# taz.de -- Jazz-Festival in Pandemiezeiten: Halle statt Muschel | |
> Nach 25 Jahren unter freiem Himmel geht das Hamburger Festival „Jazz | |
> Open“ nach drinnen. Wegen Corona kostet es nun erstmals Eintritt. | |
Bild: Melancholisches zwischen Indie und Neoklassik: Das Duo Exit Universe | |
Es hätte so idyllisch werden können: Unter sich verfärbenden | |
Kastanienbäumen nähmen Pärchen aller Altersklassen Platz, auf der | |
Rasenfläche fläzten sich Familien auf Decken. Die Luft im Park wäre | |
spätsommerlich warm, ein Hauch des Sprühnebels der Wasserspiele wehte dem | |
Publikum links der Bühne ins Gesicht. Auf selbiger: Fusion, Bop, Surf, | |
Blues, Funk und Gospel. Eben alles, [1][was man unter Jazz verstehen kann]. | |
[2][Die „Jazz Open“ im Hamburger Park „Planten un Blomen“] sind eine | |
Institution geworden. Bei freiem Eintritt konnte man 25 Jahre lang | |
allsommerlich mit Tausenden anderen Zuschauer*innen hochklassige Live-Musik | |
vor der Konzertmuschel erleben, mit einem Fokus auf Hamburger | |
Künstler*innen. Die Pandemie hat den Veranstalter*innen vom [3][Jazzbüro | |
Hamburg] jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht: kein Jazz im Park | |
im Jahr 2020. | |
„Wir wollen so viel wie möglich in die Kunst stecken“, sagt Mücke | |
Quinckhardt, als Geschäftsführerin dafür verantwortlich, Stadt, Klubs und | |
Musiker*innen zu verknüpfen. „Aber der Sicherheitsaufwand in Planten un | |
Blomen wäre in diesem Jahr viel zu hoch gewesen. Es wäre doch absurd: Die | |
Kosten für Absperrungen, Security und pandemiegerechte Durchführung wären | |
doppelt so hoch wie der künstlerische Etat.“ | |
## Exil unter Kerzenleuchtern | |
Also geht das Jazz Open 2020 ins Exil, in die [4][Halle 424] im Hamburger | |
Oberhafen. Wer die ehemalige Stückgut-Umschlaghalle nicht kennt: Von den | |
[5][Deichtorhallen] kommend an der Oberhafenkantine links abbiegen, links | |
halten und nach 300 Metern links eintreten. | |
Dort, eingerahmt von Kerzenleuchtern und maritimer Dekoration, veranstalten | |
Ela Krause und Mitstreiter*innen seit einigen Jahren Jazz- und | |
Kammerkonzerte. Ein Hygienekonzept wurde längst entwickelt und kommt beim | |
Jazz Open zum Zuge: maximal 60 Zuschauer*innen pro Konzert, danach wird gut | |
durchgelüftet. Erstmals werden die sechs Konzerte Eintritt nun aber auch | |
kosten. | |
„Wir wollen und müssen das machen“, sagt Quinckhardt. „Was übrig bleibt, | |
geht in unser Jazz-Open-Special.“ Das begleitende Klubfestival ist bereits | |
am 31. August gestartet und läuft bis zum 13. September. Überall in Hamburg | |
finden nun wieder Konzerte statt. Da das Geld der zumeist nicht sehr | |
zahlreich zugelassenen Zuschauer*innen gerade einmal die Produktionskosten | |
abdeckt, zahlt das Jazzbüro den Bands Gagenzuschüsse. Zum Beispiel den | |
Jazzern um den Pianisten Benjamin Schaefer, die am 10. September ganz in | |
dr Nähe, in der Hanseatischen Materialverwaltung, Songs von Bert Kaempfert | |
und den Beatles covern. | |
## Optisch unorthodox, klanglich mit Wucht | |
Gegenüber, in der Halle 424, bestreiten nun zwei etablierte Musiker am | |
Samstagnachmittag den Jazz-Open-Auftakt. Vladyslav Sendecki ist seit 1996 | |
Pianist der NDR Bigband, Jürgen Spiegel seit 2003 Schlagzeuger beim | |
Tingvall Trio. Ein auch optisch unorthodoxes Duo, dessen ungewöhnliche | |
Besetzung für einen wuchtigen Klang zwischen Pop, Klassik und Jazz sorgt. | |
Für das Abschlusskonzert am Sonntagabend konnte man zwei gebürtige | |
Österreicher*innen gewinnen. Exit Universe sind ein melancholisches Duo | |
zwischen Indie und Neoklassik, das vom Kontrast zwischen den sphärischen | |
Vibrafon-Sounds von Schlagwerker Raphael Meinhardt und dem einfühlsamen | |
Gesang von Pianistin Susana Sawoff lebt. „Susana kommt eigentlich aus | |
Graz“, so Quinckhardt. „Mit dem Jazz-Open-Konzert kommt sie endlich auch in | |
der Stadt an, in der sie seit zehn Jahren lebt. Wir gemeinden sie damit | |
ein.“ | |
Internationale Gäste hat die Organisatorin angesichts der seit Monaten | |
bestehenden Reise-Unsicherheiten nicht buchen wollen. Dafür hat sie einen | |
gebürtigen Kubaner geladen: Leandro Saint Hill, seit mehr als 20 Jahren in | |
Havighorst bei Hamburg lebend. Quinckhardt: „Der kubanische Jazz ist in | |
Hamburg wenig präsent. Und diese Band mussten wir einfach haben!“ | |
Der Saxofonist und Flötist Saint-Hill kommt mit einem Danzon- und | |
Rumba-geschulten Quartett, zu dem auch der bekannte Bassist Omar Rodriguez | |
Calvo gehört. Saint Hill wird sein just erschienenes Album „Cadencias“ | |
vorstellen, dessen Veröffentlichung sich durch Corona um mehrere Monate | |
verzögerte. Weitere Künstler*innen: Christin Neddens’ Orange Line, das | |
Mischa Schumann Trio und das Lisa Wulff Quartett. | |
## Die Veranstalterin kocht selbst | |
Bei den Jazz Open geht es durchaus familiär zu. Statt Cateringfirmen für | |
die Künstler*innen sorgen zu lassen, kocht Mücke Quinckhardt eigenhändig | |
Suppen und backt Brownies: „Ohne die geht es gar nicht!“ Quinckhardt, die | |
seit 20 Jahren für das Jazzbüro arbeitet, scheidet nach dem Festival als | |
Geschäftsführerin aus, „im besten Einvernehmen“, wie sie sagt. „Ich bin… | |
künstlerischen Gedanken stets mehr verbunden gewesen als dem | |
verwalterischen. Und zu dem Job gehört jede Menge Lobbyarbeit. Ich möchte | |
der Kultur verbunden bleiben, aber künftig mehr Performing Arts | |
produzieren.“ | |
Allzu ausladende Performances sind bei den Jazz Open angesichts | |
Corona-bedingter Tanzverbote nicht zu erwarten. Bei Redaktionsschluss war | |
das Festival dennoch beinahe ausverkauft. Alle Konzerte lassen sich jedoch | |
auch live [6][unter hamburg.stream] verfolgen, der Radiosender NDR Info | |
wird für eine spätere Ausstrahlung aufzeichnen. | |
5 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Jazz/!t5010652 | |
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[3] https://www.jazzbuero-hamburg.de/ | |
[4] https://halle424.de/ | |
[5] https://www.deichtorhallen.de/ | |
[6] https://hamburg.stream/ | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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