| # taz.de -- Zweiter Roman von Sven Heuchert: „Wo Waffen sind, werden sie benu… | |
| > Der neue Roman von Sven Heuchert, „Alte Erde“, erzählt vom schwer | |
| > erträglichen Leben in der Provinz. Auf Jagd mit dem Schriftsteller | |
| Bild: Der Jägerbegriff „Rote Arbeit“ beschreibt das Ausnehmen und Ausblute… | |
| Sven Heuchert, 43, kräftig, bärtig und tätowiert, wirkt getroffen. | |
| [1][Hatte sein erster Roman, „Dunkels Gesetz“,] vor drei Jahren für helle | |
| Aufregung in der etablierten Krimikritik gesorgt, so kommt aus dieser | |
| Richtung für seinen Zweitling „Alte Erde“ nun ebenjenes „Schweigen im | |
| Walde“, das er dem neuen Buch als Motto vorangestellt hat. | |
| Aber vielleicht, sinniert man als Beifahrer in Heucherts waldesgrünem | |
| Geländewagen, unterwegs in sein Jagdrevier im Westerwald, ist das wie mit | |
| den Bäumen, die ringsum auf den Höhen bräunlich verfärbt absterben. Man | |
| kann diese Opfer der Erderhitzung und des Borkenkäfers beweinen, man kann | |
| sich aber auch auf den Jungwald konzentrieren, der schon neugierig aus den | |
| bereits abgeholzten Altflächen hervorschießt. | |
| Ganz andere, frische Leute, die „Dunkels Gesetz“ gar nicht wahrgenommen | |
| haben, entdecken gerade in „Alte Erde“ einen Schriftsteller, der, um seinen | |
| Lebensunterhalt zu verdienen, wahrscheinlich auch einfach eine Schule für | |
| Dialogführung im Roman aufmachen könnte. | |
| Denn „Alte Erde“ ist [2][erneut eine Geschichte], die dann die höchsten | |
| Höhen erklimmt und in die brackigsten Löcher abtaucht, wenn Heuchert seine | |
| Figuren miteinander reden lässt. Und es ist wieder ein böses Märchen, das | |
| der Siegburger erzählt – eines, in dem gar nicht ausgemacht ist, wer nun | |
| eigentlich die Hauptrolle spielt. | |
| ## Die alten Triebmittel | |
| Zwei Brüder, Karl und Thies, treffen sich nach langen Jahren und | |
| individuell versoffenen Sinnsuchen wieder, ein Ehepaar wird sprachlos über | |
| dem vermissten Sohn, ein alter Jäger mag nicht mehr und wird nun gejagt, | |
| und am Schluss nimmt der Winner alles, es muss nur noch erst überall das | |
| Blut abgewischt werden. Heiß und trocken ist es zu Beginn im vom realen | |
| rheinischen Höhenzug Ville umschlossenen Tal, dann kommt der Regen, setzt | |
| die modernden Gerüche und die abgeklemmten Begierden frei – aber die | |
| Triebmittel der Menschen sind die alten: Geld und Sex. | |
| Heuchert teilt sich sein Revier mit drei Kollegen, die in der Jägersprache | |
| wahrscheinlich anders heißen. So wie das Buch lange „Rote Arbeit“ heißen | |
| sollte, der Fachbegriff für das „Aufbrechen“, also das Ausnehmen des | |
| totgeschossenen Tiers. Mit einem der Mitjäger sind wir verabredet, um einen | |
| mobilen Ansitz vom Hänger zu heben und ihn zwischen zwei Maisfelder zu | |
| stellen. | |
| Heuchert, der nichts dagegen hat, erst mal den rheinischen Redneck | |
| raushängen zu lassen, stellt sich sympathisch ungeschickt an beim | |
| Aufnesteln des Spanngurts. Er ist eben ein Dichter. Beruflich arbeitet er | |
| Teilzeit als Hörgeräteakustiker, die Ausbildung sollte das Sprungbrett zu | |
| einem musikalisch-lauten Leben mit Gitarrenverstärkern sein. Daraus wurde | |
| dann nichts, aber gerade [3][hat er eine neue Band gefunden und erzählt | |
| begeistert davon.] Die wesentliche Wahl im Leben, habe ihn sein Vater einst | |
| aufgeklärt, sei ohnehin die: Willst du vor der Arbeit duschen – oder | |
| danach. | |
| „Alte Erde“ ist zweifellos ein Buch über die Jagd, „auf alles, was sich | |
| bewegt“, wie es in „Dunkels Gesetz“ hieß. Und wer sich drauf einlässt, … | |
| über der Lektüre weder zwangsläufig zum abschussgierigen Triggerfan noch | |
| zum Jagdgegner. Journalisten und dann noch aus Berlin, sagt Heuchert, da | |
| kommt man derzeit bei Jägern nicht weit. „Jagdkritiker“ heißt das | |
| Stichwort. | |
| ## Verwesungsgestank | |
| Der Autor selbst lässt einen im Buch mit Meinungen weitgehend in Ruhe, er | |
| erzählt einfach, dass der alte Jäger, weil eben alt, einen Marder in der | |
| Falle vergessen hat – dementsprechend grauenhaft riecht dann auch der | |
| vermüllte Schuppen, in dem die sich befindet. Macht ihr mal da das draus, | |
| was ihr wollt, ihr Leserinnen und Leser, scheint Heuchert zu sagen; aber | |
| den Alten, den Schuppen und den Verwesungsgestank, den gibt es; und ich | |
| stelle den euch so intensiv beschrieben hin, dass ihr den nie mehr | |
| vergessen könnt; dass der ab sofort zu eurem Gehirn- und Geruchsinventar | |
| gehört. | |
| Was in so einem westdeutschen Revier, zwischen Autobahnauffahrt, | |
| Industriegebiet, Getränke Hoffmann und Feuchtbiotop passiert, ist erst mal | |
| banal, eine softe Beschäftigung wie gärtnern oder Pilze sammeln: Man räumt | |
| auf, füttert das Wild mit Mais an („kirren“), pflanzt Bäumchen, die dann | |
| vertrocknen, und bastelt Reptilienreservate. Das alles, um sich in eine | |
| Dämmerung hineinzusetzen und mit einer Thermoskanne Kaffee manchmal einfach | |
| den Sonnenuntergang zu genießen oder eben einen Dachs zu schießen, weil der | |
| im Maisfeld sein Wesen treibt. Denn wenn das Hegen auch die Hauptsache ist, | |
| das Wesentliche ist es natürlich nicht. | |
| „Jeder weiß, da, wo es Waffen gibt, werden sie auch benutzt“, sagt Karl. | |
| Das Wesentliche ist die Begegnung mit dem Tod, sich „ein Leben nehmen“, wie | |
| es in „Alte Erde“ heißt. Thies, einer der beiden Brüder, ist ein | |
| Meisterschütze, kann aber auf nichts schießen, was ihn anguckt. Das ist ein | |
| Nachteil in seiner Welt. In der realen Welt hier im Westerwald muss man | |
| immer aufpassen, dass die Kugel nicht durchs Wild durchschlägt und einen | |
| Menschen trifft, weil der Wald von Zivilisation umzingelt ist. Auch im | |
| Roman liegt alles schrecklich eng beieinander, alle wissen alles: | |
| „Kennst das doch.“ | |
| „Was kenn’ ich?“ | |
| „Man hört dies, man hört das.“ | |
| „Aber bevor man was hört, Karlchen, muss doch erst mal einer’s Maul | |
| aufmachen. Oder hab ich da was falsch verstanden?“ | |
| „Haste nich’.“ | |
| Und so geht das weiter, bis klar wird, dass der alte Jäger Gustav Rio | |
| Thies’ großem Bruder Karl im Suff erzählt hat, dass er abhauen will und | |
| auch das Geld dafür hat. Das bekommt ihm nicht gut, wie allen auch die | |
| dauernde Raucherei und Sauferei nicht bekommt, die Leute leben hier so, als | |
| würden sie die Reinheit der Natur um sie herum nicht ertragen. Und dann | |
| sind eben auch noch die Maßstäbe verrutscht, das Land ist plötzlich was | |
| wert, es soll bebaut werden und alle spielen verrückt. Dabei ist „Geld wie | |
| ein Phantomschmerz. Wenn du’s nicht hast, tut’s dir weh, aber im Grunde | |
| spielt nur dein Kopf verrückt.“ Nicht nur der Kopf aber halt. | |
| „'S geht nicht ums Geld, ’s geht um was anderes …“ Thies spuckte auf den | |
| Boden. „Du, du verlierst nicht einfach so.“ | |
| „Nein“, sagte Karl. „Ich verlier nicht einfach so.“ | |
| Thies lächelte knapp. „So viel ist sie mir nicht wert.“ | |
| Muss sie auch nicht. Monique, die Thies in einer Kneipe aufgegabelt hat | |
| beziehungsweise umgekehrt, kann ausgesprochen gut für sich selber sorgen; | |
| und als er ihr, sie mit einem Koffer voller geklautem Geld zwischen den | |
| Beinen, auf dem Weg von der Stadt seinen älteren Bruder beschreibt, weiß | |
| sie sofort Bescheid: „Noch’n Irrer.“ | |
| ## Das Schweigen im Walde | |
| Zweite Bücher sind wie Pubertierende, sie stehen zwischen einem Debüt und | |
| einem Werk. Mit „Alte Erde“ hat Sven Heuchert [4][ein wenig dem großen | |
| Pulper Charles Willeford nachgeeifert] und sich dem Erfolg nicht ohne | |
| Gegenwehr ergeben. Er hat seinen Obsessionen und Vorbildern manchmal sehr | |
| viel Platz gegeben. Er hat die Charaktere so tief und plastisch gemacht, | |
| dass, wer einen Pageturner erwartet, erst mal enttäuscht wird. Das | |
| Schweigen im Walde, das auf so viel schriftstellerisches Selbstbewusstsein | |
| folgt, auf die souveräne Absage, Erwartung zu bedienen, kann schwer sein. | |
| Aber Heuchert ist keiner, der sich davon kirre machen ließe. Er ist auch | |
| Geschäftsmann, betreibt den Independent-Verlag [5][Zinn Books], er kennt | |
| das dunkle Tal und die große Welt, die gnadenloser ist als jeder | |
| Eckkneipenschläger. | |
| Und eine Beute gibt es ja immer. Als wir im Dunkeln den Wald verlassen, | |
| hoppelt uns ein Hase den Weg voraus. Und jedenfalls einer im Auto ist da | |
| sehr froh, dass es dabei heute geblieben ist, bei dieser Jagd. | |
| 28 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.spiegel.de/kultur/literatur/sven-heuchert-dunkels-gesetz-ein-de… | |
| [2] /Duesterer-Thriller-Dunkels-Gesetz/!5451251 | |
| [3] https://soundcloud.com/alltheseawilltell | |
| [4] /US-Autor-Charles-Willeford/!5555833 | |
| [5] https://zinnbooks.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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