# taz.de -- Opposition in Belarus: Wo ist Maria Kolesnikowa? | |
> Die belarussische Oppositionspolitikerin ist weiterhin nicht auffindbar. | |
> Präsident Lukaschenko lehnt Gespräche mit dem Koordinierungsrat ab. | |
Bild: Eine Frau protestiert vor einer Phalanx von Bereitschaftspolizisten | |
KIEW taz | Nach dem spurlosen [1][Verschwinden der belarussischen | |
Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa] am Montagvormittag gibt es nun | |
erste, wenn auch widersprüchliche Lebenszeichen von der Politikerin. | |
Nach Angaben des Pressesprechers der belarussischen Grenzschutzbehörden, | |
Anton Bytschkowskij, hatte Kolesnikowa gemeinsam mit zwei weiteren | |
Vorstandsmitgliedern des Koordinierungsrates der Opposition, Iwan Krawzow | |
und Anton Rodnenko, versucht, die belarussisch-ukrainische Grenze zu | |
überschreiten. | |
Regierungstreue belarussische Medien berichteten, die drei hätten in der | |
Nähe der Ortschaft Alexandrowka einen Durchbruch versucht. Dabei hätten | |
Krawzow und Rodnenko Maria Kolesnikowa aus dem Wagen gestoßen. In der Folge | |
seien Krawzow und Rodnenko in der Ukraine eingetroffen, Kolesnikowa jedoch | |
in Belarus zurückgeblieben, wo sie sofort festgenommen worden sei. Maria | |
Kolesnikowa habe zu ihrer Schwester in die Ukraine fliehen wollen, erklärte | |
Präsident Lukaschenko nach Angaben der Nachrichtenagentur tut.by russischen | |
Journalisten. | |
Eine völlig andere Version der Ereignisse hingegen kommt von ukrainischer | |
Seite. Die angeblich freiwillige Ausreise von Krawzow und Rodnenko sei eine | |
„gewalttätige Abschiebung“ gewesen, mit dem „Ziel, die Opposition zu | |
diskreditieren“, erklärte der stellvertretende ukrainische Innenminister | |
Anton Geraschtschenko auf seiner Facebookseite. | |
## Sie wollte bleiben | |
Diese, so Geraschtschenko, sei inszeniert worden, um die Oppositionsführer | |
als Leute hinzustellen, die Hunderttausende Protestierer ihrem Schicksal | |
überlassen, nur um sich in die ruhige Ukraine zurückziehen zu können. Mit | |
dem Versuch, auch Kolesnikowa abzuschieben, sei man gescheitert, weil „die | |
mutige Frau“ die Abschiebung zu verhindern wusste, so Geraschtschenko. | |
Nach Angaben von Interfax-Ukraine verhinderte Kolesnikowa einen | |
unfreiwilligen Grenzübergang durch die Vernichtung ihres Passes. Ihr | |
Begleiter sagte der Nachrichtenagentur afp zufolge, dass sie sich gegen | |
ihre Ausweisung aus Belarus wehrte. Auch Kolesnikowas Vater ist fest davon | |
überzeugt, dass sie zur Fahrt an die belarussisch-ukrainische Grenze | |
gezwungen worden ist. „Maria hat immer wieder gesagt:,Papa, was auch immer | |
passiert, ich bleibe in Belarus'“, zitiert tut.by Alexander Kolesnikow. | |
Er hatte noch am Tag der Entführung eine Vermisstenmeldung aufgegeben. Noch | |
immer habe er zu seiner Tochter keinen Kontakt, erklärte er Dienstagmittag. | |
Maxim Snak, ebenfalls wie Kolesnikowa Mitglied im [2][Koordinierungsrat,] | |
erklärte, Kolesnikowa habe trotz aller Gefahren immer darauf beharrt, im | |
Land bleiben zu wollen. | |
Unterdessen erklärte Präsident Lukaschenko, er sehe keine Veranlassung, mit | |
dem Koordinierungsrat zu reden. „Alles, was die vorschlagen, ist eine | |
Katastrophe für Belarus und das belarussische Volk. Die wollen die Kontakte | |
mit Russland kappen […], unsere Industrieunternehmen vernichten und die | |
Arbeiter zu Arbeitslosen machen“, zitiert tut.by den Präsidenten. | |
Gleichzeitig erklärte Lukaschenko aber auch, er könne sich vorzeitige | |
Neuwahlen durchaus vorstellen, wenn diesen eine Verfassungsreform | |
vorangegangen sei, berichtet der Sender Echo Moskwy. | |
Auch am 30. Tag nach dem [3][Wahlsonntag vom 9. August] halten die Proteste | |
gegen Lukaschenko an. In den Abendstunden versammelten sich vielerorts | |
Menschen mit weiß-rot-weißen Fahnen, um gegen Präsident Lukaschenko, für | |
Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen zu | |
demonstrieren. An vielen Universitäten erschienen die Studierenden in | |
weißer oder roter Kleidung zu den Vorlesungen, ließen sich mit | |
weiß-rot-weißen Fahnen der Opposition im Hörsaal fotografieren. In Grodno | |
versammelten sich Studierende im Foyer, schalteten die | |
Taschenlampenfunktion ihrer Mobiltelefone an und sangen belarussische | |
Lieder. | |
## Weitere Verhaftungen | |
Doch auch die Repressionen halten an. Allein am Sonntag waren über 600 | |
Protestierende festgenommen worden – zumeist nur vorübergehend. Am Sonntag | |
verhaftete man die Umweltschützerin Irina Suchij. Sie befindet sich seitdem | |
in der berüchtigten Untersuchungshaftanstalt Okrestina. | |
Doch es gibt auch Kritik am Koordinierungsrat, der vielen zu weich, zu | |
russlandfreundlich und unkoordiniert erscheint. | |
Gegenüber charter97.org erklärt Dmitrij Bondarenko von dem prowestlichen | |
Europäisches Belarus, dass seine Organisation sich vom Koordinierungsrat | |
nichts erwarte. Er vermutet vielmehr, die Gründung des Koordinierungsrates | |
sei mit den Behörden abgesprochen gewesen, um eine sichere Ausreise von | |
Swetlana Tichanowskaja zu ermöglichen. Überhaupt sei Tichanowskaja, so | |
Bondarenko, keine Oppositionelle, sie sei eine fragwürdige Figur, die man | |
nicht zur Chefin hätte machen dürfen. | |
Vom Präsidium des Rates sei niemand in Haft gewesen, keiner sei ein | |
wirklicher Oppositioneller, so Bondarenko. Die meisten in diesem Rat hätten | |
bisher dem Regime treu gedient. Tichanowskaja sei doch keine | |
Oppositionsführerin. Ihre Rolle sei bestenfalls mit der der englischen | |
Königin vergleichbar, eine echte Krisenmanagerin sei sie jedenfalls nicht. | |
Die eigentliche Arbeit würden andere leisten. | |
Jetzt, so Bondarenko, sei ein entschlosseneres Verhalten gefragt. Dass die | |
Polizeibrutalität abgenommen habe, liege doch daran, dass die Miliz gerade | |
in Arbeitervierteln erlebt habe, was Widerstand heißt. „Auf einmal haben | |
die Milizionäre kapiert, dass sie nicht nur zuschlagen können, sondern dass | |
sie auch selbst einen draufbekommen, wenn sie das Gesetz verletzen“. | |
8 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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