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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Beginn der dunklen Zeit
> Manchen steckt es im rechten Finger, manchen im rechten Bein. Bei Lubrik
> Allmann ist die Sache klar: auf einem Bein kann man nicht stehen.
Ein Menschendarsteller namens Lubrik Allmann hatte, wie er wiederholt
versicherte, immer „ein ums andere Bein zu tun“. Auch behauptete er, sein
linkes Bein wisse nichts von seinem rechten. Die Werte für das linke Bein
waren angeblich sehr gut, das rechte Bein lag im Dunklen. Deshalb benötigte
Lubrik Allmann vielleicht ein zentrales Nervensystem, das die Aufsicht über
alle seine Gliedmaßen hatte, so gut es eben ging.
Meist hatte Allmann im Garten zu tun. Der Garten war größtenteils mit
Mattglasscheiben überdacht, weil Lubrik Allmann den Standpunkt vertrat, der
Aufenthalt im Freien sei kein Ersatz für den Aufenthalt in einem Innenraum.
Über seinen Garten wurden Unwahrheiten verbreitet. So hieß es
beispielsweise, es gebe dort keine Beete, weil Allmann die Erde an einen
unbekannten Ort geschafft habe. Einmal wurde er von einer Journalistin
gebeten, darüber zu sprechen. Er begann also: „Aus den Gartenbeeten kommen
hin und wieder hundeartige Tiere heraus.“ Darüber wunderte sich die
Journalistin: „Aus der Erde?“ Allmannn bestätigte: „Jawohl, aus der Erde…
Demnach gab es also sehr wohl Erde in seinem Garten, und die Journalistin
hatte daran auch keinen Zweifel. Bezüglich der Tiere, die aus dieser Erde
kommen sollten, war sie allerdings mehr als skeptisch. „Das gibt es nicht“,
lautete ihr Urteil. Lubrik Allmann beharrte jedoch darauf. Das Dunkel, das
sein rechtes Bein umgab, verdichtete sich.
## Der Journalistin die Küche zeigen
Indem die Journalistin instinktiv ihre Taschenlampe einschaltete, fragte
sie: „Und was tun diese Tiere?“ Offenbar hatte sie ihren prinzipiellen
Widerstand gegen die Möglichkeit der Existenz solcher Tiere aufgegeben.
Ganz ruhig erwiderte Lubrik Allmann: „Sie gehen fort. Man sieht sie dann
nicht mehr.“
Nun wollte die Journalistin das Thema nicht weiter verfolgen, sondern
lieber ins Haus gehen. Lubrik Allmann hatte nicht das mindeste dagegen, da
er sowieso den Standpunkt vertrat, der Aufenthalt im Freien sei kein Ersatz
für den Aufenthalt in einem Innenraum. Er beschloss, der Journalistin seine
Küche zu zeigen.
Dort gab es eine elektrische Beleuchtung, die dem Dunkel um sein rechtes
Bein entgegenwirkte. In dem etwas instabilen Licht entdeckte die
Journalistin am Fußboden der Küche eine undeutliche Stelle, die sie sich
nicht genauer ansehen wollte. Oft genug hatte sie gehört, beim Auftreten
undeutlicher Stellen am Fußboden müsse mit Unglück gerechnet werden.
Kaum einen Meter weiter fand sie den ersten silbernen Teelöffel. Das konnte
wahrhaftig nichts Gutes bedeuten. „Wenn ich wenigstens Geld dafür bekäme!�…
dachte die Journalistin. Je weiter sie den Küchenboden erkundete, desto
größer wurde die Anzahl der silbernen Teelöffel. Sie begriff, dass etwas
Schreckliches bevorstand. „Das ist der Beginn der dunklen Zeit“, erklärte
ihr Lubrik Allmann. „Mein rechtes Bein kann davon ein Lied singen. Wollen
Sie es hören?“
15 Sep 2020
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Garten
Herbst
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Kriminalität
Botanik
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