# taz.de -- Glamour auf Filmfestspielen von Venedig: Cate Blanchett am Nachbart… | |
> Indische Ragas und Walfänger in der Beringsee sind auf den | |
> Filmfestspielen von Venedig zu sehen – und eine Jurypräsidentin sitzt | |
> gleich nebenan. | |
Bild: Muss auf den Filmfestspielen auch einen Mundschutz tragen: Jurypräsident… | |
Durch die Hygieneregeln bei den [1][Filmfestspielen von Venedig] muss | |
dieses Jahr auch der rote Teppich leiden. Genauer gesagt, die Fans, die | |
sich sonst vor dem Palazzo del Cinema drängen, um die Stars zu den | |
Premieren aufmarschieren zu sehen. Wo sonst eine niedrige Barrikade den | |
öffentlichen Raum von der Prominenz abgrenzte, stehen jetzt hohe | |
Holzmauern, die jede Sicht versperren. | |
Ansonsten wäre es wohl kaum möglich, die Abstandsregeln einzuhalten. | |
Glamour begegnet einem da schon eher beiläufig. Etwa wenn im Restaurant am | |
Nebentisch eine blonde Frau im roten Hosenanzug sitzt, die sich bei | |
diskretem Hinsehen als die Jurypräsidentin Cate Blanchett entpuppt. | |
Wie sie und ihre Juroren über diesen Wettbewerb entscheiden werden, bleibt | |
bisher eine spannende Frage. Überragende Höhepunkte waren noch keine zu | |
erleben, dafür viele gute und eigene, wenngleich wenige außergewöhnliche | |
Filme. Chaitanya Tamhanes Hommage an die klassische indische Musik „The | |
Disciple“ zum Beispiel ist die Biografie des fiktiven Musikers Sherad, der | |
sich jahrzehntelang um Meisterschaft in dieser fast ausgestorbenen und | |
wenig ertragreichen Musiktradition bemüht. | |
Allerdings kommt er nie ans Ziel, nie schafft er es, sich so vollkommen | |
auszudrücken wie sein Lehrer – oder dessen „Guru“, die Musikerin Maai. W… | |
einen Film von sehr gleichförmigem Fluss ergibt, mit scheinbar aus der | |
Gegenwart gefallenen Momenten wie den nächtlichen Fahrten Sherads auf dem | |
Motorrad in Zeitlupe, unterlegt mit Raga-Drones. Zugleich ist der | |
Protagonist durchaus vertraut mit Facebook und Youtube. Sherad wird | |
übrigens von Aditya Modak gespielt, einem hoch dekorierten indischen | |
Musiker. | |
## Sozialisten und das weibliche Geschlecht | |
Ein lediglich moderat modernisiertes Biopic bietet „Miss Marx“ von Susanna | |
Nicchiarelli. Ihr Kostümfilm erzählt aus dem Leben von Eleanor „Tussy“ | |
Marx, der jüngsten Tochter des [2][Verfassers von „Das Kapital“]. Modern | |
ist vor allem Nicchiarellis Blick auf den auch unter Sozialisten noch | |
verbesserungsfähigen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. | |
Eleanor Marx ist zu erleben als Aktivistin in der Nachfolge ihres Vaters, | |
die sich den Männern um sich herum als mindestens intellektuell emanzipiert | |
erweist, gleichwohl aber von ihrem Partner Edward Aveling regelmäßig | |
betrogen wird. Das Erstaunlichste daran ist, mit welch britischem | |
Understatement diese Eleanor Marx in der Darbietung von Romola Garai selbst | |
heftige Konflikte meistert. | |
So verabschiedet sie eine Affäre ihres Mannes mit einem nüchternen „Merry | |
Christmas“. Die Punksongs der Band Downton Boys im Soundtrack hingegen | |
wirken eher aufgesetzt als produktiv verfremdend. | |
## Erotik-Chats und Walfang | |
Überraschungen gibt es dafür auch diesmal in den Nebenreihen. „The Whaler | |
Boy“ von Philipp Yuryev, in der Sektion Giornate degli Autori, ist eine | |
Coming-of-Age-Geschichte aus Russland, die an der Küste der Beringsee | |
spielt, an jenem östlichsten Punkt, der gut 80 Kilometer von Alaska | |
entfernt liegt. Der junge Lyshka (Vladimir Onokhov) hat dort vor kurzem | |
Bekanntschaft mit Erotik-Chats im Internet gemacht. Eine der Frauen auf dem | |
Bildschirm hat es ihm so angetan, dass er sie immer wieder im Netz | |
aufsucht. | |
Er lernt Englisch, fasst den Plan, die Meerenge zu überqueren, um seine | |
„Freundin“ endlich treffen zu können. Der 1990 geborene Yuryev erzählt | |
diese tragikomische Romanze mit so trockenem Witz, hat dabei ein so gutes | |
Gespür für Timing und lakonisches Erzählen, dass man sich diesen real | |
fernen Menschen auf der Tschuktschen-Halbinsel sehr nah fühlt. Trotz | |
vermutlich real gefilmter Walfangszenen inklusive anschließender Zerlegung. | |
7 Sep 2020 | |
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[1] /Filmfestspiele-in-Venedig/!5709406 | |
[2] /Ausstellung-im-Juedischen-Museum-Berlin/!5703406 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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