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# taz.de -- Die Wahrheit: Aldi ganzen Jahre
> Eine Fusion von Aldi Nord und Aldi Süd steht an. Doch die Experten sind
> sich uneinig. Die Folgen der Vereinigung seien unvorhersehbar.
Bild: Ab sofort gibt's nur noch eine Tüte
Seit Generationen ist Deutschland zweigeteilt: in die herrschende Klasse
und die der Lohnarbeiter. Aber auch eine andere Kontinuität zieht sich wie
eine Spur ausgelaufener Tiefkühlschmodder durch die Geschichte der
Bundesrepublik: die der Billigdiscounter Aldi Nord und Aldi Süd.
Die Brüder Theo und Karl Albrecht zerstritten sich einst in den sechziger
Jahren aus heiterem Himmel derart, dass sie beschlossen, geschäftstechnisch
fortan getrennte Wege zu gehen. Theo verlor beim Stäbchenziehen und bekam
die verranzten Filialen in Norddeutschland, dafür erhielten Karl und seine
Südfilialen das hässlichere Logo, das sie aus der Not heraus geschwind mit
dem Finger und einer Dose Kartoffelgulasch auf den Filialboden skizzierten.
Worum es in dem Streit ging, weiß heute niemand mehr so genau. Außer ihr:
Gerda Brützel, 84, damals Lagerhilfe in der Hauptfiliale in Essen. „Das
waren so richtige Streithammel“, berichtet die rüstige alte Dame, die heute
dank üppiger Rente in Florida lebt, per Skype. Angeblich habe Karl seinen
Bruder Theo dabei erwischt, wie er ein Lakritzstäbchen aus einer Packung
Haribo Color-Rado gemopst habe. Im Laden. Und ohne vorher zu bezahlen!
Obwohl Karl mit einer damals nagelneuen Polaroidkamera ein Beweisfoto
gemacht habe, habe Theo, der jüngere Bruder, alles abgestritten. Lakritz
schmecke ihm gar nicht, und außerdem habe er selbst schon des Öfteren
beobachten können, wie Karl nach der Mittagspause Ritter Sport Joghurt aus
dem Regal habe mitgehen lassen.
Der Streit wurde auf die juristische Ebene gehievt und verschlang mehrere
Milliarden Euro, doch beide Brüder fühlten sich im Recht und juristisch
unangreifbar. Die Sache sei eskaliert, als Karls Polaroidfoto unter
mysteriösen Umständen über Nacht aus seiner Nachttischschublade
verschwunden sei. Am nächsten Morgen, so Gerda Brützel, sei die
Außenfassade von Theos Reihenhäuschen in Essen-Schuir mit
Friscodent-Zahnpasta aus dem Südsortiment, Geschmacksrichtung Pfefferminze,
verziert worden: „Lakritz-Dieb!“ stand da in großen Lettern. Die
polizeiliche Handschriftenanalyse der Zahnpastabuchstaben kam nur zu einem
Ergebnis: circa 1,7 Promille. Der Täter wurde nie gefasst.
## Ersatzprojekt zum Trost
Der Streit der Albrecht-Brüder beschäftigte die ganze Republik. Angeblich
war die Einheit von Aldi Nord und Aldi Süd oberstes Ziel der Agenda Helmut
Kohls. Die Wiedervereinigung von Ost und West hingegen sei lediglich ein
Ersatzprojekt zum Trost gewesen, einzig durchgeführt, da die
Albrecht-Brüder sich auch nach mehreren Einladungen zum Saumagenessen mit
dem Kanzlerschwergewicht nicht dazu hätten überreden lassen, ihre
Streitereien beizulegen, und endlich mal ein Erfolgserlebnis hermusste. So
erzählt man es sich zumindest in der Discounterszene. Die Verstrickungen in
die Politik sind unentwirrbar. Selbst Uwe Barschel soll gelegentlich bei
Aldi eingekauft haben. Was das zu bedeuten hat, weiß aber auch niemand.
Und nun? Kommt nach all den Jahren doch noch die Einheit zustande? Und wäre
ein vereintes Aldi-Deutschland überhaupt wünschenswert? Der diplomierte
Geldexperte und Börsen-Insider Andreas Bling hält eine Fusion für äußerst
gefährlich: „Ich habe meine gesamte Lebensabsicherung und meinen
Kokainkonsum auf den Absatz der Zulieferbetriebe von Aldi aufgebaut. Ich
hab da mein ganzes Geld und das meiner Ex-Frau reingeballert. Eine Fusion
würde alles ruinieren. Dann kann ich mir meine Rente auch gleich in
Karlskrone-Pils auszahlen lassen. Gottverdammt noch mal!“
Weniger selbstbezogen geht die Wissenschaft an das Thema heran. Virologe,
Chemiker, Literaturwissenschaftler, Dipl.-Ing., Stuckateur, Rhönradprofi
und Handmodel Dr. Dipl.-Ing. Detlef Drosten schüttelt sein Haar und
spricht: „Eine Fusion von Aldi Nord und Aldi Süd würde ungeahnte
Marktkräfte freisetzen, von der letztlich sowohl das Unternehmen als auch
die Bevölkerung profitieren würden. Eine Frischzellenkur für unsere
angeschlagene Binnenwirtschaft. In Anbetracht der jetzigen Coronawelle im
Land eine Win-win-Situation: Die Gesellschaft braucht Klopapier- und
Nudelzuflüsse, auf die sie bauen kann. Alles Streben muss jetzt in die
Errichtung mächtiger Discounter münden.“
## Warentrenner in den Köpfen
Die Hauptarbeit der Wiedervereinigung, so Drosten, dürfte sich hingegen auf
kultureller Ebene abspielen. „Nord und Süd mögen dann vielleicht formal
gleich sein, und wir haben endlich eine Einheitszahnpasta, der Warentrenner
in den Köpfen würde aber wohl noch lange bestehen bleiben.“
Die Statistik gibt ihm recht: Weit über 70 Prozent der Kunden von Aldi Süd
hegen Vorurteile gegen Nord-Kunden. Fast jeder Zweite hält Nord-Kunden für
„irgendwie schmuddelig“, immerhin jeder Dritte meint, der Aldi-Nord-Kunde
jammere zu viel, und 10 Prozent glauben, Kunden von Aldi Nord trügen
geschmacklose Kleidung und seien lediglich auf Schnäppchenprodukte aus.
Befragt man Aldi-Nord-Kunden, bekommt man meist keine Antwort. Zu tief
sitzt die Scham, nicht in einem schön ausgeleuchteten Süd-Laden einkaufen
gehen zu können, sondern im Flackerlicht eines Schlauchgangs in einer
trostlos verwahrlosten Schauerfiliale im Norden.
„Da hilft mir das schönere Logo auch nichts mehr“, sagt ein typisch
jammeriger Nordler, als wir ihn zur Situation befragen. Dann bricht er in
Tränen aus, aber die Nord-Taschentücher halten den Siff nicht. Mimimi,
macht er in seiner beigefarbenen Funktionsjacke aus dem
Februar-Wanderspezialangebot, für die sich jeder Süd-Kunde in Grund und
Boden schämen würde, ehe er mit seinem Einkaufswagen voll Nord-Plunder auch
schon in einer Parklücke verschwunden wäre und die Dunkelheit abwartete.
Es bleibt schwer zu sagen, wie sich die Situation entwickelt. Noch sind in
der Causa Aldi viele Fragen offen: Wer integriert hier eigentlich wen?
Kommen die Kokett-Taschentücher aus dem Süden endlich bundesweit in den
Verkauf, oder fliegen sie gar aus dem Sortiment? Und wann wird endlich eine
neue Kasse aufgemacht?
Selbst wenn der lästige Papierkram eines Tages geregelt sein sollte, geht
es auf psychologischer Ebene erst ans Eingemachte. Können Nord- und
Süd-Kunden eine neue, gemeinsame Identität finden? Lässt sich das Ganze
ohne traumatische Kollateralschäden wie gepfiffene Scorpions-Songs und
einen David-Hasselhoff-Auftritt über die Bühne bringen? Denn dieser Preis,
da sind sich ausnahmsweise alle mal einig, wäre eindeutig zu hoch.
21 Mar 2020
## AUTOREN
Fabian Lichter
## TAGS
Aldi
Aldi Süd
Aldi Nord
Gender
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Rassismus
Grillen
Landwirtschaft
FDP
Wolfgang Grupp
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