert war Sexualität an das Eheleben gekoppelt und mit
Fortpflanzung verknüpft. Was nicht heißt, dass Menschen nicht auch
außerhalb der Ehe Sex hatten oder Kinder zeugten. Außerehelicher Sex von
Frauen unterlag jedoch einem strengen Strafregime. Gerade weil weibliche
Sexualität so streng reglementiert wurde, herrschte auf dem Markt für
Sexuelles eine Verknappung des Angebots. Eine Heirat bot dem Mann die
Möglichkeit, regelmäßig sexuell über eine Frau verfügen zu können. Im
Gegenzug übernahm er Verpflichtungen für sie. Ökonomische Pflicht gegen
Sex, voilà, man nennt es Patriarchat.
Mit der Pille, die Sex vom Risiko einer ungewollten Schwangerschaft
weitestgehend entkoppelte, löste sich die enge Verbindung von Ehe, Sex und
Kinderkriegen. Die [2][sexuelle Befreiung schuf tatsächlich mehr Freiheiten
für Frauen], ihre Sexualität zu leben. Aber durch die enorme
Angebotserweiterung auf dem Markt fürs Sexuelle entkoppelten sich Sex und
Liebe (bzw. Bindung) vollständig. Zugleich schuf sie neue Normen des
Frauseins: Der Imperativ „Sei sexy!“ trat an die Stelle des
Keuschheitsgebots.
## Sex ist ein gewaltiger Markt
Unter den Vorzeichen des skopischen, also visuell orientierten Kapitalismus
erfuhr die Frau eine Reduktion aufs Äußerliche. Nicht zufällig schildern
Frauenzeitschriften die Angst von Frauen, sich vor einem Partner zu
entblößen, weil sie gängigen Vorstellungen von Sexyness – diesem
Konglomerat aus Attraktivität und Jugend – nicht entsprechen. Aber dafür
bieten ihnen die Zeitschriften auch gleich allerhand Produkte, die das
erlebte Manko ausgleichen sollen: High Heels, Kosmetik oder Dessous. Denn
die Konkurrenz schläft nicht! Oder höchstens mit unserem Mann.
Die sexuelle Befreiung wurde begleitet vom Wandel des Konsumgütermarktes,
der nun immer mehr auf das Individuum, seine heimlichen Begierden und die
Erfüllung derselben setzt. Ein gelungenes Sexualleben braucht allerhand
unterstützende Gadgets, heißt es. Sex ist ein gewaltiger Markt, das gilt
für die Körper, die hier zirkulieren und zur Ware werden, wie für die
Gegenstände, die sie sich einführen oder umschnallen. Auf [3][Kuppler-Apps
wie Tinder eröffnet sich den Suchenden] die schiere Größe des potenziell
unbegrenzten Dating-Marktes. Eine schönere, bessere, heißere Frau wartet
potenziell hinter der nächsten Ecke. Wer da mal keine Komplexe bekommt!
Ein Folgeeffekt des Casual Datings, das eher der Vermittlung von
Sexpartnern als der Suche nach Liebe gilt, ist die Verunsicherung des
Selbstwertgefühls. Zugleich streben Menschen gerade hier, beim
Gelegenheitssex, nach Stärkung des womöglich lädierten Selbstwertgefühls.
Ein Teufelskreis. Besonders für Frauen, die den Geschlechterrollen
entsprechend eher nach emotionaler Bindung und festen Beziehungen suchen,
meint Illouz.
Und hier kommt der Vergleich mit dem 19. Jahrhundert ins Spiel: Unter den
Vorzeichen bürgerlicher Kultur galt das Werben um Frauen als Sache des
Mannes. Indem ein Mann seine Liebe gestand, also das Risiko der
Zurückweisung in Kauf nahm, eröffnete er den Prozess der Annäherung.
Bekräftigt wird er durch Geschenke an die Zukünftige. So wird der Aspekt
des ökonomischen Tauschhandels bekräftigt.
Man verstünde Illouz falsch, wenn man annähme, dass sie sich eine Rückkehr
zu diesen alten Liebesmustern wünscht. Sie verdeutlicht stattdessen, dass
Beziehungen nicht in einem luftleeren Raum entstehen. Es bedarf sozialer
Rahmungen, die es gestatten, Gefühle zu entfalten. Diese Rahmung fehlt
heute weitestgehend, weswegen es so schwierig geworden ist, seine Gefühle
zu erklären. Gefühle bilden den Kern der romantischen Liebe und sind doch
im Alltag des Dating dem sexuellen Kontakt nachgeordnet. Auch deswegen
verursacht er eine Vielzahl von Trennungen: weil man keine Lust mehr für
den Partner empfindet oder etwa fremdgeht.
Die Beziehungsratgeber-Industrie sucht die Schuld für das Scheitern beim
Subjekt, das sich und seinen Bedürfnissen zu viel oder zu wenig
Befriedigung verschafft. Dass Beziehungen aber nur schwer
aufrechtzuerhalten sind, wenn als Ideal eines erfüllten Lebens sexuelle
Eroberungen und stete sexuelle Befriedigung gelten, ignorieren die
Ratgeber. Oder ermuntern stattdessen zu sexuellen Ritualen, damit das
Sexleben bloß nicht einschläft.
## Psychologisches Rätsel
Man kann der Analyse von Illouz in weiten Punkten zustimmen, auffällig
bleibt aber, wie sehr sie die veränderten Beziehungsrahmungen aus der
Perspektive der Frau betrachtet, die weitgehend mit der Sphäre des
Emotionalen identifiziert wird. Dass es sich hier um Zuschreibungen
handelt, die so konstruiert sind wie die Vorstellung, dass Männer eher nach
Autonomie streben, ist Illouz sicher bewusst, sie thematisiert das aber
kaum. Dadurch gerät die Analyse in eine Schieflage.
Dass Illouz die Ansprüche der Ratgeber-Psychologie, ein Allheilmittel für
Beziehungsunfähigkeit in der Arbeit am Selbst zu entdecken, zurückweist und
stattdessen soziale Aspekte für das Scheitern von Beziehungen haftbar
macht, ist legitim. Darüber vergisst sie aber, dass die Psyche natürlich in
den Prozess des Liebens eingebunden ist, und zwar nicht nur dort, wo
Selbstwertgefühle gekränkt sind.
Das Verlieben selbst stellt zu allen Zeiten ein psychologisches Rätsel dar.
Und natürlich verursachen die von Illouz beschriebenen veränderten
Vorzeichen auch Folgen der psychischen Individualentwicklung. Sigmund Freud
beispielsweise formulierte seine Neurosenlehre vor dem Hintergrund der
bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrem spezifischen Konfliktpotenzial. Die
zeitgenössische Patchwork- und Scheidungsfamilie hat nun aber ebenso Folgen
für Fragen der Beziehungsfähigkeit.
Überhaupt nicht reflektiert werden auch die medialen Formen, die Illouz
analysiert: Der Privatbrief des 19. Jahrhunderts ist kein Dokument, das
ungeschönt Gefühle offenbart, und ist in seiner Formelhaftigkeit auch
Performance. Und ob die Zeugnisse moderner Online-Chats (Illouz zitiert die
Beschreibung eines spontanen Dreiers, der wie der Standardplot eines
entsprechenden Pornos wirkt) authentische Gefühle beschreiben, bleibt
ebenfalls fraglich.
In Liebesdingen wäre zudem die Klassenfrage zu stellen. Illouz’ Bemerkung,
die sexuelle Verfasstheit der Beziehungsfragen überschreite alle
Klassengrenzen, bedürfte einiger Belege.
11 Nov 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Marlen Hobrack
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