| # taz.de -- Warum wir lästern: Der Affe im Menschen | |
| > Üble Nachrede ist beliebt. Sie stärkt den Zusammenhalt und bedient die | |
| > niederen Instinkte. Glücklich macht das nicht, aber es entspannt das | |
| > Gehirn. | |
| Bild: Affen können nicht lästern, doch sie suchen auch bei den Artgenossen na… | |
| Hamburg taz | Adam und Eva hätten eine Chance gehabt, für immer im Paradies | |
| zu bleiben. Sie hätten bloß über die Schlange lästern müssen. Es hätte sie | |
| zusammengeschweißt. Denn Lästern stärkt das Miteinander und kontrolliert | |
| die Gemeinschaft. Auch die Zweiergemeinschaft. | |
| Lästern ist gesund und nützlich. Wir haben es nötig, um Nähe herzustellen | |
| oder zumindest vorzutäuschen. Wir müssen es tun, um Vertrauen zu | |
| suggerieren. Wenn man eine neue Freundschaft oder Geschäftsbeziehung auf | |
| die Schnelle vertiefen will, sollte man über eine dritte Person herziehen. | |
| Das beweist, ich vertraue dir, ich glaube, dass du etwas für dich behalten | |
| kannst, also halte ich deinen Charakter für stark. | |
| Niemand kann sich gegen diese Art von Kompliment wehren. Außerdem brauchen | |
| wir die gemeinsame Abneigung, um uns anderen verbunden zu fühlen, da können | |
| wir nicht aus unserer Haut. | |
| ## Unendlich viel Lästermaterial | |
| Affen können nicht sprechen, pulen stattdessen liebevoll aneinander herum | |
| und entfernen sich gegenseitig die Störenfriede aus dem Fell. Der Mensch | |
| hingegen lästert sich gruppenorientiert durchs Leben und konsumiert durch | |
| seine neuen technischen Errungenschaften nun auch unentwegt das Lästern | |
| anderer. Das Internet ist ein pompöser überausführlicher Lästerapparat. Und | |
| Twitter ist die Schaltzentrale. Bei Instagram liefern die Leute freiwillig | |
| unendlich viel schönes Lästermaterial über sich selbst. | |
| Wenn man ständig nur auf andere guckt, über sie nachdenkt, redet oder | |
| schreibt, löst man die Selbstreflexion gezielt auf. Das ist vorübergehend | |
| angenehm, wenn man sein Leben gerade zum Kotzen findet, bringt langfristig | |
| aber nichts. Wer zu viel lästert, wirkt verdächtig und fühlt sich | |
| irgendwann auch selbst nicht mehr groovy. Es heißt in Interviews mit | |
| hübschen Psychologinnen bei Lebenshilfemagazinen oft, man lästere im Grunde | |
| immer über sich selbst. Das, worüber ich schimpfe, bin ich. Jeder schäle | |
| beim Lästern die eigene Zwiebel. Lästern ist also eigentlich | |
| Selbstoffenbarung. Hintenrum geradeheraus. | |
| Der Beweis: Ich lästere hier über das Lästern, also lästere ich. Absolut | |
| wahr. Ich könnte den Text jetzt beenden, denn ich bin auf Wahrheit | |
| gestoßen. Aber das Thema ist zu interessant … | |
| ## Wie wir Distanz schaffen | |
| Am meisten gelästert wird mit Kollegen über Kollegen. Der Arbeitsplatz ist | |
| eine Zwangsgemeinschaft, so wie die Familie. Man muss sich Luft | |
| verschaffen. Und Distanz erzeugt man noch immer am besten über Aggression. | |
| Lästern ist wie Außenpolitik – wenn Politiker von ihren eigenen | |
| Unzulänglichkeiten oder der innenpolitischen Situation ablenken wollen, | |
| dann fangen sie an über andere Politiker oder Länder herzuziehen, beginnen | |
| sogar Kriege oder drohen zumindest damit. Seit Trump geschieht das | |
| neuerdings brachial und ungeschönt. Das Buch „Fear“ von Bob Woodward | |
| handelt wiederum davon, wie im Weißen Haus von Senatoren über Trump | |
| gelästert wird. Es wurde weltweit ein Bestseller. | |
| ## Geistig entspannt | |
| Die Lästereien über Trumps kleine Hände, seine Haare, Gaulands Mundgeruch | |
| oder Beatrix von Storchs Visage erzeugen geistige Entspannung und mildern | |
| die Angst. | |
| Lästern macht Spaß, weil es schmutzig ist, die niederen Instinkte bedient | |
| und moralische Eindeutigkeiten impliziert. Wer lästert, weiß zumindest in | |
| dem Moment genau, was das Gute und was das Böse ist. Die Vereinfachung ist | |
| fürchterlich beliebt, denn sie ist Wellness fürs Gehirn. | |
| Es gibt verschiedene Arten des Lästerns. Das harmlos stumme Lästern des | |
| Alltags zum Beispiel. Man steht an einer Bushaltestelle, in der | |
| Supermarktschlange, sitzt im Auto und weiß ohne mühselige Reflexion, wen | |
| man bescheuert findet, und lästert im Kopf über diese Personen, die | |
| irgendetwas nicht im Griff haben. Ihre Kinder, ihren Körpergeruch, ihre | |
| Sprechlautstärke, ihren Bekleidungsstil, ihren Fahrstil, ihr Leben. | |
| Das lustige Lästern ist eine Industrie, die Comedy heißt oder Satire. Wer | |
| andere zum Lachen bringt, hat Recht, denn Unterhaltung macht happy. | |
| Aber nicht jeder will happy sein. Die kulturelle Elite lästert über die | |
| Unterhaltung. Dahinter steckt die Auffassung, dass ein Kulturerlebnis etwas | |
| mit intellektueller Leistung und noch besser mit Schmerz zu tun haben | |
| sollte. Darüber lästere ich sehr oft. Wahrscheinlich, weil meine Bücher zu | |
| wenig von der Literaturkritiker-Elite beachtet werden. | |
| ## Offen und fies | |
| Hochkulturelles Lästern wird vom Feuilleton betrieben, geht aber | |
| mittlerweile in der Masse unter. Kaum einer, der beruflich nichts damit zu | |
| tun hat, bekommt es mit. Dabei ist das intellektuelle Lästern ausgesprochen | |
| unterhaltsam. Um Ecken verwandt mit dem herablassenden Kulturjournalismus | |
| ist der herablassende Boulevardjournalismus. Die Königsklasse der Lästerei | |
| und üblen Nachrede: der Klatsch. Absolut offen und fiese. Vor allem über | |
| Frauen wird hergezogen. Über ihre Oberschenkel, ihre Kleidung, ihren | |
| Männergeschmack, ihre aufgespritzten Lippen. | |
| Und es wird darüber gelästert, dass sie übereinander lästern. Meghan und | |
| Kate im britischen Königshaus sollen hinter den Kulissen angeblich | |
| übereinander herziehen. Vermutlich ein lanciertes Ablenkungsmanöver der | |
| Regierung um Theresa May. Genützt hat es ihr nichts. Erdogan versucht oft | |
| mit der Verunglimpfung anderer seine Macht zu potenzieren und er geht dabei | |
| über alle Grenzen. Seine Faschismus-Lästereien über die Deutsche | |
| Bundesregierung im März 2017 sind ein harmloses Beispiel. | |
| Da hilft es nichts zu sagen, wer lästert, dem geht es eben selbst nicht | |
| gut. Kann sein, macht es aber nicht besser. | |
| Wer zu viel lästert, macht sich unbeliebt. In sämtlichen TV-Formaten mit | |
| Rauswählfunktion durch die Zuschauer, fliegen die Lästerbacken immer als | |
| erste. Außer Désirée Nick, die gewann mal die Dschungelshow. Was den | |
| Verdacht bestätigt, dass der Unterhaltungswert das Lästern adelt. Der | |
| populäre Podcast Fest&Flauschig von Jan Böhmermann und Oli Schulz ist meist | |
| nichts als gut gemachte Lästerei. | |
| ## Die Selbstmängel-Mantras | |
| Der traurigste Form des Lästerns ist das Herziehen über sich selbst: Ich | |
| bin zu dick, mein Job ist oberflächlich, ich esse nur Scheiß, mache zu | |
| wenig Sport, bin in nichts wirklich gut, bin alt, meine Beine sind zu kurz, | |
| ich schlafe zu viel, hab schlechte Haut, keiner liebt mich. | |
| Wer will das denn hören und was soll man dazu sagen? Diese Lästermantras | |
| über vermeintliche Selbstmängel erträgt ja kein Mensch. Weil sie implizit | |
| zur Gegenrede nötigen: Loben, Relativieren, was Nettes sagen, Trösten, | |
| übertriebene Komplimente machen und am Ende wird man über diese Leute | |
| lästern und sagen: Die Person ist selbstmitleidig, jammert rum, spricht nur | |
| über sich, ändert nix, nervt und zieht alle runter. | |
| Angeblich lästern diejenigen am meisten, die frustriert oder zumindest | |
| unzufrieden sind – doch einer nicht empirischen Internetstudie nach stimmt | |
| das nicht. Zumindest nicht unter Jugendlichen. Da lästern die Jungs und | |
| Mädchen am unverhohlensten, die am attraktivsten auf andere wirken. Es | |
| macht sie zwar ein wenig unsympathisch – aber es wollen trotzdem immer noch | |
| genug Leute mit ihnen schlafen. | |
| Wer es sich leisten kann, lästert also ohne Scheu mit großem Enthusiasmus | |
| und wird deshalb nicht mal aus dem Paradies vertrieben. | |
| Mehr über die Spielarten des Hintenrums erfahren sie in der gedruckten taz | |
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| 1 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Ramadan | |
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