| # taz.de -- Erster Tag beim Filmfestival in Venedig: Pünktlicher Start, Filme … | |
| > Die Festivalerfahrung in Venedig ist surreal. Aber alle sind auch | |
| > euphorisch, dass es tatsächlich losgeht. Schließlich gibt es real Filme | |
| > zu gucken. | |
| Bild: Wieder im Kino: Schauspielerin Tilda Swinton bekommt in Venedig den Ehren… | |
| So ganz will man es selbst noch nicht glauben, aber [1][das Festival | |
| läuft]. Sogar sehr gut. Am ersten Tag gleich starten die Filme pünktlich, | |
| trotz Abstandsregeln ist es durchaus möglich, Menschen im Kinosaal zu | |
| treffen, und unter den Anwesenden spürt man die Euphorie darüber, dass man | |
| an dieser doch sehr ungewöhnlichen Erfahrung teilhaben kann. | |
| Zum ungewöhnlichen Charakter gehört, dass insgesamt weniger Betrieb auf dem | |
| Festivalgelände herrscht. Auf dem gesamten Lido merkt man eine auffällige | |
| Ruhe. Wo sich sonst auf den Straßen Festivalbesucher und Touristen drängen, | |
| ist jetzt viel Platz. Am Strand dominiert der Sand, kaum Menschen am | |
| Wasser. | |
| Alles sieht vertraut und doch sehr anders aus. Ein nahezu surreales | |
| Erlebnis im realen Raum, dazu die eher bürokratische Erfahrung im digitalen | |
| Raum, dass man jeden Kinobesuch im Voraus buchen muss. Der spontanen | |
| Entscheidung, einen Film etwa auf Empfehlung zu sehen, was eigentlich auch | |
| zu so einem Festival gehört, ist das nicht förderlich. | |
| Was die Filme des Eröffnungstags betrifft, gab es da noch Luft nach oben. | |
| Die Reihe „Orizzonti“ startete am Dienstag mit „Mila“, dem Spielfilmdeb… | |
| des griechischen Regisseurs Christos Nikou. Ein namenloser Mann mittleren | |
| Alters (Aris Servetalis) verlässt darin eines Tags seine Wohnung, steigt in | |
| einen Bus und schläft während der Fahrt ein. An der Endstation weckt ihn | |
| der Busfahrer, fragt, wo er aussteigen wollte. Der Mann weiß es nicht mehr. | |
| Auch nicht, wie er heißt. | |
| Im Krankenhaus, wo der Mann landet, erfährt er, dass es dort viele Fälle | |
| von Amnesie gibt. Die Krankheit breitet sich seuchenartig unter der | |
| Bevölkerung aus. Da er keine Papiere bei sich hatte, niemand seinen Namen | |
| kennt, bleibt er erst einmal im Krankenhaus. Irgendwann bietet ihm eine | |
| Ärztin ein Programm an, das ihm eine „neue Identität“ ermöglichen soll. | |
| ## Eine gute Idee entfaltet wenig Leben | |
| „Mila“, auf Deutsch „Äpfel“, folgt diesem Mann bei den oft absurden | |
| Aufgaben, die er erledigen und mit einer Polaroidkamera fotografisch | |
| dokumentieren soll. Viele Aufgaben dienen der Kontaktaufnahme. Nach einem | |
| Kinobesuch spricht ihn eine Frau an, die ebenfalls mit einer Polaroidkamera | |
| unterwegs ist. Sie werden fortan ein Stück ihres neuen Identitätswegs | |
| gemeinsam gehen. | |
| So leblos und apathisch, wie die Menschen im Film agieren, geriert sich | |
| auch dieser. Er bleibt auf Distanz zu den Figuren, wirkt | |
| teilnahmslos-beobachtend und farblos. Sein lakonischer Witz wird dabei | |
| irgendwann seriell, ohne an Fahrt zu gewinnen. Ein bisschen fühlt es sich | |
| an wie eine gute Idee, die zwar gründlich bearbeitet wurde, doch auf der | |
| Leinwand kein eigenes Leben entfalten will. Ein Stimmungsbild Griechenlands | |
| nach der Troika? | |
| Dafür weiß man in „Night in Paradies“ des südkoreanischen Regisseurs Park | |
| Hoon-jung genau, woran man ist: Der Gangster Tae-gu (Eom Tae-goo) gerät | |
| zwischen zwei konkurrierende Clans, als er Rache an einem Boss nimmt, der | |
| seine Schwester und ihre Tochter hat ermorden lassen. Tae-gu soll eine | |
| Auszeit auf einer Insel nehmen, von dort nach Russland ausreisen, um | |
| unterzutauchen. | |
| ## Gut mit Pistolen umgehen | |
| Dort angekommen, landet er bei einem älteren Waffenhändler und dessen | |
| Nichte Jae-yeon (Jeon Yeo-been). Die hat zwar selbst keine | |
| Gangster-Ambitionen, kann dafür jedoch sehr gut mit Pistolen umgehen. Was | |
| sich später als hilfreich erweisen wird, als sich herausstellt, dass Tae-gu | |
| in einen Hinterhalt geraten ist. | |
| Park Hoon-jung inszeniert diese Gangster-Abrechnung im großen Stil, die an | |
| den ähnlich aufgebauten Genre-Klassiker „Sonatine“ (1993) von [2][Takeshi | |
| Kitano] erinnert, mit zahllosen brutalen Gewaltorgien. Allerdings ohne die | |
| Spannung über die gut zwei Stunden zu retten. Und leider mit deutlich | |
| weniger Humor als seinerzeit Kitano. Schießen allein macht halt auch nicht | |
| glücklich. | |
| 3 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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