# taz.de -- Corona verändert Filmfestspiele: Filme mit 36,2 Grad Celsius | |
> In Venedig sieht man überall Masken auf dem Gelände und im Kino. Eröffnet | |
> werden die Filmfestspiele mit Daniele Luchettis Familiendrama „Lacci“. | |
Bild: Immer schön mit Maske: Jury-Chefin Cate Blanchett beim Fototermin am Mit… | |
In Deutschland gibt es derzeit eine Minderheit, die sich lautstark gegen | |
die Coronabeschränkungen in Szene setzt und für die zugehörigen | |
Medienbilder sorgt. Darunter eine Gruppe von Menschen aus dem | |
alternativ-ökologischen Spektrum. Vielleicht kann es daher nicht schaden, | |
an dieser Stelle an die durchaus vorhandenen positiven Aspekte der Pandemie | |
zu erinnern. Etwa, dass die Menschen jetzt weniger fliegen und dafür mehr | |
Zug fahren. | |
So erfolgte die Anreise zu den [1][Filmfestspielen von Venedig] diesmal mit | |
der Bahn. Von Berlin aus eine Reise von zwölf Stunden Dauer, dafür durch | |
eine Landschaft, die aus der Luft allenfalls zu erahnen ist. Allein für die | |
Strecke auf der Brennerbahn lohnt sich die Mühe, Gebirgspanorama, wohin man | |
blickt. Ohne Maske wäre das alles zweifellos noch schöner, doch wird die | |
Sicht von einer Mund-Nasen-Bedeckung ja in der Regel nicht eingeschränkt. | |
Dass man mit Pandemien übrigens noch weit strenger umgehen kann als in | |
Deutschland, erfährt man beim Umsteigen am Bahnhof Verona. Dort müssen alle | |
Passagiere einen Korridor passieren, in dem ihre [2][Temperatur gemessen] | |
wird. | |
Auch an der Rezeption im Hotel musste man einem Messgerät die Stirn bieten, | |
bevor der Zimmerschlüssel ausgehändigt wurde. Und am nächsten Morgen, beim | |
Betreten des Festivalgeländes, gab es gleich die nächste Prüfung der | |
Körpertemperatur. Offizielles Ergebnis laut Polizei: 36,2 Grad Celsius. | |
Auf dem Gelände herrscht generelle Maskenpflicht. In den Gebäuden, während | |
des Films im Kino, selbst im Freien tragen alle Besucher eine Bedeckung von | |
Mund und Nase. Was sich am Ende der Filmfestspiele in einem bleicheren | |
Teint in der unteren Gesichtshälfte bemerkbar machen dürfte. | |
## Eröffnungsfilm „Lacci“ widmet sich dem Mikroklima der Kleinfamilie | |
Der Eröffnungsfilm der Filmfestspiele, „Lacci“ von Daniele Luchetti, lässt | |
einen dann für 100 Minuten die veränderten Begleitumstände vergessen. | |
„Lacci“ ist eine Verfilmung nach dem gleichnamigen Roman von Domenico | |
Starnone. Luchetti, der 2007 in „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ eine | |
Familiengeschichte um radikalisierte Geschwister zwischen Faschismus | |
einerseits und Kommunismus andererseits erzählte, widmet sich in seinem | |
aktuellen Film dem politischen Mikroklima der Kleinfamilie. | |
Im Neapel der frühen Achtziger leben Aldo (Luigi Lo Cascio) und Vanda (Alba | |
Rohrwacher) mit Tochter und Sohn. Der Alltag ist geregelt, Aldo arbeitet | |
tagsüber in Rom beim Radio, Vanda kümmert sich um die Kinder. Sie ist für | |
Aldo nach Neapel gezogen, obwohl sie dort niemanden kennt und terrorisiert | |
Aldo mit Besitzansprüchen. Der entzieht sich mit einer Affäre, kann sich | |
jedoch nicht entscheiden, ob er ganz zu seiner neuen Freundin ziehen oder | |
doch weiter für seine Familie da sein will. | |
Die Dynamik setzt sich über mehrere Jahrzehnte fort, man erlebt in einem | |
großen Zeitsprung die gealterten Aldo und Vanda, die irgendwie | |
zusammengeblieben sind, obwohl sie wenig zu verbinden scheint. In | |
Rückblenden sieht man Erinnerungen an diverse Katastrophen. | |
Luchetti erweckt anfangs den Eindruck, als wolle er den Film um Stimmen | |
herum aufbauen. Die Stimme Aldos, die Vanda aus dem Auto- oder Küchenradio | |
hört, die Stimmen von Aldo und Vanda in einer Streitszene im Tonstudio, die | |
man über die laufende Tonbandaufnahme hört. Oder umgekehrt: eine | |
Konfrontation zwischen Vanda, Aldo und dessen Freundin Lidia, aus der Sicht | |
der im Auto sitzenden Kinder, ohne Ton. | |
Ab der zweiten Hälfte verliert Luchetti aber das Interesse an dieser Idee, | |
konzentriert sich stärker auf die zerquälten Familienbande, in der alle | |
ihren Anteil am Misslingen haben. Richtig warm wird man mit diesen Figuren | |
nicht, soll man auch nicht. Doch haben sie zu wenig Profil, um zu | |
faszinieren. Ein leicht gedämpfter Auftakt. | |
2 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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