| # taz.de -- Die Wahrheit: All oder nichts | |
| > Urlaub, Sex und Wohnen im Universum – Wirtschaft und Politik erobern die | |
| > Weiten des Weltraums. Ein klarer Blick in die Sterne. | |
| Bild: Irgendwo da draußen im Weltall steht sie, die Hütte von Jens Spahn | |
| Weltraumstädte auf dem Mars, intergalaktische Müllentsorgung oder Orgien | |
| mit außerirdischen Lebensformen – Unternehmen versprechen sich Großes von | |
| der Expansion ins Weltall. Die Weichen für eine schwerelose Zukunft werden | |
| jetzt gestellt. Denn der Planet Erde ist abgegrast, die Ressourcen sind | |
| verbraucht, die Mieten unwiderruflich in astronomische Höhen getrieben. Der | |
| gewiefte Unternehmer von heute schielt deshalb längst nach vorne | |
| beziehungsweise profitgierig nach oben – ins All. Dort, wo die | |
| Quadratmeterpreise noch moderat sind und das Steuerrecht im luftleeren Raum | |
| wabert. | |
| Für unseren allumfassenden Report treffen wir abständig Felix von | |
| Müllerscheid, App-Entwickler und CEO mehrer dubioser Import-Export-Accounts | |
| bei Amazon sowie Inhaber von Pictures_On_Masks. Sein Bild zierte bereits | |
| die Titelseiten von Magazinen wie Business Hipster, Hipster Business und | |
| Money Hipster Business Mag sowie Fahndungsplakate von Interpol und FBI. | |
| „Alles Schnee von gestern“, sagt er und fegt mit der Rückhand wütend einen | |
| Haufen weißes Pulver von der Tischkante, eher er auf einen Knopf drückt und | |
| sich von seiner Mutter neuen Stoff an den Schreibtisch liefern lässt. | |
| Von Müllerscheid ist Gründer der App Tentacle-Date. Er selbst will sich in | |
| absehbarer Zeit im All niederlassen und denkt voraus. „Wenn der | |
| Weltraumtourismus erst mal boomt, werden die Leute nach Gesellschaft | |
| dürsten. Der Kosmos kann nämlich ziemlich einsam sein auf Dauer“, sagt der | |
| 31-Jährige und zieht sich eine beachtliche Line in den Rüssel. | |
| Das sei ihm bei einem 24-Nyan-Cat-Marathon auf Youtube schmerzlich bewusst | |
| geworden. „Ich werde per App dafür sorgen, dass die Leute da oben super | |
| einfach und super schnell an heiße Dates mit Locals kommen! Da werden ganz | |
| nebenbei auch noch die intergalaktischen Beziehungen gefördert!“ Von | |
| Müllerscheid zwinkert uns zu und macht dabei obszöne Schlabbergesten mit | |
| seiner Zunge. Seine Pupillen, funkelnd wie tote Sterne, sind groß wie | |
| schwarze Löcher. | |
| ## Auf dem Mond ohne Maske durch den Rewe | |
| Menschen wie Felix von Müllerscheid, die die Zeichen der Zeit gelesen zu | |
| haben meinen, gibt es viele. Doch nicht nur findige Unternehmer streben | |
| nach den Sternen. Auch Staat und Politik zeigen sich seit mehreren Jahren | |
| äußerst interessiert am Möglichkeitswunder Weltraum. Jens Spahn und sein | |
| Lebenspartner etwa haben sich unlängst ein schickes Anwesen auf der | |
| Südhalbkugel des Mondes geleistet. | |
| „Für Gartenpartys ohne lästige Abstandsregeln“, wie Spahn jetzt im Gespr�… | |
| mit der Gala verriet. Schließlich seien die Inzidenzwerte im All weitaus | |
| besser als die im „verseuchten Deutschland, da unten auf der Erde“, so | |
| Spahn. Nur hier, auf seinem Mondgrundstück, kämen er und Daniel richtig zur | |
| Ruhe. Hier oben könne man wunderbar Zeit und Raum totschlagen oder auch | |
| einfach mal wieder ohne Maske durch den Rewe schlendern. | |
| Ganz ähnlich nebenan: In unmittelbarer Nachbarschaft zu Spahn residiert | |
| über die irdischen Sommermonate hinweg niemand Geringeres als Wladimir | |
| Putin. Der setzt mit einem Protzpalast aus Erdenstein, welcher erst mühsam | |
| aus einem Gebirge im russischen Belucha geschlagen und eingeflogen werden | |
| musste, völlig neue Maßstäbe. Bären mit Astronautenhelmen tollen durch | |
| Putins Vorhof und ab und an schwebt ein majestätischer Tundra-Hirsch am | |
| Fenster vorbei. | |
| Selbst dem großen Herrscher huscht dann beinah einmal ein Lächeln über das | |
| Gesicht. Und bei der Jagd mit Flinte und Lasso sei er, Putin, endlich mal | |
| wieder gelöst und frei. Daheim auf der Erde „ist mir einfach zu viel Neid | |
| entgegengekommen – selbst bei kleineren Giga-Immobilien“. Richtig reich | |
| sein, das ginge halt nur auf dem Mond. Oder in Amerika. „Aber, fuck them!“, | |
| gibt er uns über den Messenger der Tentacle-Date-App zu verstehen. | |
| ## Rechts geht es zur Kita Marsmännchen | |
| Auch die Bauwirtschaft freut sich. Angélique Meier und Josef Klatscher vom | |
| Berliner Architekturbüro Die Häuslebauer haben sich gleich mehrere Projekte | |
| auf dem Mars gesichert. „Wir planen hier das Siderische Quartier, dort die | |
| Marsschen Höfe mit unverstelltem Blick zum Arcadia Chalet – stilistisch | |
| natürlich ganz in rotem Sandstein gehalten“, erklärt Meier auf Zoom, „und | |
| rechts davon geht es zur Kita Marsmännchen“. | |
| „Dort hinten gibt es dann noch eine kleine Sauerstoffbar“, ergänzt Kollege | |
| Klatsch ganz aus dem Häuschen. Die funktioniere mit jederzeit zapfbereiter | |
| Mische zum Inhalieren in den Geschmacksrichtungen Ingwer, Waldbeere oder | |
| Kurkuma. | |
| Doch es gibt auch Gegenwind zu den Plänen im luftleeren Raum: Dr. Klaas | |
| Rügnaz, 41, hat an der Uni Marburg Kritisieren und Weltraumprobleme | |
| studiert. Er warnt am Telefon davor, sich allzu sehr auf den Weltraum zu | |
| versteifen und kritisiert die Euphorie diesbezüglich. Es gebe einfach noch | |
| viele ungelöste Fragen, die im Hype um die derzeit grassierenden | |
| Weltraumutopien unterzugehen drohten. Zum Beispiel: „Was soll der ganze | |
| Mist eigentlich?“ Unter dem Motto „Unten bleiben!“ protestieren er und die | |
| Studierenden deswegen gegen „die abgehobenen Pläne der Mächtigen“. | |
| Noch ist die Flucht in den Weltraum ein Privileg, das sich nur eine | |
| Minderheit leisten kann. Wie hatte uns Jens Spahn doch gleich, gekünstelt | |
| hüstelnd, auf dem Mond erklärt? „Ich kann das glücklicherweise über die | |
| Krankenkasse abrechnen, eine Erdenstauballergie …“ | |
| Doch in Zukunft sollen die Weiten des Alls auch dem Rest der Bevölkerung | |
| offenstehen. Für Einkommensschwache und Hartz-IV-Empfänger plane der | |
| Nochkoalitionspartner SPD gerade eine bezahlbare Infrastruktur samt | |
| Sozialbauten auf dem Pluto, erzählt der Nochgesundheitsminister leicht | |
| angewidert. | |
| „Zugegeben, Pluto, das ist schon eine ganze Ecke weit weg von der Sonne“, | |
| gesteht SPD- Kanzlerkandidat Olaf Scholz wenig später auf Jitsi und erklärt | |
| uns das neue „Gut im Weltraum leben“-Gesetz. Die Sehnsucht, nicht zu | |
| erfrieren, könne ein großer Antrieb sein, sich wieder in den Markt | |
| einzubringen und in wärmere Gefilde vorzuarbeiten. „Mal aus den Puschen | |
| kommen und die Ärmel am Astronautenanzug hochzukrempeln. Damit ist den | |
| Leuten doch mehr geholfen als mit sozialstaatlichen Leckerlis aus | |
| Sternenstaub und Weltall-Glitzer!“, ruft Scholz grinsend. Dann bricht die | |
| drahtlose Verbindung ab. | |
| Ob wir in Zukunft wirklich geschlossen das All besiedeln werden? Das steht | |
| derzeit noch nicht fest. Vielleicht aber ist es auch gar nicht nötig. | |
| Schließlich, so sind wir uns nach etlichen wahren Gesprächen einig, reicht | |
| es, wenn sich nur einige Wenige in die Weiten des Alls katapultieren | |
| lassen, um das Leben für uns alle auf der Erde erträglicher zu machen. Es | |
| müssen nur die Richtigen sein. | |
| 9 Apr 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Lichter | |
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