| # taz.de -- Die Wahrheit: Der Fall der toten dicken Männer | |
| > Was geht hier ab? Ein blauer Anzug, versteckt hinter einem Felsklumpen – | |
| > wohl der Beweis, dass kein Verbrechen vorliegt, sondern etwas anderes... | |
| Ich erwachte mit einem Knall. Meine Assistentin trat ein und sagte: „Ich | |
| höre, Sie sind wach. Es ist schon wieder einer angekommen.“ – „Schon | |
| wieder?“ Laut fluchend fuhr ich aus dem Bett. | |
| Ungekämmt, unbekleidet und ohne gefrühstückt zu haben, ließ ich mich zum | |
| Ort des Geschehens fahren. Tatsächlich! Es war schon wieder einer | |
| angekommen: ein toter dicker Mann in einem Wägelchen. Achtzehn waren es | |
| inzwischen. Man wusste nur, dass sie vom Berg herabkamen. Doch weshalb? | |
| Niemand kannte die Antwort. Und niemand hatte Verständnis dafür, ich am | |
| allerwenigsten. | |
| Alles Mögliche hatten wir schon gehabt, aber einen solchen Mist noch nicht. | |
| Ich kam auf die Idee, einmal auf dem Berg nachzusehen, ob da vielleicht | |
| Erkenntnisse zu gewinnen waren. Meine Assistentin zog mich in einem der | |
| kleinen Wägelchen, die am Fuß des Bergs herumstanden, hinauf. Außer einer | |
| Flasche, die ich sowieso schon in der Hand hatte, fand ich droben aber | |
| nichts, nicht die geringste Spur von dicken Männern, weder von toten noch | |
| von lebendigen. | |
| „Ich bleibe jetzt so lange hier, bis einer auftaucht“, bestimmte ich. Meine | |
| Assistentin schickte ich wieder hinunter, um aufzupassen, ob in der | |
| Zwischenzeit wieder tote dicke Männer ankämen. Falls ja, sollte sie mir | |
| umgehend Bescheid geben. | |
| Ich richtete mich, so gut es ging, in dem Wägelchen ein, um zu warten. Der | |
| Berg schwieg dazu. Mit der Zeit begriff ich, dass ich unmöglich alle | |
| Richtungen gleichzeitig kontrollieren konnte. Ich bekam Angst, hinter | |
| meinem Rücken könne Wichtiges geschehen. Ich stellte mir vor, ganze | |
| Kolonnen dicker toter Männer wälzten sich bergab, ohne von mir bemerkt zu | |
| werden. | |
| Infolgedessen begann ich, mit dem Wägelchen hektisch im Kreis | |
| herumzukurven. Das Ergebnis war unbefriedigend. Ich zog die Bremse. Es | |
| galt, scharfsinnig zu sein. Ging es bei den dicken toten Männern überhaupt | |
| um Mord? | |
| Als erfahrener Kriminalist wusste ich: Zu einem Mordfall gehört immer, dass | |
| die Kleidung des Opfers in einiger Entfernung fein säuberlich gefaltet auf | |
| einem Stapel liegt. Somit drängte sich der Schluss auf, im Fall der toten | |
| dicken Männer könne deren Kleidung gar nicht irgendwo liegen, denn sie | |
| kamen ja stets in blauen Anzügen unten an. Und prompt fand ich hinter einem | |
| Felsklumpen einen blauen Anzug. Unbekleidet, wie ich war, zog ich ihn ohne | |
| weitere Umstände an. Er passte mir. Nun hatte ich den Beweis, dass hier | |
| kein Verbrechen vorlag, sondern etwas anderes. | |
| Es erhob sich die Frage, ob ich als Oberkommissar überhaupt dafür | |
| zuständig war. Ich dachte nach und nahm auch die Flasche zur Hilfe. Bei | |
| einem schwierigeren Trinkmanöver löste sich die Bremse an meinem | |
| Wägelchen, sodass ich donnernd zu Tal rollte. Es gab kein Halten und auch | |
| keinerlei Hilfe mehr seitens der Flasche. Aufgedunsen und mehr tot als | |
| lebendig kam ich unten an. „Schon wieder einer!“, wurde gerufen. | |
| 15 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
| ## TAGS | |
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