# taz.de -- Erzählband „Friday Black“: Über Leichen gehen | |
> Nana Kwame Adjei-Brenyah debütiert mit einem Erzählband. Dieser liest | |
> sich wie ein sarkastischer Kommentar auf die USA der Gegenwart. | |
Bild: Blickt auf die USA der Gegenwart: Nana Kwame Adjei-Brenyah | |
Sein Mandant habe sich doch nur verteidigen wollen, sagt der Anwalt. George | |
Wilson Dunn sei schließlich Amerikaner, und „Amerikaner haben das Recht, | |
sich zu schützen“, fährt der Jurist vor Gericht fort. Dunn, ein weißer | |
Mann, Vater zweier Kinder, hat fünf junge Schwarze getötet. Nein, nicht nur | |
getötet, sondern mit einer Kettensäge enthauptet. Eine weiße | |
Geschworenenjury aber kommt am Ende zu dem Urteil, „dass Dunn sich […] | |
bedroht gefühlt und folglich das Recht auf seiner Seite gehabt hatte, als | |
er seine Hawtech-Pro-18-Zoll-48-Kubikmeter-Kettensäge von der Pritsche | |
seines Ford F-150 holte, um sich selbst, die in der Bücherei ausgeliehenen | |
DVDs und seine Kinder zu schützen“. | |
Wie in dieser Erzählung, „Die Finkelstein Five“ (der Mord findet vor einer | |
Finkelstein Library in South Carolina statt), liegt der New Yorker Autor | |
Nana Kwame Adjei-Brenyah gerade noch so weit neben der Realität, dass es | |
als Satire zu erkennen ist, und nah genug an der Wirklichkeit in den USA, | |
dass viele Passagen sich unzweifelhaft genauso zutragen könnten. Das ist | |
die große Stärke seines Debüt-Erzählbands „Friday Black“. | |
Denn auch die Ereignisse, die Adjei-Brenyah als Konsequenz jenes | |
Finkelstein-Urteils beschreibt, sind keineswegs undenkbar: Junge Schwarze | |
begehen in der Folge im ganzen Land Racheakte an Weißen – und rufen dabei | |
jeweils laut die Namen der fünf Getöteten. Sie namen sie, wie diese Form | |
der Gewaltakte von der Presse genannt wird. Ein weiterer glänzender | |
erzählerischer Kniff: Seinen Erzähler, einen jungen Schwarzen, lässt | |
Adjei-Brenyah seine „Schwarzheit […] auf einer Skala von eins bis zehn“ | |
wahrnehmen und fühlen, der „Grad der Schwarzheit“ zieht sich leitmotivisch | |
durch die Geschichte. | |
Nana Kwame Adjei-Brenyah, 1990 im New Yorker Vorort Spring Valley geboren, | |
ist selbst schwarz, seine Eltern stammen aus Ghana. „Friday Black“ ist | |
kürzlich auf Deutsch erschienen. In den USA hat der Autor für Aufsehen | |
gesorgt, das Buch erhielt 2019 den PEN/Jean Stein Book Award und stand auf | |
der Shortlist für den Dylan Thomas Prize. Gerade die beschriebene erste | |
Erzählung macht „Friday Black“ zum Buch der Stunde – [1][und auch in | |
anderen Storys geht es Adjei-Brenyah darum, dass schwarzes Leben in den USA | |
Menschenleben zweiter Klasse ist]. | |
Nicht immer überzeugend | |
Mitunter gelingen ihm so meisterhafte Geschichten zwischen Science-Fiction, | |
Splatter/Horror und Satire. In „Zimmer-Land“ zum Beispiel erfindet er einen | |
Freizeitpark, in dem die Besucher ihre (rassistischen) Mordfantasien in | |
Modulen ausleben können. Die Kunden? Zum Beispiel junge weiße Männer, die | |
Eintritt zahlen, damit sie Schwarze oder Muslime (Terroristen!) abballern | |
können. | |
Erzählt wird die Geschichte aus Sicht des Stuntman, der einen Schutzanzug | |
trägt und das Opfer spielt. „Beim Ausfüllen der Postmodul-Fragebögen – wo | |
man auf einer Skala von eins für ‚gar nicht‘ und fünf für ‚voll und ga… | |
bewerten kann, kreuzen die Kunden, wenn ich Dienst hatte, überall fünf an. | |
Ob sie Spaß hatten? Fünf. Ob sie das Gefühl hatten, dass Gerechtigkeit | |
waltete? Fünf. Ob sie wiederkommen würden? Fünf.“ | |
Nicht immer überzeugen die Storys so wie diese. In „Die alte Zeit“ | |
skizziert der Autor etwa ein Schöne-Neue-Welt-Setting, das man so oder so | |
ähnlich schon ein paar Mal zu oft gelesen hat. [2][Was bei Huxley das Soma | |
war], heißt bei ihm nun ganz direkt und plakativ „Glück“; die Figuren, ei… | |
Gruppe Schüler, bekommen es injiziert („Ich überlegte, ob ich zur | |
Schulschwester gehen und mir vor dem Mittagessen eine Dosis Glück holen | |
sollte“). Ein recht vorhersehbares Geschehen, in dem sich fast alle dem | |
neuen Glücksversprechen hingeben – abgesehen von ein paar Wackeren aus der | |
„alten Zeit“, die sich dem widersetzen. | |
Ohne Betroffenheitskitsch | |
Die Titelgeschichte spielt an einem Black Friday in einer Mall, die Idee | |
ist recht simpel: Die Menschen überrennen den Laden am Angebotstag, sie | |
gehen buchstäblich über Leichen, um zu ihrem Produkt zu kommen. Das | |
pervertierte Ausmaß des Konsums ist in mehreren Storys Thema, wobei die | |
Überzeichnung allerdings nicht so gut gelingt – vielleicht, weil der | |
Realität (Primark) auf diese Weise mit Satire kaum mehr beizukommen ist. | |
Ähnlich vorhersehbar wie die Geschichte mit den Glückspillen ist hier die | |
Kapitalismuskritik. | |
Dennoch ist „Friday Black“ ein bemerkenswerter Debütband, der neugierig | |
macht auf diesen Autor, dem jeder Betroffenheitskitsch fern ist. Allein die | |
[3][Erzählungen zu rassistischer Gewalt], zu Segregation, zur weißen Justiz | |
in den USA machen „Friday Black“ eigentlich zu einem Buch, um das man in | |
diesen Tagen kaum herumkommt. | |
11 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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