# taz.de -- Geflüchtete und Rassismus: Nette Nachbarschaft | |
> Der Bund feiert sich für die Aufnahme 1.500 Geflüchteter. Forscher*innen | |
> liefern nun einen Grund, warum Deutschland weniger knauserig sein sollte. | |
Bild: Luai Khartum spielt im Schnee in Clausnitz, das traurige Berühmtheit erl… | |
Gleichgültigkeit tut in der Regel weh. Doch wenn sie statt einer erwarteten | |
negativen Attitüde auftritt, erscheint sie plötzlich ganz attraktiv. | |
Gleichgültigkeit ist sozusagen das Hauptergebnis einer neuen Studie von | |
Forscher*innen aus Mannheim, Berlin und New York: Sie fanden heraus, dass | |
die Aufnahme von Geflüchteten in ostdeutschen Gemeinden dort nicht zu | |
veränderten Einstellungen gegenüber Migration führte. | |
Rassismus ist dort zwar nach wie vor hoch im Kurs – das ist die schlechte | |
Nachricht –, aber eben unabhängig vom Zuzug Geflüchteter. [1][Das | |
Zusammenleben] mit ihnen scheint also doch nicht so schlimm zu sein, wie | |
gedacht. | |
Nun wundert es noch viel weniger, dass viele Gemeinden seit Monaten | |
anbieten, Geflüchtete aufzunehmen. Doch Innenminister Horst Seehofer (CSU) | |
wartete erst vergeblich auf die erstarrte EU, um sich letzte Woche dann mit | |
der [2][Ankündigung zu schmücken], 1.500 Menschen von den griechischen | |
Inseln aufzunehmen. Warum so spät und so wenige? Das ist aus humanitärer | |
Perspektive nicht zu beantworten. Und spätestens jetzt auch nicht aus der | |
Perspektive der Menschen in Deutschland, die mit Geflüchteten leben: die | |
Menschen, für die der Innenminister meint, Politik zu machen. | |
Die Forscher*innen, unter ihnen Max Schaub vom Wissenschaftszentrum Berlin | |
für Sozialforschung, haben sich für die Untersuchung über 230 kleine | |
ostdeutsche Ortschaften angeschaut, weil sie den Auswirkungen auf die | |
Gemeinschaft und die individuellen Einstellungen durch den Zuzug von | |
Geflüchteten auf den Grund gehen wollten. | |
## Extrem geringer Ausländeranteil im Osten | |
„Was ländliche Regionen im Osten so speziell macht, ist der extrem geringe | |
Ausländeranteil“, sagt Schaub auf Nachfrage. Deswegen sei dort der | |
Vorher-nachher-Vergleich gut möglich. Gemeinden, die 2015 und 2016 | |
Geflüchtete aufgenommen hatten, wurden mit ansonsten sehr ähnlichen | |
Gemeinden verglichen, die keine aufgenommen hatten. | |
Schaub und seine Kolleg*innen befragten 1.320 Menschen nach ihrer | |
Einstellung zu Migration und klassischerweise dem rechten Gedankengut | |
zugeordneten Thesen: Sollte Deutschland Geflüchtete aufnehmen? Wenn ja, | |
welche? Sollte Kindergeld nur an Deutsche ausgezahlt werden? Sollte die | |
Bevölkerung bei wichtigen Fragen direkt entscheiden, nicht die | |
Politiker*innen? | |
Die Antworten unterschieden sich zwischen den beiden Gemeinde-Gruppen mit | |
und ohne Geflüchtete so gut wie nicht; ebenso wenig die zusätzlich | |
verglichenen Wahlergebnisse. Klar, es gab einen heftigen Rechtsruck, der | |
sich stark an den Wahlergebnissen der AfD zeigte – aber eben überall. | |
„Der Effekt der Aufnahme von Geflüchteten erklärt den Rechtsruck nicht“, | |
sagt Schaub. „Wir interpretieren die Ergebnisse so, dass die Menschen zwar | |
kritisch gegenüber Migration eingestellt sind, aber sich eher um die | |
Gesellschaft als Ganzes sorgen und nicht um ihr individuelles | |
Wohlbefinden.“ | |
Doch wenn der Rechtsruck nicht durch die neuen Nachbar*innen verursacht | |
wird, woher kommt er dann? Die Theorien dazu sind vielfältig: Das Vertrauen | |
in die politischen Eliten sinke. Die Sorgen der Menschen in den Jahren, in | |
den viele Geflüchtete den Weg nach Europa fanden, würden nicht ernst | |
genommen. Inwiefern diese Thesen zutreffen mögen – ihre Schlagkraft liegt | |
nicht daran, dass einzelne Menschen nun in Deutschland leben. Wer diese | |
Meinung vertritt, schürt bewusst eine Angst, die es nun auch laut [3][der | |
neuen Studie] gar nicht gibt. | |
Es ist natürlich zwiespältig, dass wir diese Studie im Diskurs gut | |
gebrauchen können, um ein weiteres Argument dafür zu haben, noch viel mehr | |
Menschen in einem reichen Deutschland aufzunehmen, denen es an jeglicher | |
Perspektive fehlt. Und dennoch ist es genau deswegen wichtig, dass es sie | |
gibt. | |
22 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Fuenf-Jahre-deutsche-Willkommenskultur/!5706916 | |
[2] /Aufnahme-Gefluechteter-nach-Moria-Brand/!5709883 | |
[3] https://www.uni-mannheim.de/newsroom/presse/pressemitteilungen/2020/septemb… | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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