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# taz.de -- Frauen auf Filmfestspielen von Venedig: Wären da nicht die Männer
> Die Filmfestspiele sind geprägt von starken weiblichen Rollen. Und im
> Nebenprogramm stellt der Film „Residue“ Fragen zu Black Lives Matter.
Bild: Vanessa Kirby bei der Premiere des Films „Pieces of a Woman“
Ein bisschen fällt es ja schwer, nicht immer über die Pandemie zu reden.
Dabei haben die Filmfestspiele von Venedig dieses Jahr auch völlig andere
neue Aspekte zu bieten. Mit acht Filmen von Regisseurinnen unter den
insgesamt 18 Filmen des Wettbewerbs ist die Frauenquote jedenfalls
ungewohnt hoch.
Mindestens genauso bemerkenswert daran ist, dass sich dieser Wettbewerb
schon jetzt als einer der starken Frauenfiguren präsentiert. So ist die
Schauspielerin Vanessa Kirby gleich zweimal in einem großen Auftritt zu
erleben. Besonders überzeugend mit ihrer Hauptrolle der Martha in „Pieces
of a Woman“ des ungarischen [1][Regisseurs Kornél Mundruczó].
Wie diese Martha, nachdem sie ihr erstes Kind bei der Geburt verloren hat,
ihr Leben nur mit viel Not wieder zu ihrem eigenen macht, übersetzt Kirby
in eine fragile Balance aus heftigen Ausbrüchen und plötzlicher
Unzugänglichkeit. Man versteht die Reaktionen dieser Frau nicht unbedingt,
doch folgen sie stets einer inneren Notwendigkeit.
Vanessa Kirby ist auch in Mona Fastvolds Wettbewerbsfilm „The World to
Come“ in einer der beiden weiblichen Hauptrollen zu sehen. Die Verfilmung
von Jim Shepards gleichnamigem Roman folgt den Tagebucheinträgen der
Farmerin Abigail (Katherine Waterston), die Mitte des 19. Jahrhunderts mit
ihrem Mann Dyer (Casey Affleck) im gebirgigen Norden des Staats New York
ein monotones Leben führt.
## Leidenschaft der Frauen
Die Beziehung der Eheleute ist nach dem frühen Tod ihres Kindes in Routinen
erstarrt, ihre Gefühle behalten beide Partner für sich. Mit der Ankunft der
Farmer Finney (Christopher Abbott) und Tallie, gespielt von Vanessa Kirby,
beginnt für Abigail und die ebenfalls kinderlose Tallie eine Freundschaft,
die sich sehr bald zu weit mehr auswächst. Was beide, so gut es geht, vor
ihren Ehemännern verbergen.
Kirby bildet mit ihrer so offenen wie kontrolliert leidenschaftlichen
Tallie das Gegenstück zu Waterstons wunderbar gefasst verschlossener
Abigail. Das Miteinander dieser beiden ungleichen Charaktere entwickelt
sich zur Entdeckungsreise in eine immer reichere Emotionalität, die voll
auszuleben allein von den im Vergleich dazu fast schon übertrieben blassen
Männern verhindert wird.
Dass „The World to Come“ eine Romanverfilmung ist, verdeutlicht Fastvold
fast durchgehend mit den von Waterston in gleichbleibend ruhigem Ton
vorgetragenen Tagebuchnotizen. Vielleicht ist dies ein wenig zu viel der
Gleichförmigkeit, die im Wesentlichen dem gezeigten Alltag auf dem Land
entspricht – was die Dynamik des Films mehr als nötig bremst.
Die [2][Thematik von Black Lives Matter] ist in Venedig dieses Jahr
ebenfalls vertreten, wenngleich in der Nebenreihe „Giornate degli Autori“.
„Residue“, das Spielfilmdebüt von Merawi Gerima, folgt dem
afroamerikanischen Filmemacher Jay (Obinna Nwachukwu), der von L. A. in
sein altes Viertel in Washington, D. C. zurückzieht, um einen Film über die
Veränderungen dort zu drehen. Gegen einige Widerstände.
## HipHop-Klänge und allgegenwärtige Polizei
Viele Familien von einst wurden inzwischen von weißen Mietern verdrängt,
einige der alten Freunde, denen Jay begegnet, zeigen sich verschlossen
gegenüber dem „Studierten“. Jays Spurensuche nach der Vergangenheit des
Viertels und nach der eigenen Kindheit ist in nüchternen, dokumentarisch
wirkenden Aufnahmen gefilmt.
Die Rückblenden aus Jays jungen Jahren sind hingegen stark verrauscht und
durch eine Art Tunneleffekt bearbeitet, unterlegt von verzerrten
HipHop-Klängen, wie um die abgebildete Gewalt, die Drogen und die
allgegenwärtige Polizei noch brutaler wirken zu lassen. Was sich in der
Gegenwart keinesfalls gelegt hat. Ein Freund von Jay sitzt im Gefängnis,
ein anderer wird getötet, sein wichtigster Jugendfreund, Demetrius, ist
spurlos verschwunden.
„Residue“ will keine große Erzählung bieten, sondern mit seinem Blick auf
eine kleine Community die großen Probleme von Afroamerikanern verdichten.
Und die Fragen als ungelöst festhalten. Selbst Jay droht am Ende, Opfer der
Polizei zu werden.
7 Sep 2020
## LINKS
[1] /Spielfilm-Underdog-aus-Ungarn/!5206044
[2] /Spike-Lees-Netflix-Film-Da-5-Bloods/!5689878
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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