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# taz.de -- Regeln der Filmfestspiele von Venedig: Wir wissen, wo du gesessen h…
> Die Pandemie verlangt nach einer neuen Kino-Etikette. Mit den Füßen
> abgestimmt wird weiterhin, unter anderem bei Amos Gitais
> Wettbewerbsbeitrag.
Bild: Schön artig sitzen bleiben: Festivalbesucher*innen in Venedig
Eine dramatische Szene im Kino, allerdings nicht auf, sondern vor der
Leinwand: Ein Kinobesucher ein paar Reihen weiter vorn windet sich
körperlich, weil ihm jemand anderes den Blick auf die Untertitel versperrt.
Der Kopf geht nach links, dann nach rechts, das Ganze geht eine Weile so
hin und her, schließlich erhebt sich der sichtbeschränkte Mann und wählt
stattdessen einen freien Sitz ohne Hindernis.
Bis zu diesem Frühjahr wäre der Vorgang nicht der Rede wert gewesen. Bei
den Filmfestspielen von Venedig ging die Geschichte allerdings ungewohnt
weiter. Denn kaum hatte der Mann sich umgesetzt, stürmte schon eine
Aufseherin auf ihn zu, die ihn aufforderte, zum ursprünglichen Sitz
zurückzukehren.
Der Mann weigerte sich, die Aufseherin holte einen Kollegen zu Hilfe, der
dem Mann deutlich machte, er müsse das Kino verlassen, wenn er nicht seinen
alten Platz einnehme. Nach ein paar Minuten fügte sich der Mann, der im
Übrigen selbst eine stattliche Körpergröße hatte und so saß, dass er
zusätzlich selbst die Sicht auf die Untertitel erschwerte.
[1][Durch die Pandemie kommen bei Veranstaltungen wie einer Kinovorführung]
mithin völlig neue Verhaltensregeln ins Spiel. So wird in Venedig vor jeder
Vorführung durchgesagt, dass man „der Covid-19-Vorschriften wegen“ den
gebuchten Platz auch behalten müsse. Im Zweifel lassen sich so, falls unter
den Besuchern jemand positiv auf das Coronavirus getestet werden sollte,
Kontakte besser zurückverfolgen.
Für Kinos, Konzerte und Theateraufführungen könnte das bis auf Weiteres
gängige Praxis werden, die durchaus Sinn hat, selbst wenn es persönliche
Nachteile mit sich bringt. Einige Festivalgäste scheinen das trotz
tagtäglicher Wiederholung vor den Vorführungen noch nicht gänzlich zu
beherzigen. Die überwiegende Mehrheit bleibt aber wie angeordnet sitzen.
Was bislang nicht gut ankam
Oder verlässt kurzerhand das Kino, sofern der Film ihnen nicht gefällt. Bei
Amos Gitais Wettbewerbsbeitrag „Laila in Haifa“ war die beobachtete Zahl
an Zuschauern, die derart mit den Füßen abstimmten, bisher am größten. Man
kann es ihnen nicht verdenken, erinnert die Geschichte, die eine Nacht lang
den israelisch-palästinensischen Gästen des Clubs Fattoush [2][in Haifa]
bei ihren Gesprächen folgt, doch etwas an ein missglücktes Bühnenstück. Die
Kamera wandert hierhin und dorthin, verschafft den Protagonisten ihre
Auftritte und Abgänge, dazwischen tauschen sie schwer zu ertragende
Plattitüden aus. Am Ende war noch nicht einmal Applaus zu vernehmen.
Aus anderen Gründen schwierig gestaltet sich Emma Dantes italienischer
Wettbewerbsfilm „Le sorelle Macaluso“, der fünf Geschwister [3][in Palermo]
durch drei Lebensphasen begleitet. Im ersten Teil in den achtziger Jahren
sind die elternlosen Schwestern noch Kinder und Jugendliche, ihr Geld
bekommen sie durch das Vermieten von Tauben, die sie in einem Verschlag auf
dem Dach über ihrer Wohnung halten. Zusammen geht es an den Strand, man
amüsiert sich. Bis Antonella, die kleinste, plötzlich bei einem Badeunfall
verunglückt.
Im zweiten Teil sind die Schwestern erwachsen, teils sichtlich gealtert,
einige von ihnen wohnen immer noch in derselben Wohnung. Untereinander
haben sich die Verhältnisse verschoben. Sie treffen sich eines Abends zu
einem Essen. Ein Streit eskaliert, es wird geschrien, noch mehr geschrien,
Handgreiflichkeiten folgen.
Bis dahin präsentierte sich der Film in einem scheinbar beiläufigen
Realismus, der selbst da, wo er lakonisch sein soll, etwa wenn die leere
Wohnung der Schwestern den Verlust der jüngsten andeuten sollte, oft
unfreiwillig selbstverliebt oder gar redundant wirkte. Auch das Schreien in
der Streitszene hatte etwas Redundantes. Um die letzte Phase des Films im
hohen Alter der verbliebenen Geschwister abzuwarten, fehlte in diesem Fall
daher schlicht die Geduld.
10 Sep 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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