# taz.de -- Autorin über ihre Arbeit im Sexshop: „Ich setzte mich für Norma… | |
> Candy Bukowski ist Autorin und berät Menschen im Sexshop. Ein Gespräch | |
> über Sexualität, Freiheit und Sex-Toys für Frauen. | |
Bild: Berät in der „Boutique Bizarre“ auf der Hamburger Reeperbahn: Candy … | |
taz: Frau Bukowski, denken Sie jeden Tag über anderer Menschen Sexleben | |
nach? | |
Candy Bukowski: Nein, ich berate Menschen im Sex-Shop und lasse mich darauf | |
ein. Aber das ist nichts, das ich mit mir herumtrage – genauso wenig wie | |
mein eigenes Sexleben. Für mich gehört das zur Normalität im Sex-Shop | |
„Boutique Bizarre“. Wenn ich schreibe, sieht das natürlich anders aus. | |
Würden Sie auch in jedem anderen Einzelhandelsgeschäft arbeiten? | |
Ich habe zehn Jahre lang als freie Redakteurin gearbeitet und immer wieder | |
über Erotik geschrieben. Vor vier Jahren habe ich mich umorientiert und | |
musste bei der Vorstellung, mit über 40 in einem Sex-Shop anzufangen, ein | |
bisschen lachen. Aber es war die beste Entscheidung: Ich bin jeden Tag mit | |
Fragen und Themen konfrontiert, die für viele Menschen schambesetzt oder | |
schwierig sind. Ich trage etwas zum normalen Umgang mit Sexualität bei, das | |
erscheint mir sinnvoll und ehrlich gesagt auch nötig. | |
Woher kommt Ihr Künstlername Candy Bukowski? | |
Vor Jahren habe ich mit zwei Freundinnen einen Erotik-Blog gegründet, und | |
jede von uns brauchte ein Pseudonym. Mir hat die Mischung aus Bukowski, | |
diesem großen Charles Bukowski, und dieser billigen, amerikanischen Candy | |
gefallen. Jetzt passt der Name einfach gut zu meiner Arbeit: Ich komme aus | |
dem literarischen Bereich und habe mein drittes Buch als Autorin über | |
Menschen im Sex-Shop geschrieben. | |
Wie geht Ihr Umfeld mit Ihrer Arbeit um? | |
Mein direktes Umfeld in Hamburg fand das fast normal. Und auch meine | |
Familie geht da sehr locker mit um. Die haben sich gefragt, was ich mir | |
dabei denke, aber in keiner Form negativ reagiert. Die Geschichten für | |
dieses Buch lagen alle vor mir. Ich war mir nur unsicher, ob ich sie | |
aufschreiben wollte. Ausgerechnet mein Vater, gut Mitte 70, hat mich dann | |
überredet. Im besten Fall müsste diese Unterstützung selbstverständlich | |
sein – ist sie aber eben nicht. | |
Wieso? Ist Sex immer noch in der Schmuddelecke? | |
Sex ist überall: Egal welche Zeitschrift wir aufschlagen, welche Werbung | |
wir sehen oder in welcher U-Bahn wir fahren. Das ist immer eine sehr | |
plakative Abbildung, eine Werbeaktion, um etwas an Mann und Frau zu | |
kriegen. Und die ist selten fantasievoll aufgemacht. Wir sind ständig von | |
Sex umgeben, aber mit der eigenen Sexualität beschäftigen wir uns kaum und | |
sprechen ungern darüber. Vielleicht überträgt der Mensch diese platte | |
Aufmachung von Sex auf sich selbst. | |
Seit wann beschäftigen Sie sich mit Sexualität? | |
Wenn man ein freier Geist und Grenzgänger ist, folgt das in der Sexualität | |
fast automatisch: Man ist experimentierfreudig und lässt sich gerne | |
überraschen. Es ist eine wertvolle Sache, herauszufinden, was einen | |
glücklich macht und was nicht. | |
Ist Hamburg eigentlich sehr verklemmt? | |
Verklemmt würde ich nicht sagen – es wählt ja jeder seine Art zu leben und | |
lieben. Und ich erlebe jeden Tag Männer, Frauen und Paare, die sehr | |
selbstbewusst mit ihrer Sexualität umgehen und diese für wichtig halten. | |
Das finde ich großartig. Andere suchen bei uns das Abenteuer und das | |
Verwegene, das sind übrigens oft auch die, die rumgrölen, wie pervers das | |
alles sei oder dass sie das alles nicht bräuchten. Aber ich glaube, dieses | |
Bedürfnis, das Andere anzugreifen, liegt an einer gewissen Scham. Diese | |
Menschen kennen ihre eigenen Fantasien nicht oder sind damit nicht im | |
Reinen. | |
Hat denn jeder Fantasien? Was ist mit Asexualität? | |
Da gibt es einen wichtigen Unterschied: Wenn ich asexuell bin, einfach | |
keinen Sex haben möchte und anders glücklich bin, ist das eine bewusste | |
Entscheidung. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen, die keinen Sex | |
mehr haben, sich als Paar verloren gegangen sind. Gemeinsam auf der Couch | |
wird es sehr gemütlich. Das ist keine Asexualität, das ist Gewöhnung. Und | |
die ist – wie immer, wenn wir zu tief in der Komfortzone stecken – schade. | |
Sie erzählen viel von Hetero-Paaren … | |
Das ist unsere hauptsächliche Kundschaft. Wir sind stolz darauf, dass 50 | |
Prozent unserer Besucher Frauen sind – das ist ungewöhnlich für einen | |
Sex-Shop. Und es gibt genügend Läden, die eine andere Zielgruppe | |
ansprechen: Gay-Shops oder Sex-Positive-Shops. Aber auch wegen unserer Lage | |
auf der Reeperbahn kommen tatsächlich vor allem Heteros. | |
Gibt es ein Universalprodukt, um das Sexleben besser zu machen? | |
Das sitzt zwischen den Ohren, das ist der eigene Verstand, die eigene | |
Fantasie. Die kann man durch Produkte unterstützen. Menschen sind | |
individuell, es gibt sicher nichts, was jedem gefallen könnte. Wichtig ist, | |
das es zu einem selbst passt. Und ich freue mich, wenn die Leute mich | |
direkt ansprechen und Unterstützung suchen. Es ist toll, wie viel Vertrauen | |
sie mir entgegenbringen. | |
Wird es manchmal auch unangenehm? | |
Natürlich bin ich nicht in allen Themen gleich fit, das hat auch mit meinen | |
persönlichen Vorlieben zu tun. Aber selbst dann kann ich rein informativ | |
das Notwendige sagen. Unangenehme Sprüche Betrunkener kommen natürlich hin | |
und wieder mal vor. Aber das prallt an mir ab. Viel schwieriger sind die | |
seltenen Auseinandersetzungen zwischen Kunden, die ich mitbekomme. | |
Zum Beispiel? | |
Wenn ein Mann abfällig über seine Frau spricht. Wenn sie daneben steht und | |
er erzählt, sie hätte zwei Kinder bekommen und der Sex mache keinen Spaß | |
mehr. Ob es nicht etwas gäbe, das sie enger machen könnte? Da muss ich | |
schlucken. Umgekehrt gibt es Frauen, oft Touristinnen, die ihren Mann aus | |
dem Laden zerren, weil er etwas vielleicht schön oder interessant fand. In | |
solchen Situationen kann ich nicht viel machen – ich bin ja keine | |
Psychologin. Manchmal muss ich die Beratung einfach abbrechen. | |
Gibt es auch Produkte, die Sie ungern verkaufen? | |
Ich bin sehr froh, dass ich keine Pornos verkaufen muss. Wir haben eine | |
Auswahl da, aber ich muss da niemanden beraten. Ein großer Teil der | |
Pornografie, die auf dem Markt ist, ist frauenfeindlich: Sie machen Frauen | |
zum Objekt. Sex, wie er in den meisten Pornos passiert, bereitet Frauen | |
auch wenig Vergnügen – in welchem typischen Männerporno wird geleckt? Diese | |
verquere Sicht bedient in erster Linie Männerfantasien. | |
Wo ist das Problem? | |
Wenn ein Heranwachsender glaubt, einer Frau ins Gesicht zu spritzen, sei | |
normale Sexualität, ist das falsch. Aber für ihn ist es eine Realität, die | |
sich vielleicht erst im Laufe seiner Beziehungen verändert. Ich finde es | |
wichtig, dass wir als Eltern den Unterschied zwischen Pornografie und | |
Sexualität erklären. Den Jungen und den Mädchen. Woher sollten sie es sonst | |
vermittelt bekommen? Meine Tochter soll irgendwann sagen können: „Nein, das | |
ist ein Porno, das hat mit Sex nichts zu tun.“ | |
Gibt es denn Alternativen zu den frauenfeindlichen Pornos? | |
Ich empfehle gerne Filme von Erika Lust, einer spanischen Regisseurin. Sie | |
wählt Protagonisten, die real Sex haben, statt billige Klischees zu | |
bedienen. Die Filme sind nicht softer, sondern haben einfach eine bessere | |
Qualität – und sie zeigen mehr Vielfalt. | |
Diese feministischen Pornos sind Teil einer ganzen Bewegung, die sich um | |
den weiblichen Orgasmus und die Klitoris dreht. Ist die auch in der | |
„Boutique Bizarre“ angekommen? | |
Der weibliche Orgasmus steht in der Menge der Toys schon lange im | |
Mittelpunkt, aber die für Männer waren in der Technik immer ein Stück | |
voraus. Die für Frauen haben einfach irgendwie vibriert. Das liegt an der | |
Annahme, dass eine „gute“ Frau auch vaginal kommen kann. Wenn wir uns zehn | |
Frauen herauspicken, werden aber bestimmt neun von zehn bestätigen, dass | |
der Penis allein nicht reicht. | |
Und das ist jetzt anders? | |
Seit etwa drei Jahren gibt es Toys, die auf den weiblichen Orgasmus | |
abzielen. Die stülpt frau sich über die Klitoris. Durch Druckwellen kommen | |
damit selbst Frauen, die bisher kaum Orgasmus-Erfahrungen gemacht haben. | |
Das ging groß durch die Presse und Frauen empfehlen sich das Produkt | |
gegenseitig. Dass die Leute sich darüber austauschen, ist eine neue, tolle | |
Entwicklung. Endlich dürfen Frauen so kommen, wie es ihnen gefällt. | |
Sind Sie Feministin? | |
Ich bin eine sehr feministisch denkende Frau, aber ich bezeichne mich nicht | |
als Feministin. Vielleicht war ich auch noch nie in der Situation, mich | |
entscheiden zu müssen. Alice Schwarzer etwa, halte ich für eine unglaublich | |
kluge Frau, mit der ich gerne mal einen Abend zusammensitzen würde. Sie hat | |
irgendwann den Fehler gemacht, sexuell masochistischen Frauen ihre | |
bewussten Entscheidungen abzusprechen. Eine enorm anti-feministische und | |
falsche Sichtweise, obwohl sie von einer Feministin kommt. Ich lebe in | |
meinem Job und als Autorin sehr frei und mache mein Ding. Das halte ich für | |
feministisch – aber für mich suche ich keinen Begriff. | |
Sind Sie das nicht Frauen schuldig, die für ihre Rechte kämpfen? | |
Nein. Ich setze mich für die positive Normalität von Sexualität aller | |
Geschlechter ein. Was würde ich mit dem Etikett „Feministin“ besser machen | |
als jetzt? | |
8 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Carlotta Hartmann | |
## TAGS | |
sex-positiv | |
Sex Education | |
Hamburg | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Reeperbahn | |
Fetisch | |
Sex | |
Sexualität | |
Altern | |
LiebeIstAlles | |
Kolumne Kuscheln in Ketten | |
taz.gazete | |
Sexualität | |
sex-positiv | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Aromantik im Alltag: Niemals auf Wolke sieben | |
Herzklopfen und dummes Grinsen: Viele kennen es, verliebt zu sein. Für | |
Aromantische ist das Gefühl aber fremd, im Alltag haben sie mit Unwissen zu | |
kämpfen. | |
Kleidung und Körper: Fetisch ist Zivilisation | |
Es gibt Menschen, die den Klamottenfetisch als etwas Abweichendes | |
betrachten. Dabei ist er Voraussetzung für ein funktionierendes | |
Zusammenleben. | |
Buch „Sexuell verfügbar“: Auf Onkels Schoß | |
Das Bewusstsein für Genderungerechtigkeiten verändert sich. Unser Verhalten | |
nicht. Die Journalistin Caroline Rosales über die Macht von Bildern. | |
„Warum Liebe endet“ von Eva Illouz: Sozial gerahmt | |
Zwischen Tinder, Sexratgeber und Coach auf der Suche nach steter sexueller | |
Befriedigung: Was macht das mit unseren Gefühlen? | |
Sexshopkollektiv über Sexshop-Gründung: „Sex ist immer politisch“ | |
Im Hamburger Gängeviertel eröffnet mit „Fuck Yeah“ ein ausdrücklich | |
feministischer Sexshop. Ein Gespräch über die Besonderheiten des Ladens, | |
Aufklärung und politischen Sex. |