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# taz.de -- Politikerinnen in Rheinland-Pfalz: Ab in die erste Reihe
> Kann die Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz nach der Landtagswahl
> fortgesetzt werden? Das hängt an zwei Frauen: Daniela Schmitt und Anne
> Spiegel.
Bild: Auf dem Weg nach oben? Anne Spiegel von den Grünen
Mainz taz | Ende August hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin
Malu Dreyer, 59, [1][ihren Führungsanspruch bekräftigt]. Ob die
Sozialdemokratin nach der Landtagswahl im März allerdings zusammen mit FDP
und Grünen an der Spitze einer Ampelkoalition weiterregieren kann, hängt in
hohem Maß vom Erfolg und den Entscheidungen von zwei weniger bekannten
Kabinettskolleginnen ab: der Grünen-Integrationsministerin Anne Spiegel und
der FDP-Wirtschaftsstaatssekretärin Daniela Schmitt.
Spiegel, 39, ist als Spitzenkandidatin der Grünen nominiert. Schmitt, 48,
soll auf Platz eins der FDP-Landesliste für den Landtag kandidieren. Beide
müssen am 14. März liefern.
Der Wechsel des FDP-Landesvorsitzenden und Wirtschaftsministers Volker
Wissing in die Bundespolitik zwingt die FDP-Kandidatin zudem zu einem
Blitzstart aus der zweiten Reihe. Die wichtigste Aufgabe von Daniela
Schmitt war es in der Coronakrise, als Wirtschaftsstaatssekretärin die
Verbindungen zu Industrie, Handwerk und Verbänden zu pflegen. Sie musste
Hilfskonzepte der Landesregierung abstimmen und optimieren. Es war keine
Aufgabe, die für Schlagzeilen taugt.
Seit dem 19. August ist nun alles anders. Nach dem Willen des
FDP-Landesvorstands soll Schmitt die Lücke schließen, die ihr Ressortchef
hinterlässt. Von der geplanten Rochade erfuhr sie erst Stunden davor, sagt
sie, sei aber „grundsätzlich zuversichtlich“. Fast täglich muss sie nun
Medienanfragen beantworten. Viereinhalb Jahre wirkte sie als Behördenchefin
eher im Hintergrund. Nun soll sie ihre Partei in einen erfolgreichen
Wahlkampf führen. „Sportlich“ nennt sie ihre neue Aufgabe.
Wissing will sein Ministeramt vor der Landtagswahl nicht abgeben; er bleibt
zudem Landtagsabgeordneter. Die Ampelkoalition regiert mit einer
Ein-Stimmen-Mehrheit. Bei Abstimmungen darf er nicht fehlen. Wie kann er
gleichzeitig ab September als Generalsekretär für ein schärferes Profil der
Bundespartei sorgen?
„Das bringt auch für uns einen guten Schub rein“, meint Schmitt. „Wer ihn
und mich kennt, weiß, dass wir bereit sind, uns 24 Stunden an 7 Tagen
einzusetzen“, versichert sie und rühmt die freundschaftlich gute
Zusammenarbeit. In der Logik einer Betriebswirtin rechnet sie vor, dass ein
Wechsel an der Spitze des Ministeriums im September für die „extrem kurze
Restzeit“ der Legislaturperiode „im Verhältnis zum Nutzen“ keinen Sinn
gemacht hätte.
Andere sehen das anders. Der FDP-Kreisvorsitzende im Donnersbergkreis,
Christian Ritzmann, hat Wissings Rücktritt gefordert. Doch Schmitt winkt
ab. „Es geht im Wahlkampf und bei Podiumsdiskussionen nicht um Titel und
Visitenkarten, sondern um Themen und gute Argumente“, sagt sie. Wie unter
einem Brennglas habe die Coronakrise Handlungsbedarf aufgezeigt, etwa bei
der Digitalisierung der Wirtschaft und des Bildungssystems. Da habe die
Landesregierung starke Akzente gesetzt und müsse nachlegen. Beim Ausbau des
Breitbandnetzes, bei der Förderung von Start-ups und Hidden-Champions.
Die FDP habe den „Meisterbonus“ durchsetzen können. Wer in Rheinland-Pfalz
die Meisterprüfung besteht, dem winkt eine Prämie von 1.000 Euro, wer sich
anschließend selbstständig macht oder ein Unternehmen übernimmt, bekommt
zusätzlich 2.500 Euro.
## Nach Wechselstimmung klingt Schmitt nicht
„Das war ein Einstieg, ein Signal“, sagt die Liberale, der die
gleichrangige Förderung von beruflicher und akademischer Bildung am Herzen
liegt. „Das Bundesland ist sehr verantwortungsvoll und gut durch die
Krisensituation gegangen“, sagt sie. Im Dialog mit Betroffenen seien
Hygiene- und Schutzpläne erarbeitet worden. Man habe alle Branchen „an den
Tisch geholt“.
Diesen dialogorientierten Stil attestiert sie auch der Ministerpräsidentin.
Kontroversen seien „im Hintergrund“ ausgetragen worden. Alle drei Partner
hätten sich gegenseitig „etwas gegönnt“. Zu dem konstruktiven Miteinander
habe sicher auch die Ressortaufteilung beigetragen, die auf die
Kernkompetenzen der Parteien zugeschnitten sei. Die FDP zuständig für
Wirtschaft, Landwirtschaft und Justiz, die Grünen für Umwelt, Integration
und Familienpolitik. Die Bilanz der FDP-Frontfrau klingt nicht nach
Wechselstimmung. Doch die Frage nach Präferenzen und Koalitionsvarianten
lächelt sie weg.
So hält es auch die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel. Die 39-jährige
Politologin kandidiert zum vierten Mal für den Landtag. 2006 musste sie
miterleben, wie die Grünen an der Fünfprozenthürde scheiterten. Vor fünf
Jahren reichte es mit 5,3 Prozent gerade so.
Spiegel selbst konnte in ihrem Wahlkreis Speyer fast doppelt so viele
Erststimmen einsammeln. Als integrationspolitische Sprecherin hatte sie
sich zuvor profilieren können und rückte nach der Wahl ins Kabinett auf.
Die Landesdelegiertenkonferenz wählte sie jetzt mit 95 Prozent der Stimmen
zur Spitzenkandidatin, ein für ihre Partei ungewöhnliches Signal.
Zweistellig wollen die Grünen im März werden, so die selbstbewusste Ansage.
## Kurs gehalten
Ihre Themen sind: Gleichstellung, eine liberale Einwanderungspolitik, aber
auch Klimaschutz und Energiewende. Als Mitglied des Bundesrats war Spiegel
an der Initiative beteiligt, die am Ende den Durchbruch bei der Ehe für
alle erreichte.
Zur größten Herausforderung ihrer ersten Amtszeit geriet die
Flüchtlingspolitik, vor allem nachdem im pfälzischen Kandel ein junger
Asylbewerber aus Afghanistan seine Exfreundin erstochen hatte. In Bussen
seien die Menschen angekarrt worden, um bei Demonstrationen Stimmung zu
machen. Bei einer Bürgerversammlung in Speyer habe sie neben echter
Betroffenheit auch den organisierten Hass gespürt.
Diese Krise und alle Anfeindungen hat sie durchgestanden und dabei Kurs
gehalten. Im Juli nahm sie sich persönlich Zeit, um vor ihrem Ministerium
FFF-AktivistInnen zu empfangen, die aus Protest gegen die Zustände in
griechischen Flüchtlingslagern zunächst in einen Hungerstreik getreten und
anschließend nach Mainz gepilgert waren.
Die Weigerung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, mehr Kinder und
Kranke aus den Lagern einreisen zu lassen, nennt sie „zynisch“. In einer
Erstaufnahmeeinrichtung in Trier habe sie Flüchtlinge aus Afghanistan
getroffen, für sie seien ihre Schilderungen der unhaltbaren Zustände
„extrem bedrückend“. Statt wie jetzt 250 Menschen könne Deutschland ohne
Weiteres 5.000 Kinder und Kranke aufnehmen. „Wir haben die Kapazitäten, wir
haben die Plätze“, sagt sie.
## Denkbar weit entfernt von Klöckner
Den FFF-AktivistInnen habe sie empfohlen, doch dem Bundesinnenminister in
Berlin einen Besuch abzustatten, sagt Spiegel der taz. In ihrer ersten
Amtszeit hat die Ministerin Akzente gegen Rassismus und gegen Gewalt gegen
Frauen und Kinder gesetzt. Die Mittel für die Frauenhäuser im Land wurden
kräftig aufgestockt, die psychologische Betreuung von betroffenen Kindern
verbessert. Bald beginnt eine zentrale Meldestelle für menschenfeindliche,
rassistische und antisemitische Vorfälle in Rheinland-Pfalz ihre Arbeit.
Als Mutter von zwei Kita- und zwei Grundschulkindern hat Spiegel auch
erlebt, was Eltern in der Coronakrise haben leisten müssen. Ihr Mann, ein
Sprachlehrer aus Schottland, halte ihr als Hausmann den Rücken frei, sagt
sie. Trotzdem seien die Herausforderungen enorm. Mit einem
Nachtragshaushalt hat die Ampelregierung immerhin zusätzliche Lehrerstellen
geschaffen und wird Millionen in Laptops für SchülerInnen und LehrerInnen
investieren.
Für die nächste Legislaturperiode hat die grüne Spitzenkandidatin
ehrgeizige Ziele: Die Leistungen aus Windenergie sollen in Rheinland-Pfalz
verdoppelt, die aus Photovoltaik verdreifacht werden. Für Neubauten sollen
Solardächer verpflichtend werden, die Flächen für die ökologische
Landwirtschaft und den Bio-Weinbau sollen weiter kräftig wachsen.
Vor allem bei den Themen Landwirtschaft und Energie sind ihre Positionen
von denen der CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner „weit entfernt“, räumt
die Grüne auf Nachfrage ein. Ihre streitbare Kabinettskollegin und
Parteifreundin Ulrike Höfken gehört sogar zu den profiliertesten
KritikerInnen der amtierenden Bundeslandwirtschaftsministerin.
Gleichwohl schließen die Grünen in Rheinland-Pfalz keine Konstellation aus.
Selbstbewusst kämpfe man für ein gutes eigenes Ergebnis, sagt Spiegel.
Fragt man ihre FDP-Kollegin Schmitt, ob der [2][CDU-Spitzenkandidat
Christian Baldauf] überhaupt eine Chance habe, Ministerpräsident zu werden,
sagt sie: „Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler.“ Wer will, mag es …
deuten: Reicht es nach der Wahl für eine Fortsetzung der Ampel, spricht
nichts für einen Wechsel. Geht in Mainz rechnerisch nur Jamaika,
Schwarz-Grün oder eine Große Koalition, wird es spannend.
5 Sep 2020
## LINKS
[1] /Online-Parteitag-der-SPD-Rheinland-Pfalz/!5709231
[2] /CDU-Politiker-Christian-Baldauf/!5704952
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
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