Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Alle reden vom Wetter …
> Was ist eigentlich dagegen einzuwenden, das gängigste aller Plauderthemen
> als Gesprächseröffnung und überhaupt als Smalltalk einzusetzen?
Bild: Irgendwo da draußen im Weltall steht sie, die Hütte von Jens Spahn
Man kennt es: Da erreicht man – knapp dem Höhepunkt eines Regenschauers
entkommen – die Wohnung einer Bekannten oder das Büro und kommentiert im
Hereinkommen, und um die Tatsache zu überspielen, dass Menschen sich
ohnehin nichts zu sagen haben, eben mal den jüngsten Wetterumschwung: „Hui,
das schüttet aber …“, oder „Besser als diese Hitze ist’s allemal“. K…
ausgesprochen, schon rollen die Augen der Umstehenden in ihren Höhlen umher
wie Lottokugeln bei der Auslosung am Mittwochabend. Manch einer seufzt gar
empört, als hätte man ein Massaker relativiert oder Sympathien für Björn
Höcke bekundet.
Zugegeben, originell geht anders, aber muss man dem allgegenwärtig
waltenden Diktat der Originalität und Selbstvermarktung noch bei der
Begrüßung gerecht werden? Kann ein Plausch übers Wetter nicht als
erfrischend unoriginell, als die unerwartete kühle Brise in der sengenden
Hitze der Leistungsgesellschaft gesehen werden? Man könnte es ja zumindest
einmal versuchen.
Nichts aber wird unter Eingeweihten so genüsslich belächelt wie das
Gespräch über das Wetter. Interessanterweise ausschließlich von Menschen,
die vorwiegend Erörterungen über wahlweise Essen oder Amazon-Prime-Serien
führen, gern ein ganzes Abendessen lang. Und wer etwas auf sich und seine
Weltgewandtheit hält, muss sich bei jedem Burger-King-Besuch an diese
frittierten Teigtaschen aus dem letzten China-Urlaub erinnern. Zum
Nachtisch gibt’s mit etwas Glück brisante Vergleiche mit der in Sachen
Experimentierfreudigkeit recht armen Deutschen Küche. Stichwort: Eintopf.
Wer maximal Eintopf im Kopf hat, und somit schließt sich der Kreis endlich,
verrät sich dadurch, sich dabei noch Menschen überlegen zu fühlen, die
„nur“ vom Wetter reden. Wie es sich wiederum mit Menschen verhält, die sich
über Menschen aufregen, die sich über Menschen aufregen, die übers Wetter
reden, ist noch nicht erforscht. Dieser Ansatz wird in just dieser Kolumne
ja gerade erst erprobt. Bis dahin, so viel kann ich an dieser Stelle aber
bereits sagen, fühlt er sich richtig an.
Schon der Sozialistische Studentenbund (SDS) proklamierte einst stolz auf
einem berühmten Plakat mit den Köpfen von Marx, Engels, Lenin, das eine
Werbung der Deutschen Bahn parodiert: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“
Genützt hat es dann doch wenig und das Unternehmen „Bessere Welt“ wurde
durch Frittiertes und Gestreamtes ersetzt.
Gespräche über das Wetter wären somit also auch längst wieder gestattet,
weil eh schon egal. Zudem spricht ja auch recht wenig gegen sie, sind sie
doch erstens schnell erledigt und rufen zweitens in den seltensten Fällen
langwierige Abschweifungen oder gar Streit hervor. Bis man also einen
anderen Weg zur besseren Welt findet, sollte gelten: Wo man über
Teigtaschen spricht, dort muss zum Wetter auch nicht geschwiegen werden.
2 Sep 2020
## AUTOREN
Fabian Lichter
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Wetter
Kommunikation
Smalltalk
Die Wahrheit
Mallorca
Lockdown
Musik
Schwerpunkt Rassismus
Grillen
Aldi
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: All oder nichts
Urlaub, Sex und Wohnen im Universum – Wirtschaft und Politik erobern die
Weiten des Weltraums. Ein klarer Blick in die Sterne.
Die Wahrheit: Urlaub auf Malle
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte
Leserschaft an einem Poem über pandemische Ferien erfreuen.
Die Wahrheit: Sport und Stillstand
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte
Leserschaft an einem Poem über Leibesübungen im Lockdown erfreuen.
Die Wahrheit: Musik mangelhaft
Der Notenschlüssel hängt schief in deutschen Grundschulen. Es fehlen
derzeit landauf, landab bis zu 23.000 Musiklehrer.
Die Wahrheit: Blutgrätsche in die Logik
Der Vorwurf selbst wird in den Medien immer häufiger mit Vorwürfen
überhäuft, er sei sexistisch oder rassistisch. Ein Solidaritätsaufruf.
Die Wahrheit: Knall und Rauch, Rost und Soße
Der Frühling ist da, die große Krise fast vergessen und Deutschland haut
das Fleisch auf den Rost. Die Grilltrends des Jahres 2020.
Die Wahrheit: Aldi ganzen Jahre
Eine Fusion von Aldi Nord und Aldi Süd steht an. Doch die Experten sind
sich uneinig. Die Folgen der Vereinigung seien unvorhersehbar.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.