# taz.de -- Arbeitskampf bei freien Trägern: Arbeitgeber, hört die Signale! | |
> An 20 Berliner Kitas des Humanistischen Verbands wird gestreikt. Die | |
> Beschäftigten wollen denselben Lohn wie die Kolleg*innen im öffentlichen | |
> Dienst. | |
Bild: In arbeitskämpferischem Rot: Szenen am Rande eines Kita-Streiks 2015 | |
Berlin taz | Am Montagmorgen tollen die Kinder in der humanistischen Kita | |
„Felix“ noch vergnügt über ihren Spielplatz. Im Schatten der ringsherum | |
aufragenden [1][Plattenbauten in Marzahn] wühlen sie im Sandkasten und | |
spielen Fangen. Ein Junge hat seinen rechten Schuh verloren. Am Mittwoch | |
werden diese Kinder wohl zu Hause bleiben müssen. Denn dann haben die | |
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Bildungsgewerkschaft GEW die rund | |
1.400 Beschäftigten des Humanistischen Verbands (HVD) Berlin-Brandenburg | |
zum Streik aufgerufen. | |
Eine derjenigen, die am Mittwoch streiken wird, ist Kathrin Becker. Die | |
Erzieherin arbeitet seit über 20 Jahren in der Kita „Felix“. Sie sagt: „… | |
ehrlich zu sein, wir fühlen uns verarscht.“ | |
Der Grund für Beckers Wut: Am 2. September hatte der Humanistische Verband, | |
Träger der Kita „Felix“, die über zwei Jahre andauernden Verhandlungen ü… | |
einen neuen Tarifvertrag abgebrochen. Die Forderungen der Gewerkschaften | |
würden den Verband in den wirtschaftlichen Ruin treiben, schrieb der | |
Vorstand. Stattdessen strebt der Träger jetzt eine Vereinbarung mit dem | |
Betriebsrat an. Der ist allerdings nicht berechtigt, zum Streik aufzurufen. | |
Die Gewerkschaften wittern Tarifflucht. | |
Dass der Konflikt derart eskalieren konnte, liegt an seiner grundsätzlichen | |
Bedeutung. Denn es geht um mehr als den alljährlichen Kampf für bessere | |
Bezahlung: Vielmehr geht es um die Frage, ob die Beschäftigten bei freien | |
Trägern für die gleiche Arbeit zukünftig den gleichen Lohn wie ihre | |
Kolleg*innen im öffentlichen Dienst bekommen. | |
## Tariflücke ist seit Jahren bekannt | |
Dass es eine Tariflücke bei freien Trägern gibt, ist seit Jahren bekannt. | |
Bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation verdienen Beschäftigte dort | |
meist weniger als ihre Kolleg*innen im öffentlichen Dienst. Denn dort gilt | |
der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder. Viele [2][freie | |
Träger hingegen haben gar keinen Tarifvertrag], oder nur einen | |
Haustarifvertrag, der meist unter dem Niveau des öffentlichen Dienstes | |
liegt. | |
Die Verhandlungen beim HVD haben somit Signalwirkung: Gelingt es den | |
Gewerkschaften, eine Angleichung an den öffentlichen Dienst durchzusetzen? | |
Oder gehen die freien Träger denselben Weg wie viele kirchliche Arbeitgeber | |
und entlohnen ihre Beschäftigten nach einem eigenen System? Derzeit gilt | |
beim HVD ein Haustarifvertrag, der im Niveau zwar unter dem Tarifvertrag | |
des öffentlichen Dienstes liegt, diesem in seiner Struktur jedoch ähnelt. | |
Das Ziel der Gewerkschaften ist klar: Sie wollen diesen [3][Tarifvertrag | |
weiterentwickeln] und langfristig an den öffentlichen Dienst angleichen. | |
Der HVD will dies jedoch unbedingt verhindern. Denn es geht um viel Geld. | |
Bei einer Angleichung an den öffentlichen Dienst kämen zusätzliche | |
Personalkosten in Millionenhöhe auf ihn zu. Dabei werden sowohl freie | |
Träger als auch öffentliche Einrichtungen in Berlin vonseiten der | |
Landeskasse genau gleich ausfinanziert, im kommenden Jahr sollen es 95 | |
Prozent für Personal- und Sachmittel sein. Allerdings ist diese | |
Kostenpauschale nicht zweckgebunden: Die öffentlichen Träger müssen | |
Tariflohn zahlen, die freien Träger können bei den Personalkosten sparen. | |
Aktuell verdient eine Kita-Erzieherin beim Humanistischen Verband je nach | |
Erfahrungsstufe 272 bis 685 Euro Bruttolohn weniger als eine Erzieherin im | |
öffentlichen Dienst. | |
Der HVD schlägt nun eine „differenzierte Entgeltstruktur“ vor, der | |
Gehaltserhöhungen vorsieht. Allerdings würden sich auch die Arbeitszeiten | |
verlängern und die Struktur der Bezahlung würde sich grundsätzlich ändern. | |
Anstatt wie im Tarifvertrag nach Tätigkeit und Qualifikation zu bezahlen, | |
möchte der HVD eine Bezahlung durchsetzen, die sich an seiner eigenen | |
Finanzierung orientiert. Denn je nachdem ob Land, Bezirke oder andere | |
Geldgeber ein Projekt finanzieren, unterscheiden sich die Mittel, die dem | |
Verband zur Verfügung stehen. | |
Der für Verdi verhandelnde Gewerkschaftssekretär, Ivo Garbe, kritisiert | |
eine solche Struktur jedoch scharf: „Wenn es nach dem Vorschlag des | |
Verbands geht, würden einige Erzieher*innen mit gleicher Qualifikation | |
und vergleichbar schwierigen Tätigkeiten in Zukunft 124 bis 233 Euro im | |
Monat weniger verdienen, nur weil sie etwa in Projekten mit Jugendlichen | |
arbeiten, und nicht als Erzieher*in in einer Kita. | |
Wie eine Lösung des Konflikts aussehen könnte, ist unklar. Denn der | |
Betriebsrat, mit dem die Geschäftsführung verhandeln möchte, unterstützt | |
die gewerkschaftlichen Forderungen nach einer Angleichung an den | |
öffentlichen Dienst. | |
„Der Vorstand sollte sich mit uns dafür einsetzen, dass wir angemessen | |
bezahlt werden“, sagt Sozialarbeiter Jörn Brenssell. „Wir würden uns dann | |
gemeinsam mit ihm dafür einsetzen, dass Bund und Land in den | |
Refinanzierungsrunden auch das entsprechende Geld bereitstellen.“ | |
Die politischen Vorzeichen für ein solches Vorhaben stehen günstig. Denn | |
einen Großteil seines Etats bezieht der Humanistische Verband vom Land | |
Berlin. Und im Senat hatte man bereits 2017 den grundsätzlichen Wunsch | |
geäußert, die Bezahlung bei freien Träger langfristig an den Tarifvertrag | |
der Länder anzugleichen. Auf Anfrage der taz schreibt der Humanistische | |
Verband jedoch auch, dass es für eine Angleichung verbindliche finanzielle | |
Zusagen vom Land und den Bezirken bräuchte. Erschwerend komme hinzu, dass | |
nicht alle Projekte des Verbands von einer besseren Finanzierung des Landes | |
profitieren würden. | |
Sicher ist: Mit dem Streik am Mittwoch geht der Streit nun erst mal in die | |
nächste Runde. | |
22 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Mitsuo Iwamoto | |
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